Die Agrochemie- und Nahrungsmittelindustrie, darunter Syngenta und Nestlé, hat in Kalifornien die Kennzeichnung von Gentech-Nahrung verhindert. Sie setzte im Abstimmungskampf 46 Millionen Dollar ein und fiel mit gefälschten Prospekten sowie anderen nicht gerade zimperlichen Schummeleien auf.

von Claudio De Boni

Die USA kennt als einzige Industrienation keine Gentechdeklaration und das wird vorläufig auch so bleiben: Mit finanziell hohem und wirtschaftsethisch bedenklichem Einsatz haben Multis wie Monsanto, Du Pont, Pepsi, Kraft, Bayer, Dow, BASF, Syngenta, Coca Cola oder Nestlé die kalifornische Bürgerinitiative versenkt, die den Golden State zum ersten US-Bundesstaat gemacht hätte, der gentechnisch veränderte Nahrungsmittel als solche kennzeichnet .


Initiative gescheitert – durch den massiven finanziellen Einsatz der globalen Gentechnikindustrie im Abstimmungskampf

© Stephen Lam / Reuters

Mit rund 46 Millionen Dollar war das Abstimmungsbudget der Industrie etwa sechs mal höher als jenes der Deklarationsbefürworter, wo sich Bügerbewegungen, lokale Bauern und Bio-Produzenten organisiert hatten. Das finanziell hochaus überlegene Nein-Komitee war zu mehr als 99 Prozent von Konzernen finanziert, im Gegensatz zum Ja-Komitee, das sein Budget zu einem Drittel von Bürgern gespendet bekam, der Rest kam aus der Biobranche. Der Food- und Pestizid-Industrie ist es damit gelungen, die Stimmung in der Bevölkerung innert zwei Monaten zu kippen : Befürworteten laut Umfragen Anfang September noch 65 Prozent die Initiative, warfen schliesslich 63 Prozent  ein «Nein» ein. Der Unterschied zwischen dem Ja und dem Nein-Lager betrug nach der Auszählung 500’00 Stimmen.


Am 1. Oktober startete die Industrie ihre grossflächige TV-Gegenkampagne

© motherjones.com

 

Der Erfolg für diesen Meinungsumschwung war eine flächendeckende, teils verleumderische Kampagne der Industrie, die sich nicht als solche zu erkennen geben wollte. Die Multis versteckten sich stets hinter industrienahen Wissenschaftlern, setzten erfundene Experten ein und warben mit Institutionen, die nicht damit einverstanden waren oder die fälschlicherweise suggerierten, Teile der Demokraten oder der Polizei zu sein. In einem Fall erwirkte die Stanford Universität, dass das Nein-Komitee die Ausstrahlung eines TV-Spot stoppen musste, in dem sich ein Sprecher der Gentech-Lobby fälschlicherweise als Stanford-Professor ausgab. Irreführend war auch die Propaganda zahlreicher vom Nein-Komitee gesteuerter, irreführender Publikationen und Vereine: Der «Cops Voting Guide», die «Coalition for Literacy» sowie die Gruppe «Californians Vote Green» warben in Plakatkampagnen und in breit gestreuten Mailings für ein Nein. Alle diese Medien und Vereine repräsentieren nicht einmal eine Minderheit dieser Gruppen, die sie zu vertreten vorgeben. Betreut mit der undurchsichtigen Kampagne war der Anwalt und PR-Profi Henry Miller, er war einst die rechte Hand von Gouverneur Schwarzenegger und hat schon mehrere ähnlich dubiose politische Kampagnen für Tabak- und Ölindustrie geführt.

Die Industrie gab sich im Abstimmungskampf nicht zu erkennen

An sich wäre das Ungleichgewicht zwischen Industrie- und Bürger-Budgets für eine Demokratie schon eigenartig. Weiterhin erstaunt jedoch, dass selbst ausländische Konzerne, die in Kalifornien millionenschwere Absatzmärkte haben, eine solche Lügenkampagne unterstützen und so äusserst fragwürdig in den demokratischen Prozess am anderen Ende der Welt eingreifen. Die beiden Schweizer Konzerne Syngenta und Nestlé haben sich bisher nicht zu ihrer 3,5-Millionen-Dollar-Unterstützung geäussert, sie scheinen das Thema unter dem Deckel halten zu wollen. Syngenta will auch auf direkte Anfrage von Greenpeace nicht zu den genannten Vorwürfen Stellung nehmen. Greenpeace Schweiz wollte von Syngenta wissen, wieso sie für eine solche Abstimmung so viel Geld einsetzen, und ob diese Methoden nicht gegen ihre eigenen CSR-Richtlinien verstossen. Syngenta-Sprecher Daniel Braxton schrieb zurück: «Wir verzichten auf eine Beantwortung der gestellten Fragen».


Gentechnisch verändert oder nicht? Die Amerikaner erfahren es nicht, auch dank der Lobby der schweizer Gentechnikkonzerne Nestlé und Syngenta.

© Martin Langer / Greenpeace

 

Nestlé gab sich Mühe, eine etwas ausführlichere Antwort zu formulieren. Das mag daran liegen, dass die politische Einflussnahme in Kalifornien nicht so recht zu den erst kürzlich gemachten Aussagen von Nestlé-Nachhaltigkeits-Chef Hans Joehr passt, der sich im «Food Navigator» folgendermassen zitieren liess: «Wir haben eine sehr einfache Sicht, wenn es um gentechnisch veränderte Lebensmittel geht. Wir hören auf die Konsumenten. Wenn sie Gentechnik nicht in ihren Produkten wollen, tun wir auch keine rein».

