Neue Studien zeigen: Die Erderwärmung
wird sich bis in die tiefsten Regionen der Ozeane bemerkbar machen. Und der Klimawandel könnte das Funktionieren der Tiefsee-Ökosysteme und den Kohlenstoffkreislauf im Ozean völlig verändern.


NOAA/MBARI

Auch weil die Tiefsee über Millionen von Jahren einen relativ stabilen Lebensraum geboten hat, drängt Robison, bei der Erforschung ihrer Bewohner keine Zeit zu verlieren. Viele Arten könnten sehr empfindlich auf ungewohnte, kurzfristige Schwankungen reagieren. Schon bevor Ergebnisse vorliegen, müsse mit der Einrichtung von Schutzgebieten begonnen werden, um wenigstens einige Gebiete zusätzlichen negativen Einflüssen wie Fischerei und Abbau von Rohstoffen zu entziehen. «Der gesunde Menschenverstand sagt uns doch, dass wir die Ozeane, aus denen ein grosser Teil unserer Nahrung stammt, schützen müssen – und dazu gehört auch der Schutz der Artenvielfalt in der Tiefsee.»

Smiths Forscherkollege Bruce Robison warnt angesichts dieser Gefahren vor einem Massensterben in der Tiefsee, das unbemerkt von der Wissen- schaft vor sich gehen würde – und vielleicht schon begonnen hat. «In der Tiefsee gibt es vermutlich mehr Tiere als in allen anderen Lebensräumen der Erde zusammen – aber wir wissen nicht einmal, wie viele von ihnen wo vorkommen. Deshalb können wir auch nicht feststellen, was sich ändert und ob Änderungen natürliche Gründe haben oder durch menschliche Aktivitäten ausgelöst werden.» Verschiebungen der Artenzusammensetzung könnten aber einen starken Einfluss auf andere Arten, auf die Erträge der Fischerei und sogar das Klima haben – wenn etwa die Tiefsee ihre Funktion als Kohlendioxidsenke verlieren würde. 

Eine weitere Gefahr droht durch den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre. Das Klimagas löst sich hervorragend im Wasser und bildet dort Kohlensäure. Steigt sein Gehalt in der Luft an, wird also auch das Wasser saurer. Karbonat-Ionen, aus denen viele Meeresorganismen ihre Kalkskelette bilden, sind dann schlechter verfügbar. Über die befürchteten Auswirkungen dieser Übersäuerung auf Korallen ist berichtet worden, betroffen sind aber auch zahlreiche andere Arten aller Wasserschichten wie bestimmte Algen, Krebse, Muscheln, Schnecken und Seeigel. Im sauren Wasser können sie die Kalkstrukturen, die ihre Körper stützen, nicht voll ausbilden. Zusätzlich wirkt die Übersäuerung in den Geweben und Körperflüssigkeiten der Tiere, etwa auf die Fähigkeit des Blutes, Sauerstoff zu transportieren. 


NOAA/MBARI

Denn Nährstoffe sinken im Ozean nicht nur in Form von Nahrungsflocken in die Tiefe. Sie gelangen, gelöst im aufsteigenden Tiefenwasser, zurück an die Oberfläche und liefern den Dünger für die nächste Planktonblüte. Erwärmen sich die Oberflächen der Ozeane durch den Klimawandel stärker als bisher, verfestigt sich die Temperaturschichtung des Wassers. Der Austausch zwischen kaltem, nährstoffreichem Tiefenwasser und dem warmen Oberflächenwasser wird dadurch erschwert. Bleiben aber die Nährstoffe in der Tiefe, fallen die Planktonblüten – Basis der Nahrungsketten im gesamten Ozean – aus. 

Smith und sein Team konnten mit ihren Langzeitmessungen feststellen, dass klimatisch bedingte Schwankungen des Planktons sich auf das Nahrungsangebot der Tiefseebewohner auswirken. Weniger Plankton bedeutet Nahrungs- mangel, bei veränderter Zusammensetzung der Flocken wurden einige Arten seltener, während andere sich vermehrten. «Die Lebensgemeinschaften der Tiefsee hängen direkt von der Produktivität in den oberen Wasserschichten ab», fasst Smith die Ergebnisse zusammen, «und der Klimawandel könnte das Funktionieren dieser Ökosysteme und den Kohlenstoffkreislauf im Ozean völlig verändern.» 
Smiths Forschungsprojekt ist einzigartig – dabei liegen 60 Prozent der Erdoberfläche in der Tiefsee, also unter Wasserschichten, die mehr als 2000 Meter messen. Lange Zeit glaubte niemand, dass in diesen Regionen überhaupt Lebewesen überdauern könnten. Was sollten sie fressen, da Kälte und Dunkelheit das Wachstum von Algen unmöglich machen? Erst in den 1950er-Jahren gelangen einem japanischen Forschungstauchboot Aufnahmen von zusammengeklumpten Planktonorganismen, die wie Schneeflocken aus den licht- durchfluteten oberen Meeresschichten rieselten. Nun wurde klar: Die winzigen Einzeller, deren Algenblüten die Nahrungsgrundlage der oberen Meeresschichten liefern, ernähren auch die Tief- see. Durch ihr Verklumpen zu «marinem Schnee» erhalten sie das nötige Gewicht, um innerhalb weniger Tage tausende Meter abzusinken – schnell genug, um nicht schon vor ihrem Eintreffen in der Tiefe von Bakterien abgebaut zu werden.


Greenpeace/Warshaw

Der lehmige, graumatschige Meeresboden bei 34,5 Grad Nord und 123 Grad West ist das bestunter- suchte Stück Tiefsee der Welt. 1989 richtete Ken Smith vom Monterey Bay Aquarium Research Institute hier, 220 Kilometer westlich der kalifonischen Küste und in 4100 Metern Tiefe, die Messstation M ein. «Wir brauchen keine Momentaufnahmen, sondern Langzeitmessungen, um Veränderungen analysieren zu können», begründet Smith sein über 20-jähriges Engagement. Regelmässig reisen er und sein Team für eine Woche mit dem Forschungs- schiff an, im Gepäck Tauchroboter, ferngesteuerte Kameras, Sedimentfallen und Analysegeräte, mit denen sich die Stoffflüsse an Station M und die hier lebenden Arten untersuchen lassen.