Das Jahresende 2013 könnte für die Fischerei und die Meere eine Wende bringen – zumindest, was Europa betrifft. Bis dahin wird die Fischereipolitik der EU für die kommenden zehn Jahre neu ausgerichtet. Frankreich spielt dabei eine besondere Rolle: Das Land ist eine der grössten Fischereinationen und konsumiert am meisten Meerestiere. Zudem ist es nach den USA das Land mit der grössten Meeresfläche. Abgefischt wird sie von Grossunternehmen – die französischen Kleinfischer, meist traditionelle Familienunternehmen, gehen zunehmend leer aus.

Von Bruno Heinzer

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Guy Vaudo © Lagazeta

Guy Vaudo, Kleinfischer und Taucher in Sète an der Mittelmeerküste, ist ein Mann der klaren Worte: «In weniger als einem halben Jahrhundert hat es die industrielle Fischerei geschafft, Fischbestände zu übernutzen, die über Jahrtausende präsent waren.

Ich bin Fischer geworden aus Überzeugung und aus Leidenschaft. Ich wünsche mir, dass die EU-Fischereipolitik endlich auch die Menschen berücksichtigt, die auf nachhaltige Weise arbeiten. Wir kleinen Fischer hatten schon immer ein Bewusstsein für die Umwelt – sie ist die Grundbedingung unserer Existenz. Unsere Fischerei erlaubt es uns, die Grösse der Fische auszuwählen, die wir behalten wollen. Wir können uns den Jahreszeiten anpassen und respektieren den natürlichen Jahreszyklus der Arten, die wir befischen.»

Wird das Steuer in der Fischereipolitik nicht herumgerissen, gibt es in 35 Jahren nichts mehr zu fischen. Heute werden 80 Prozent der Fangquoten an die industrielle Fischerei vergeben, die mit ihren unselektiven und zerstörerischen Fangmethoden für die Überfischung der Meere verantwortlich ist. Sie entnimmt den Meeren zwei- bis dreimal so viel Fisch, wie nachwachsen kann. Dazu kommen Millionen von Meereslebewesen, die tot oder verstümmelt als Beifang wieder über Bord geworfen werden. Das Absurdeste ist, dass diese mit neuster Technologie aufgerüstete Flotte von riesigen Fabrikschiffen nicht einmal kostendeckend arbeitet! Nur dank Hunderten von Millionen Euro Steuergeldern kann sie über Wasser gehalten werden.

Auf der anderen Seite bekommen die lokalen Küstenfischer – die in Frankreich mehr als die Hälfte, europaweit sogar 80 Prozent der Beschäftigten im Fischereisektor ausmachen – keine Subventionen und nur 20 Prozent der Fangquoten. Noch finden sie in Brüssel kein Gehör.


Anne-Marie Vergez © Lagazeta

Anne-Marie Vergez, 53, Führerin eines Fischerboots in Saint-Jean-de-Luz (Baskenland): «In der industriellen Fischerei sind die Schiffsbesitzer nicht die Fischer selbst, sondern Geschäftsleute. Anders bei der Küstenfischerei: Hier fahren die Bootsbesitzer mit ihrem eigenen Boot hinaus.»

Anne-Marie Vergez, Fischerin und Besitzerin der «Nahikari» (auf Baskisch: Wunsch), ist die einzige Frau, welche die Arbeit als Patron-Pêcheur in Saint-Jean-de-Luz im Baskenland ausübt. Sie fischt mit der ausgelegten Grundleine (Palangre). Das ist eine Hauptleine, an der in regelmässigen Abständen Seitenarme oder Vorfächer angebracht sind, wo die beköderten Haken sitzen. Diese Leinensysteme werden für einige Stunden ausgelegt und dann eingeholt. Die traditionelle Technik ist wohl eine der ältesten überhaupt. Bevor man die Palangre vom Boot aus verwendete, wurde sie auf den Stränden ausgelegt, vor auflaufender Flut.

Anne-Marie kämpft für ein einziges Ziel:

«Die Politik auf französischem und europäischem Niveau muss endlich die kleinen Fischer berücksichtigen; die Einzigen, die in der Lage sind zu überdauern, weil sie einen nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen pflegen.»