Auf diese Divergenz angesprochen, antwortet die Pressestelle des Schweizer Food-Konzerns: «Nestlé ist grundsätzlich für den Zugang der Verbraucher zu Informationen über die Herkunft von Produktzutaten, und wir berücksichtigen die Vorlieben und Einstellungen der lokalen Konsumenten. Das heisst, Nestlé verwendet nicht überall auf der Welt genetisch modifizierte Organismen. Das vorgeschlagene Gesetz hätte die Lebensmittelkosten der kalifornischen Verbraucher in die Höhe getrieben, ohne ihnen einen tatsächlich spürbaren Gesundheits- oder Sicherheitsnutzen zu bringen.»

Tatsächlich behauptete das Nein-Komitee, eine Deklaration würde die jährlichen Lebensmittelausgaben eines Haushaltes pro Jahr um 400 Dollar erhöhen. Dabei zitierten sie allerdings eine ohnehin umstrittene Studie falsch, die zum Schluss kam, dass die komplette Umstellung auf nicht genveränderte Lebensmittel allenfalls diese Kosten verursachen könnte.

Der Widerstand wird in andere Staaten getragen

Kritisch betrachtet wird solche politische Einflussnahme auch von renommierten Wirtschaftsethikern. Guido Palazzo, Professor für Wirtschaftsethik an der Fakultät für Betriebswirtschaft und Ökonomie der Universität Lausanne sagt dazu: «Widersprüche zwischen der Nachhaltigkeitsstrategie und den Lobbyismus-Aktivitäten  wecken Zweifel an der Glaubwürdigkeit eines Unternehmens. Dort wo Unternehmen mit grossen Budgets und mangelhafter Transparenz aggressives Lobbying betreiben dürfen, um ihre Interessen in politischen Entscheidungsprozessen durchzusetzen, verwandeln sich Demokratien in Oligarchien».


Europa ja, USA nein? Was für Europa gilt, scheint für die USA keine Gültigkeit zu haben. Nestlé arbeitet mit Doppelstandards für die beiden Kontinente.

© Christian Åslund

 

Auch bei der Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG) stösst das politische Engagement der Schweizer Konzerne auf wenig Gegenliebe: «Es ist bedauerlich, dass der Konsument in den USA weiterhin keine Wahlfreiheit erhält, ob er sich gentechfrei ernähren will oder nicht. Die aggressive Nein-Kampagne arbeitete mit unlauteren Mitteln. Dass diese von Schweizer Konzernen massgeblich unterstützt wurde, ist ein Armutszeugnis für das Demokratieverständnis der beiden Schweizer Multis. Nestlé arbeitet mit Doppelstandards, was für Europa gilt scheint für die USA keine Gültigkeit zu haben» sagt SAG-Geschäftsleiter Paul Scherer.

Mit Kalifornien geht der Anti-Gentech-Bewegung beim Kampf um eine Kennzeichnungspflicht ein wichtiger Bundesstaat verloren. Wäre die Initiative angenommen worden, hätte die Industrie vermutlich schon bald in anderen Staaten ebenfalls nachziehen müssen. Immerhin ist die Niederlage knapp genug, dass sich die Gentech-Labeling-Bewegung trotzdem ermutigt fühlt. Ähnliche Kennzeichnungsinitiativen sind in Washington, Oregon, Maine, New Mexico, Connecticut, Vermong und anderen Bundesstaaten in Vorbereitung. Das Ganze könnte auf Dauer teuer werden für die Industrie. Und vielleicht, nach den gewonnenen Wahlen, löst nun endlich die Regierung Obama ihr Versprechen ein und engagiert sich tatkräftig und nicht bloss mit Lippenbekenntnissen für eine Gentech-Deklaration.

Bis Politik und Industrie so weit sind, behelfen sich die US-Aktivistengruppen selbst: Auf der Website von Label It Yourself stehen druckbereite Labels zum Download parat. So kann jeder Konsument Gentech-Food selbst kennzeichnen, wenn er ihn überhaupt als solchen erkennen kann. Zu tun gäbe es einiges: 90% der Mais- und Soja-Ernte in den USA kommt aus gentechnisch verändertem Saatgut, vermutlich nahezu 80% aller in den USA verkauften Lebensmittel sind gentechnisch verändert. In der Schweiz, wo Nestlé und Syngenta ihren Hauptsitz haben, ist jegliche Aussaat von Gentech-Samen verboten. Das Gentech-Moratorium soll in der ab 26. November laufenden Wintersession des Ständerates bis 2017 verlängert werden. Wie viel Geld und andere Ressourcen Syngenta und Nestlé in der Schweiz gegen ein Moratorium einsetzen, wollte keiner der beiden Multis sagen.

 

Das sollte nach der Gesetzesinitiative gekennzeichnet werden: 

  •  Lebensmittel aus Gentech-Pflanzen, die unverarbeitet verkauft werden, erhalten die Kennzeichnung «gentechnisch verändert»
  • Verarbeitete Lebensmittel mit Zutaten aus gentechnisch veränderten Organismen erhalten die Kennzeichnung «teilweise hergestellt mit  Gentechnik» (Partially Produced with Genetic Engineering)
  • solche Lebensmittel dürfen nicht wie bisher üblich als «All Natural» oder mit ähnlichen Begriffen vermarktet werden

Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht:

  • Lebensmittel von Tieren, die gentechnisch veränderte Futtermittel enthalten haben
  • Lebensmittel, bei denen der Hersteller ohne es zu wissen oder zufällig Gentech-Pflanzen verwendet hat
  • Verarbeitete Lebensmittel, die bis zu zwei Zusatzstoffe oder Enzyme enthalten, die mit Gentech-Mikroorganismen hergestellt sind