Kreative Aktivisten wissen, wie sich die Öffentlichkeit sensibilisieren lässt. Die Amerikanerin Whitney Black verblüfft mit skurrilen Überlebenskugeln; die Australierin Allana Beltran protestiert in Tasmanien gegen Abholzungen, indem sie sich als Mahnengel auf ein 45 Meter hohes Gerüst schnallen lässt; die Französin Cécile Lecomte steigt in Frankfurt auf Hochhäuser und tanzt so «dem Kapitalismus auf der Nase herum». Die Gruppe 350.org schliesslich macht mit spektakulären Events auf die zunehmende Klimaerwärmung aufmerksam. Die Geschichten dieser Bewegten sind spannendste Adventure-Literatur.

Von David Torcasso 

Dieser Artikel ist zuerst erschienen im Greenpeace Magazin 2/2013.

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 Aktionskünstlerin Cécile Lecomte, 32, Lüneburg, DE

Ein «Eichhörnchen» tanzt den Mächtigen auf der Nase herum

 

Die Umweltaktivistin Cécile Lecomte steigt Wolkenkratzer hoch und bringt Atommülltransporte zum Stillstand. Die französische Ex-Meisterin im Sportklettern setzt sich mit Leib und Seele für politischen Widerstand ein.


Cécile lecomte kopfüber in ihrem Bauwaggon: «Ich möchte die Menschen wachrütteln.»
© Inga Laas

Von David Torcasso — Dutzende von Polizisten sind ratlos. Sie hatten die Strecke nach Rotterdam mit einem Helikopter abgesucht. Der Wärmemonitor ortete nur eine Person – keine Gefahr! Jetzt steht der Zug mit dem radioaktiven Material trotzdem still. In zehn Metern Höhe hängt eine Frau an Seilen vor der Lokomotive: Cécile Lecomte. Die Beamten haben keine Kletterausrüstung. Erst nach sechs Stunden schaffen sie es, Lecomte herunterzuholen. Die spektakuläre Aktion ging 2008 durch die Medien und machte die Umweltaktivistin bekannt.

«Ich verbinde mit Klettern Spass, Freiheit und Politik», sagt Cécile Lecomte, die von ihren Freunden «Eichhörnchen» genannt wird. Das Thema Atomkraft interessiert die gebürtige Französin, seit sie in Deutschland ein Erasmus-Jahr absolvierte. Damals studierte sie Betriebswirtschaftslehre. «Ich begriff, dass es in der Welt nur noch um Wachstum geht. Dabei muss die Wirtschaft dringend schrumpfen, sonst fahren wir uns gegen die Wand.»

Anstatt Worte lässt Lecomte Taten sprechen: «Mit dem, was ich am besten kann – klettern.» Monatelang wohnt sie in Baumkronen, um gegen Fluglärm zu demonstrieren, legt sich in eine Baggerschaufel beim Protest gegen Stuttgart 21, verhindert mit Abseilaktionen Naziaufmärsche und Castor-Transporte oder ist beim Besteigen eines Wolkenkratzers in Frankfurt «dem Kapitalismus auf der Nase herumgetanzt», wie sie sagt. Diese Arbeit sei nicht einfach – doch sie macht weiter. «Die Menschen kritisieren andauernd die Gesellschaft, tun aber nichts für ihre Verbesserung.» Dabei könne sich jeder mit seinen ganz speziellen Fähigkeiten für die Umwelt einsetzen. 

Ihr Kampf für die Umwelt ist oft belastend: Cécile Lecomte verbrachte «bestimmt schon über hundert Stunden» im Gefängnis. Wegen ihrer «Störaktionen» wird sie von der Polizei überwacht und steht praktisch jede Woche vor Gericht. Auf eine Karriere als Lehrerin hat sie verzichtet. Ihr Engagement wurde vom Schulvorstand nicht geduldet: Eines Tages stand die Polizei im Lehrerzimmer.

Den politischen Widerstand lebt die «Aktionskletterkünstlerin» mit medienwirksamen Inszenierungen. «Ich möchte die Menschen wachrütteln. Die Medien sind ein Mittel zum Zweck.» Viele schätzen ihren unermüdlichen Einsatz und helfen ehrenamtlich. «Freiwillige verteidigen mich vor Gericht oder bringen mir Tee, wenn ich in einer Baumkrone sitze», erzählt sie. Der Widerstand lebe davon, wie vielfältig sich Leute engagierten. «Kreativität ist eine gute Waffe!»

Cécile Lecomte geht mit gutem Beispiel voran. Wenn sie nicht klettert, recherchiert sie AKW-Baupläne und Hochspannungsleitungen, macht Radiosendungen und Übersetzungen und hält Vorträge sowie Referate über Atompolitik. Damit verdient sie einen Teil ihres Lebensunterhalts. Daneben erhält sie Zuwendungen von der Bewegungsstiftung in Verden, die soziale Projekte für Ökologie und Menschenrechte fördert. Viel zum Leben braucht die Umweltaktivistin nicht. Sie wohnt in Lüneburg in einem ausrangierten Bauwaggon. Oft geht sie «containern»: Aus Protest gegen die Konsumgesellschaft sammelt sie abends vor den Supermärkten weggeworfene Lebensmittel. Den Strom für ihren Laptop, auf dem sie gerade ein Buch über ihre Aktivitäten schreibt, speisen Solarpanels ein.

Quellen: www.bewegungsstiftung.de 

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