Während in Brindisi eine noch kleine Zelle im Stadtparlament den totalen Ausstieg aus den fossilen Energien anstrebt, kündigt sich 65 Kilometer südwärts an der Küste von San Foca, nahe der Stadt Lecce die nächste grosse Etappe im Geschäft mit dem Erdgas an: Eine Pipeline soll Gas aus Aserbaidschan nach Italien anliefern – direkt in eines der schönsten Erholgungsgebiete des Salento. Die Schweizer Axpo ist ganz vorne mit dabei.

Von René Worni, freier Journalist

 

Eines Morgens im vergangenen Januar staunten die Leute von San Foca nicht schlecht. Fremde Schiffe kreuzten vor ihrer beliebten Badeküste. Wohl einige rieben sich verwundert die Augen, so wie die  Azteken im April 1519 beim Anblick der Flotte des spanischen Eroberers Hernando Cortés. Eines der Schiffe verhielt sich dabei sonderbar. Es erhob sich langsam auf Stelzen aus dem Wasser und entpuppte sich als kleine Bohrinsel. Was hatte das zu bedeuten?


Sondierbohrung vor der Küste.

© zvg

 

 

«Die Bevölkerung hatte keine Ahnung vom Projekt und von diesen Sondierbohrungen, niemand hatte sie informiert», sagt ein Vertreter des Komitees «No TAP», das ein paar initiative Leute kurz nach diesen Ereignissen gegründet hatten. Sie begannen Material zu sammeln und starteten eine Informationskampagne, weil die neuen Küsteneroberer es unterlassen hatten. «Es ist absurd, dass wir zu viert die Leute in der ganzen Region über ein derart gigantisches Projekt informieren müssen. Aber das würde sonst keiner tun», sagt er weiter.

 

Eingriff in die filigrane Küstenlandschaft

TAP – die drei unscheinbaren Buchstaben stehen für ein ehrgeiziges Projekt, die Trans Adriatic Pipeline. Die Bohrinsel war der Vorbote des Konsortiums TAP, das seinen Sitz in der Schweiz, im zugerischen Baar hat. Es will hier die Gaspipeline, die einst vom Grund der Adria aufsteigen soll, durch das poröse Gestein der filigranen Küste San Focas treiben. Das Projekt wird dabei in eine faszinierende Küstenlandschaft eingreifen. Die neuen Küsteneroberer sprechen Norwegisch, Deutsch und Schweizerdeutsch. Neben der norwegischen Statoil (42,5%) und der deutschen E.ON-Ruhrgas (15%) hält die Axpo mit ihrer Tochter EGL den Rest der Beteiligung (42,5%).


San Foca (unten rechts) und die Lage der geplanten Pipelinel.

© TAP

 

 

Die 800 Kilometer lange Pipeline soll in Griechenland unweit der Stadt Thessaloniki beginnen, Albanien und die Adria bei der Meerenge von Otranto durchqueren und bei San Foca auf Italien treffen. Sie soll in Griechenland an eine türkisch-aserbaidschanische Pipeline anschliessen, die Europa mit den Erdgasvorkommen im Kaspischen Becken verbindet und der EU ermöglichen soll, die Abhängigkeit vom russischen Gas abzuschütteln. Italien will sich damit im Gasgeschäft geostrategisch wirkungsvoll positionieren. Die Betreiber ihrerseits rechnen damit, dass der Rohstoff Gas in Italien wieder rentabel wird und die derzeit mit halber Kraft arbeitenden Gaskombikraftwerke (darunter viele mit Schweizer Beteiligung) endlich zu attraktiven Kosten Strom produzieren können. 10 Milliarden Kubikmeter Gas sollen pro Jahr nach Italien fliessen, bei Bedarf sogar die doppelte Menge. Aserbaidschan hat noch nicht definitiv entschieden, ob das Konsortium den Zuschlag für den Bau erhalten wird.


Erdgas: vom Kaspischen Meer bis nach Italien.

© TAP

 

 

Auswirkungen werden unterschätzt

Strom aus Gas anstatt erneuerbare Energien? In Italien bauen Schweizer Energiekonzerne seit Jahren Gaskombikraftwerke. Doch was tun die Konzerne dort genau? Soll dieser «dreckige» Strom (Gaskombis sind CO2-Schleudern) den Atomausstieg in der Schweiz überbrücken helfen? Auf den Spuren der Pläne der Energiekonzerne reiste Greenpeace im Mai nach Süditalien und stiess dabei auf zwielichtige Geschäftemacher, denen Profit wichtiger ist als Umweltschutz. Wir trafen aber auch visionäre Umweltaktivisten, die sich diesen Plänen entgegenstellen. Daraus entstand die Süditalien-Reportage, welche wir in fünf Teilen während der Sommerpause jeweils donnerstags (Start am 19. Juli) auf www.geenpeace.ch publizieren. Sie erscheint ausserdem leicht gekürzt am 21. August in unserem Magazin. Wir wünschen Euch gute Sommerlektüre!