Die Kleinfischerei, die in einem begrenzten Gebiet in Küstennähe fischt und deren Bootsbesitzer in der Regel die Fischenden selbst sind, hat eine grundsätzlich andere Denk- und Vorgehensweise als multinationale Fabrikschiffsgesellschaften wie zum Beispiel die PFA (s. Magazin 2/2013). Die lokalen Fischer streben keine Profitmaximierung an und müssen keinen Aktionärshunger nach Dividenden stillen, sondern lediglich ihrer Familie eine Lebensgrundlage ermöglichen. Meist fischen sie schon seit Generationen und entsprechend denken sie auch voraus: Es soll auch noch Fisch für ihre Kinder und Kindeskinder geben. Zudem angeln sie mit spezifischen Methoden nach genau einem Zielfisch, nach dem Wolfsbarsch zum Beispiel mit Leinen (im Winter) oder Angelruten (im Sommer), nach dem Seehecht mit Grundleinen (Palangre) oder nach Krustentieren mit Fallen. Hängt mal ein anderer Fisch am Haken, wird auch der verkauft oder selber verspeist. Beifang gibt es nicht. Die Kleinfischer schädigen die Biotope nicht und sind flexibel genug, sich im Jahresverlauf den Zyklen der Fischarten anzupassen. Sie halten sich im Unterschied zu den Mannschaften der grossen Schlepp- oder Ringnetztrawler an Schonmasse und Schonzeiten, haben sie doch ein Interesse, im kommenden Jahr am gleichen Ort wieder ausgewachsene Fische fangen zu können.

Um dieser zukunftsfähigen Fischerei endlich ihren gebührenden Platz in der EU-Politik zu verschaffen, haben sich die Kleinfischer in Frankreich erstmals organisiert. In der Plateforme de la Petite Pêche Artisanale haben sich bereits über 500 Fischer mit Booten von maximal 12 Metern Länge zusammengetan – die meisten aus dem Languedoc-Roussillon, der Bretagne und dem Baskenland sowie einzelne aus den Überseegebieten. Sie wollen darauf hinwirken, dass die neue gemeinsame Fischereipolitik der EU endlich auch ihre Interessen und ihre Leistung berücksichtigt und die Überkapazitäten der unrentablen Fabrikschiffe wirkungsvoll reduziert. Die Fangquoten sollen in Zukunft aufgrund ökologischer, sozialer und territorialer Gesichtspunkte vergeben werden. Die Küstenfischer, die lokal verwurzelt sind, haben seit je so gefischt, dass auch die nachfolgenden Generationen noch etwas zu fangen haben. Diese Fischerei ist zukunftsfähig und muss gefördert werden.


Gwenaël Pennarun © Lagazeta

Gwenaël Pennarun, traditioneller Küstenfischer aus Sainte-Marine (Bretagne):

«Ich kann nicht sagen, ob ich diesen Beruf gewählt habe oder der Beruf mich. Schon von Kindsbeinen an habe ich meinen Vater aufs Meer begleitet, und es sind jetzt dreissig Jahre, dass ich in der südlichen Finistère den Wolfsbarsch mit der Leine fange. Fischer zu sein, ist für mich ein Synonym für Freiheit – oder vielmehr, so war es früher. Denn jetzt muss ich raus, wenn der Fisch auftaucht, und bevor er wieder weg ist. Wir merken, dass die Zahl der Fische in den letzten dreissig Jahren stark abgenommen hat.».

Greenpeace hat von März bis Juni dieses Jahres eine «revolutionäre» Schiffstour durchgeführt. Zum ersten Mal waren die Fischer keine Gegenspieler, sondern gemeinsam mit der Greenpeace-Crew an Bord der Arctic Sunrise, die durch die europäischen Meere gezogen ist mit dem Ziel, die nachhaltig arbeitenden lokalen Fischer zu unterstützen und eine Änderung der EU-Fischereipolitik zu fordern. Als Symbol für den gemeinsamen Kampf für gesunde europäische Meere reichte die Arctic Sunrise eine Schiffslaterne von Land zu Land weiter – mit Beginn in Rumänien und dem Schlusspunkt in England. Dabei legte sie in neun Ländern an und sammelte Unterstützungsbotschaften für die lokale Küstenfischerei, um Druck auf die EU-Verhandlungen zur Fischereireform aufzubauen.

Die gemeinsamen Anstrengungen von Kleinfischern, Greenpeace und anderen Meeresschützern tragen bereits erste Früchte. Ende Mai haben Unterhändler des EU-Ministerrats und des EU-Parlaments einen Entwurf zur neuen Fischereipolitik vorgelegt, der erstmals die Fangmengen an wissenschaftlich abgestützte Nachhaltigkeitsgrenzen binden und den Beifang deutlich reduzieren soll. Der erzielte Kompromiss muss allerdings noch von den Mitgliedstaaten und vom EU-Parlament abgesegnet werden, damit das Gesetzespaket Anfang 2014 in Kraft treten kann.


