Asti Roesle ist Vollblut-Campaignerin bei Greenpeace. Im August nahm sie die gravierende Verschmutzung der Komi-Region im Norden Russlands in Augenschein. Sie erlebte die Situation vor Ort noch schlimmer als erwartet.

Asti Roesle ist Vollblut-Campaignerin bei Greenpeace. Im August nahm sie die gravierende Verschmutzung der Komi-Region im Norden Russlands in Augenschein. Sie erlebte die Situation vor Ort noch schlimmer als erwartet.

Mittwoch, 27. August 2014

Die Schweizer Greenpeace-Campaignerin Asti Roesle erfasst die Öllecks auf einer Karte

 

Eine Frau angelt am Petschora-Fluss. Nikolay Fedorov fragt sich: Wie lange wird sie wohl noch leben? Er kann das Öl riechen, das täglich in den Fluss geschüttet wird. «Einige Menschen können hier ohne die Fischerei nicht überleben», erklärt Nikolay den Versuch der Frau, einen Fisch zu fangen – der höchstwahrscheinlich mit Öl vergiftet ist. Solche Szenen gehören zum Alltag.

Ich und weitere Greenpeace-Kolleginnen und -Kollegen haben uns letzte Woche in der russischen Komi-Region vor Ort ein Bild der massiven Vergiftung gemacht. Die Stadt Usinsk blühte in den 1980er-Jahren auf – der Ölrausch machte die Region für die grossen Ölkonzerne attraktiv. Mehr als 30 Jahre später sieht und riecht man überall Öl.

Nikolay Fedorov und Katerina Diachova sind beide im «Save The Pechora»-Komitee aktiv, das lokale Umweltschützerinnen und Umweltschützer 1989 gegründet hatten. Sie setzen sich für den Erhalt der Natur und gegen Menschenrechtsverletzungen rund um den Petschora-Fluss ein. Die Ölbohrungen zerstören ihre Dörfer und Nachbarschaften.

Katerina und Nikolay erzählen von unzähligen Versuchen, Ölbohrungen in der Region zu stoppen – oft ohne Erfolg. «Wenn ein Ölunfall passiert, dann kontaktieren wir die Konzerne und die lokalen Beamten. Aber entweder bekommen wir inhaltsleere Antworten, oder wir erhalten sie einen Monat zu spät.» Das schmutzige Öl findet schnell seinen Weg in die wunderschönen Ökosysteme der Tundra und der Taiga.  Einmal wurde Katerina mit juristischen Konsequenzen gedroht als sie versuchte, einen der vielen Ölunfälle zu fotografieren. Sie würde die lokalen Gesetze brechen, hiess es. Greenpeace stand ihr damals zur Seite. «Wir baten Greenpeace um Rat», sagt sie, «und erfuhren dabei, dass unser Vorgehen absolut legal ist.»

Das ist über 20 Jahre her. Greenpeace und das «Save The Pechora»-Komitee arbeiten seither zusammen, um die einzigartige Komi-Landschaft zu erhalten. Die Petschora nimmt dabei eine wesentliche Rolle ein: Die indigene Bevölkerung lebt an und von dem Fluss, dessen Bedeutung über die Region hinaus geht: Die Petschora fliesst in den Arktischen Ozean – und mit ihr und weiteren Flüssen strömen jedes Jahr etwa 556 Millionen Liter Öl in die hochempfindliche Arktis.

Es waren die beiden Organisationen, die 1994 bei Usinsk den bis heute weltweit grössten Ölunfall, der sich je an Land ereignete, an die Öffentlichkeit brachten. Noch ein Jahr zuvor versuchten sie, die Behörden vor der sich anbahnenden Katastrophe zu warnen. Sie wurden ignoriert. Die Folgen waren katastrophal: 100’000 Tonnen Öl vernichteten den nährstoffreichen Boden. Die hiesige, traditionelle Rentier-Zucht endete fast komplett. «Zwei Jahre lang wurde die durch das Öl verunreinigte Landschaft mit der Hilfe der lokalen Bevölkerung gereinigt. Keiner von diesen Menschen ist heute noch am Leben», erzählt Katerina. Ihre Aussage bringt unsere Runde zum Schweigen.

Das Ereignis wirkt nach: «Bei einem Ölunfall im letzten Jahr erbaten die Behörden die Menschen um Hilfe bei den Aufräumarbeiten. In unserem Dorf weigerten sich alle», so Katerina weiter. Sie berichtet, wie sich die Gesundheit der lokalen Bevölkerung verändert hat. Viele Menschen in der Umgebung leiden an Haut- oder Lungenkrankheiten, oder sie haben Magenprobleme. Erst im Juli starben zwei ihrer Bekannten an Lungenkrebs. Sie wurden 47 und 49 Jahre alt. Trotz dieser Tragödien arbeiten viele Menschen in der Region für die Ölindustrie. Unfreiwillig. «Es gibt schlichtweg keine Alternativen mehr», so Katerina.

Ölunfälle geschehen in Russland aufgrund gebrochener Pipelines täglich. Die Komi-Region ist da keine Ausnahme. Jedoch wohnen hier mehr indigene Gemeinschaften als anderswo. Die Verschmutzung bedroht direkt ihre Lebensgrundlagen, die in Jagd, Fischerei und Landwirtschaft wurzeln.

Ich rede oft darüber wie die Verbrennung fossiler Brennstoffe den globalen Klimawandel anheizt. Hier in Komi wird mir eine weitere Dimension bewusst: Die Suche nach Öl zieht massive Menschenrechtsverletzungen nach sich, und viele Menschen müssen für den Profit der Ölkonzerne ihr Leben lassen. Die einzigartige Flora und Fauna der Komi-Region wird Stück für Stück zerstört. Das alles wird vertuscht und ignoriert – wer sich dagegen wehrt, läuft an eine Wand. Trotzdem geben Nikolay und Katerina nicht auf. Sie kämpfen weiter für ihr Dorf, ihre Region, ihre Heimat. Sie haben Greenpeace an ihrer Seite. Wir werden uns auch in Zukunft dafür einsetzen, dass die Ölkonzerne endlich Verantwortung für ihre Taten übernehmen; in der Komi-Region, in Russland, in der Arktis und anderswo. Wir wollen uns für Katerinas Traum einsetzen: eines Tages wieder gesunde Fische in der Petschora zu sehen. 

 

 

 

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