Einst Walfänger, hat Cornelius Cransbergen die Seiten gewechselt und ist heute bei Greenpeace für die vom Aussterben bedrohten Riesen aktiv.

Von Christian Hug 


Cornelius Cransbergen

Vom Walfänger zum Aktivisten

„Bis zu 16.000 Blauwal-Einheiten durften wir pro Jahr erlegen.“ erzählt Cornelius Cransbergen. Er rechnet, „eine Blauwal-Einheit, das sind zwei Finnwale oder drei Buckelwale“. Umgerechnet sind das 32.000 Finnwale oder 48.000 Buckelwale, die damals von der Wissenschaft zum Abschuss frei gegeben wurden. Damals war vor 50 Jahren und heute ist Cor, wie der ehemalige Walfänger auch genannt wird, 78 Jahre alt. Von seiner großen Statur hat er auch im Alter nichts eingebüßt. Seine Hände sind ruhig und kräftig, die Augen tief und dunkel. „Aber heute“ raunt er wütend, „heute gibt es keinen Grund mehr Wale zu jagen. Es ist schlicht und einfach eine Schande für die ganze Menschheit, dass diese wunderbaren Tiere immer noch gejagt werden.“  Aber hat er denn nicht selbst die Wale gejagt, hat er nicht selbst die Taue geknüpft mit denen die großen Tiere schließlich an Bord gezogen wurden?

Cornelius Cransbergens Geschichte beginnt in Ameland. Eine kleine Nordsee-Insel vor Westfriesland, ganz oben im Norden von Holland ist Cornelius Cransbergens Heimat. Gerade mal 27 Kilometer lang und knappe 4 Kilometer breit, ist der Tourismus heute ihre Haupteinnahmequelle. Fischfang allein hat sich hier noch nie rentiert. Vielleicht ist sie deshalb seit jeher die Insel der Walfänger gewesen. Schon vor 400 Jahren zogen die ersten Ameländer in die See, auf die Jagd nach den Walen. Viele verloren ihr Leben, manche wurden berühmt wie Hidde Dirk Kat, aber alle verdienten sie viel Geld und ein hohes Ansehen bei den Insulanern, denn Walfänger, das waren noch wilde Männer.

Heute erinnern nur noch ein paar Gartenzäune aus verwitterten Walknochen, ein kleines Museum und eben Menschen wie Cornelius Cransbergen an die Zeit wo die Jagt auf die Wale noch Ruhm, Geld und Ehre einbrachte.

Auch in Ameland hatte sich die Wirtschaft noch nicht von den Wirren des zweiten Weltkrieges erholt als der junge Cor wie meisten Ameländer zur See ging. Als er im Herbst 1951 in Amsterdam zum ersten mal das Deck der Willem Barendsz, das Mutterschiffes der niederländischen Walfangflotte betrat, war er gerade mal 23 Jahre alt.

Ob er sich denn nie Gedanken um die Folgen gemacht habe, wird er heute oft gefragt. „Doch, natürlich“ antwortet er ruhig und fährt fort „die Wissenschaftler haben uns damals vorgerechnet, dass die Gesamtpopulation der Großwale jährlich um 20.000 Blauwaleinheiten ansteige. Das macht nach denen zum Abschuss freigegebenen 16.000 Einheiten immer noch ein Zuwachs von 4.000 Blauwal Einheiten“ fährt er fort. „Außerdem“ so erzählt er „gab es ein Mindestmaß wie groß ein Wal sein musste, dass er überhaupt geschossen werden durfte. Dazu hatte jedes Boot mehrere Wissenschaftler, eigens zur Vermessung der Wale. Wir stachen in See, im Glauben an die Wissenschaft und ihre Zahlen. Wir glaubten nie, die Bestände der Wale ernsthaft zu dezimieren.“

Mit rund 15.000 Kilogramm Munition verließ die Willem Barendsz den Amsterdamer Hafen. Erstes Ziel Kapstadt. Fünf Wochen dauerte die Reise. Fünf Wochen Zeit um die mannsdicken Seile zu knüpfen, an welchen man die erlegten Tiere ans Bord ziehen würde. Fünf Wochen Zeit, das gesamte Deck mit Holzbrettern auszulegen, um das Gewicht der toten Tier zu tragen und vor den Unmengen an Blut und Fett zu schützen.

In Kapstadt wird die Flotte schließlich komplett: 18 kleine Dampfschiffe mit einer Besetzung zu je 15 Mann werden das Mutterschiff begleiten, knapp 1.100 Mann zählt die Crew nun. Tag und Nacht sind die Späher auf ihren Posten, immer auf der Suche nach den verräterischen weißen Fontänen der Riesen der Meere. Wurde sie gesichtet, hatte die Jagd begonnen. Den Wal im Visier, lotse der Späher das Schiff in die optimale Richtung.

Während er Entfernung und Schusswinkel abschätzte, war es dem Kapitän allein vorbehalten, vom Bug aus den tödlichen Schuss abzufeuern. Das Geschoss der Kanonenharpune schlug sich in den Körper des Wals, wo es im Inneren des Tieres detonierte. „Ein guter Schütze brauchte nur einen Schuss, um einen Wal zu erlegen“ sagt Cor „Aber ich habe Kapitäne erlebt, die mussten fünf Mal schießen, bis der Wal tot war.“

Mit Seilen wurde das verendete Tier an die Planken gezogen, wo Schläuche den Kadaver mit Luft vollpumpten, um zu verhindern, dass er sinkt. Sammelboote transportierten die Kadaver schließlich zum Mutterschiff, die Willem Barendsz. Hier wurden die toten Wale auf das Deck gezogen und  von den „Hakenboys“ zerschnitten; unter Ihnen Cor Cransbergen.

Mit langen Messern schnitt er den Speck von Fleisch. „Das Deck war vom  Blut und Fett der Wale so rutschig dass wir uns Nägel in die Schuhe schlugen um nicht hinzufallen.“ Das Fett wurde in Öfen zu Tran geschmolzen und in Fässer abgefüllt. Den entspeckten Wal zog man mit Seilwinden zum Fleischdeck wo ihm das Fleisch von den Knochen geschnitten wurde. Die Knochen wurden schließlich zu Mehl zerstampft, die Schlachtabfälle ins Meer geworfen. „So ging das 24 Stunden am Tag im Mehrschichtenbetrieb.“ Ein halbes Jahr später hatte die Flotte rund 1.626 Blau- , Finn-, Buckel- und Pottwale getötet und verarbeitet und Cor konnte nach neun Monaten See wieder heim, nach Ameland.

Dass die Theorie der Blauwal-Einheiten eine Lüge der Wissenschaft war und nicht aufging wurde offensichtlich, als die Zahl der Tiere so weit zurückging, dass sich die Jagd nicht mehr lohnte. Das war 1963, das Jahr in dem Cor ausstieg, ein Jahr später, stellten die Niederlanden den Walfang ein.

„Heute“, sagt Cor, „fühle ich mich nicht schuldig, dass die Wale vom Aussterben bedroht sind. Damals war alles anders. Aber ich habe eine Stinkwut auf Länder wie Japan und Norwegen, die heute noch mit fadenscheinigen Begründungen Wale jagen.“


Christian Hug ist Redaktor des Magazins PolarNEWS

Mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt von: www.polar-news.ch