Haupt-forderungen von Kleinfischern und Greenpeace

 Um die Überfischung der Meere in Europa zu stoppen, stellen Kleinfischer und Greenpeace folgende drei Hauptforderungen an die neue EU-Fischereipolitik 2014–2023:

I – Der Fischereidruck muss sinken: Die gefischten Mengen müssen in Übereinstimmung stehen mit den Fischressourcen und ihrer Reproduktionskraft. Fischen wir weniger, aber besser! Respektieren wir die wissenschaftlich untermauerten Fangquoten und respektieren wir die Schutzzonen, damit sich die Bestände erholen können.

II – Schluss mit dem Beifang: Die Verschwendung muss aufhören, die Fangmethoden müssen selektiv sein.

III – Zusammenhang zwischen Fangquoten und Nachhaltigkeit: Die höchsten Fangquoten sollen diejenigen Fischer erhalten, welche die nachhaltigsten Praktiken anwenden – sowohl aus sozialer Perspektive wie auch im Hinblick auf die Umwelt.


 Tipps für Konsumenten

  • Auch die Konsumenten können etwas beitragen, zum Beispiel beim Einkauf während der Ferien am Meer.
  • Direkt am Hafen oder in der Fischhalle einkaufen, nicht beim Grossverteiler. Intermarché betreibt z.B. in Frankreich eine eigene Fischereiflotte.
  • Keine zu kleinen Fische kaufen. Die Schonmasse betragen für den Wolfsbarsch (Bar/Branzino) 36 cm, für Makrelen (Maquereau/Sgombro) 20 cm, für den Seehecht (Merlu/Merluzzo) 27 cm oder für die Meerbrasse (Sar/Sarago) 25 cm.
  • Keinen Fisch während der Reproduktionszeit kaufen, also zum Beispiel Bar/Wolfsbarsch nicht zwischen Mitte Februar und Ende März.
  • Qualität statt Quantität: Auf lokale Labels wie «Bar à la ligne» oder «Merlu de ligne» achten statt billigen Tiefkühl- oder Zuchtfisch kaufen.
  • Fragen stellen an der Fischtheke oder im Restaurant, woher der Fisch kommt, ob aus kleiner, nachhaltiger Fischerei oder von einem grossen Fischtrawler.
  • Die Petition von Fish Fight France: www.fishfight.fr unterschreiben.

 


Supertrawler 30 Meilen vor der mauretanischen Küste: Greenpeace setzt sich in Westafrika für eine nachhaltige Fischerei ein, welche die Bedürfnisse der lokalen Familienbetriebe und der lokalen Bevölkerung sowie die Schonung der Bestände berücksichtigt. © Pierre Gleizes / Greenpeace

 

Meeresschutzgebiete / Grenelle de la Mer

Seit Jahren drängt Greenpeace auf die Schaffung von Meeresschutzgebieten, die 40 Prozent der Weltmeere umfassen und in denen, zumindest bis sich die Bestände erholt haben, keine industrielle Fischerei mehr stattfinden darf. Nur so kann der völlige Kollaps der Ozeane verhindert werden. Inzwischen sind auch die zuständigen UNO-Gremien zum gleichen Schluss gekommen und schlagen die Unterschutzstellung von 20 Prozent der Meeresfläche vor.

Um diese Ziele der Biodiversitätskonvention umzusetzen, hat Frankreich von 2009 bis 2012 einen «Grenelle de la mer» einberufen, eine dreijährige Initiative mit dem Meer im Mittelpunkt. Der «Grenelle» ist ein breites Vernehmlassungsverfahren unter Einbezug aller betroffenen Gruppierungen (auch Greenpeace France beteiligt sich daran) und mit Hunderten von Arbeitsgruppen, die ihre Resultate am Ende zentral zusammenführen. Er hat der Regierung das Ziel gesetzt, bis 2020 insgesamt 20 Prozent der französischen Meere unter Schutz zu stellen (10 Prozent davon als fischereifreie Zonen): ein guter Entschluss, aber nicht verbindlich genug.

Leider sind staatliche und internationale «Beschlüsse» meist nur Lippenbekenntnisse, die unter dem Druck der mächtigen Lobby der industriellen Fischerei schnell wieder vergessen gehen. Weltweit stehen erst 1,2 Prozent der Meere unter Schutz und auch in den französischen Gewässern ist noch kaum etwas von den Grenelle-Zielen umgesetzt. Den Meeren bleibt aber nicht mehr genügend Zeit, sie können nicht auf die Umsetzung der grossen Ziele warten. Umso dringlicher ist es, bei der Fischerei direkt anzusetzen, die schlimmsten Exzesse auszumerzen und die nachhaltigsten Methoden zu fördern.