 

Im Februar kam es zur ersten und bisher einzigen Konfrontation zwischen dem Management der TAP sowie der Bevölkerung und den Behörden in Melendugno, jener Gemeinde, zu der auch San Foca politisch zählt und die vom Projekt am meisten betroffen sein wird. Die Begegnung war hochemotional, der Gemeindesaal übervoll und es wurde zwei Stunden lang lauthals gestikuliert.

 

Die Gemeinde wird voraussichtlich einen einmaligen Abfindungsbetrag von drei bis fünf Millionen Euro erhalten, einen Anteil davon vielleicht auch noch die Nachbargemeinde Vergnole. Laut den Leuten des Komitees No TAP hätten die Gemeinden die Auswirkungen des Projektes auf ihrem Territorium bis jetzt wohl unterschätzt. Es sei schwer, sich mit multinationalen Konzernen anzulegen. Wenn sich zusätzlich der italienische Energieriese ENEL beim TAP-Projekt einkaufen sollte, so wie sich das die Regierung Monti wünscht, dann wäre das eine zusätzliche Katastrophe. Denn gegen die Macht der ENEL sei nichts auszurichten.

 

Pipeline neben Badestrand

Die Leute befürchten bleibende Einschnitte in ihre intakte Landschaft, deren Küste eine einzigartige Linie aus kleinen Buchten und Inselchen bildet. An der Küste gibt es Wälder, ausgedehnte Olivenkulturen und Naturreservate sowie keinerlei Industrien. Zwar versprechen die Leute der TAP, dass keine Schäden für die Landschaft zu befürchten seien, aber das glaubt in San Foca niemand. Das Örtchen gilt als eines der schönsten an der Küste Apuliens und wird seit 1998 regelmässig mit Preisen überhäuft. Die Bewohner leben von der Fischerei, der Landwirtschaft und von den rund 3000 Touristen, die jedes Jahr während der Hochsaison nach San Foca finden. Bereits 2007 geschah ausserdem ein seltenes Naturereignis: Meeresschikdkröten hatten am Strand ihre Eier vergraben, denen viele kleine Schildkrötchen entschlüpft und Richtung Meer gewatschelt waren.


Hier soll der Mikrotunnel den porösen Felsen unterirdisch durchbohren.

© Maria Grazia Fasiello

 

 

Die Pipeline soll in unmittelbarer Nähe des Badestrandes und 1,5 Kilometer vom Naturreservat Cesine des WWF entfernt verlaufen und auf einer Länge von rund 20 Kilometern durch Wald und Olivenhaine führen. Die Röhre misst zwar nur einen Meter Durchmesser, für ihre Installation braucht es aber einen Arbeitskorridor von knapp 30 Metern, so breit wie eine Autobahn. «Es wird wohl weltweit der einzige Ort sein, wo eine Gasleitung mitten in ein Erholungsgebiet mündet», sagt der No TAP-Vertreter.

 

Warum San Foca?

Ursprünglich hätte die Pipeline direkt in Brindisi aus der Adria steigen sollen, um die dortige Industrie zu versorgen, beziehungsweise die bestehenden Kohlekraftwerke zum Teil in Gaskombikraftwerke umzubauen. Warum ausgerechnet San Foca als Variante gewählt wurde liegt im Dunkeln. Der Respekt vor dem ausgedehnten und geschützten Seegrasgürtel vor Brindisi kann nicht der alleinige Grund sein, denn Seegras gibt es vor San Foca auch. Beobachter vermuten, dass sich die Kohlelobby gegen das teurere Gas stemmt.

 

In San Foca soll als Kernstück ein unterirdischer Mikrotunnel von 2,5 Meter Durchmesser vom Meer her durch die porösen Küstenfelsen getrieben werden, die bereits ständig der Erosion durch die Wellen ausgesetzt sind. Die Röhre, die am Ende des Tunnels im Schnitt einen Meter unter der Erde weitergeführt wird, mündet schliesslich nach rund 20 Kilomentern in ein grosses  Dekompressionszentrum, das auf einer Fläche von 16 Hektaren gebaut wird. Dort soll der Druck des Gases dem nationalen Netz Italiens angeglichen werden.

 

Damit wäre der  Job der TAP erledigt. Für den Anschluss ans italienische Netz ist die SNAM verantwortlich, Italiens grösstes Gasversorgungsunternehmen, das zum Eni-Konzern gehört. Dafür braucht es eine 80 Kilometer lange Verbindung von San Foca in den Norden, ins Städtchen Mesagne bei Brindisi. Doch dafür gibt es noch kein Projekt. Mesagne ist die Hochburg der apulischen Mafia, der Sacra Corona Unita. Ob sie eine Rolle beim Projekt spielen wird oder bereits spielt weiss niemand. In Mesagne machte die Anti-Mafia Bewegung unmittelbar nach dem Bombenattentat von Brindisi auf ihrem Protestmarsch von Rom nach Sizilien halt. Und dort hat auch Melissa ihr kurzes Leben gelebt. Die Bombe, die sie vor der Berufsschule in Brindisi am 19. Mai getötet hatte, stammte jedoch von einem verbitterten Einzeltäter und für einmal nicht von der Mafia.

 

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Sehenswert dazu der kurze Dokumentarfilm der Journalistin Maria Grazia Fasiello, «La strada del gas» (auf Italienisch).