27. Februar – Unser Auto schlängelt sich durch die kleinen Täler rund um das Dorf Iitate, 35 Kilometer nordwestlich des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi. Die Landschaft wirkt einladend – bewaldete Hügel, Reisfelder und grosszügige Häuser. Ich verstehe, weshalb die Region so heisst: Fukushima bedeutet auf Japanisch «Insel des Glücks».

Ich bin nun zum vierten Mal in dieser Region. Seit der Katastrophe von 2011 durchkämmen die Strahlenschutzteams von Greenpeace diese Gebiete, ausgerüstet mit Instrumenten zur Messung der abgelagerten Radioaktivität, die von den Winden und den Regenschauern nach dem Unfall verbreitet worden ist. Ich bin 2012 zum ersten Mal hierhergekommen. Damals mutete die Landschaft ziemlich gespenstisch an: nicht eine Katze, nicht ein Geräusch. Iitate wurde einen Monat nach den Explosionen im Atomkraftwerk evakuiert, nachdem die Behörden schliesslich zugegeben hatten, dass die Strahlenbelastung unerträglich war.

Seither hat sich vieles verändert hier. Die Landschaft ist übersät mit grossen Ballen aus schwarzem Plastik. Als ich sie zum ersten Mal sah, dachte ich, es seien Futterballen, wie man sie in der Schweiz oft rund um Bauernhöfe sieht. Nur handelt es sich beim Inhalt hier um atomare Abfälle. Die schwarzen Taschen enthalten in Wirklichkeit die verseuchte Landschaft von Iitate.

Die Behörden haben nämlich beschlossen, die Region zu «dekontaminieren», das heisst, ihr die Radioaktivität zu entziehen, die sich abgelagert hat. In der Praxis ist das eher kompliziert – die giftigen Partikel haben sich überall festgesetzt: im Boden, in der Vegetation, auf den Gebäuden. Der einzige Weg, die Radioaktivität zu senken, ist, sie zu entfernen – oder besser gesagt, sie zu verlagern – eben in diese Berge von schwarzen Taschen.

Ganze Schwärme von Arbeitern kratzen nun also mit Baggern, Rechen und Bürsten unermüdlich die oberste Schicht der Landschaft weg und verpacken sie in diesen Taschen. Alles kommt hinein: Humus, Gras, Gestrüpp, manchmal sogar ganze Bäume. Eine Riesenarbeit. Gegenwärtig sind es nicht weniger als neun Millionen schwarze Taschen, die sich in der Region anhäufen. Die schwarzen Taschen von Iitate sind ein eindrückliches Mahnmal für die unsichtbare Radioaktivität von Fukushima.

Dennoch zeigt der Geigerzähler in meiner Hand, dass der Kampf gegen die Strahlung absurd ist. Wenn die Dekontamination auch eine Senkung des Strahlungspegels herbeiführt, so wird dennoch kein normaler Pegel erreicht, der es den Menschen erlauben würde, dort zu leben – bei Weitem nicht. Zudem führen die Topografie der Region und ihre grossen Wälder, die nicht dekontaminiert werden können, zu einer erneuten Kontamination der «gesäuberten» Gebiete. Was tun gegen das natürliche Rinnen des Wassers und gegen die Winde, die radioaktives Cäsium herbeitragen? Und was tun mit diesen Abfällen, die während Jahrzehnten, ja sogar Jahrhunderten gefährlich bleiben werden? Wo sollen sie gelagert werden? Diese Riesenarbeit ist in Tat und Wahrheit die eines verzweifelten Sisyphus.

Der Verbissenheit, die Böden zu dekontaminieren, liegt vielleicht eine gute Absicht zugrunde: den Opfern der Katastrophe ihr Land zurückzugeben, damit sie dort wieder in guter Gesundheit leben können. Es steckt jedoch auch eine schändliche finanzielle Logik dahinter: Indem versucht wird, die Strahlenbelastung zu senken, wollen die Behörden die finanziellen Entschädigungen minimieren, die den evakuierten Familien zugesprochen worden sind. Die japanische Regierung hat bereits angekündigt, dass die Menschen in zwei Jahren kein Anrecht mehr auf finanzielle Hilfe jeglicher Art haben werden. Nach dem Motto: Kehrt auf euer verseuchtes Land zurück oder schlagt euch so durch.

Ich hoffe, dass es nicht so kommen wird. Sondern dass die Regierung ihre Meinung ändern wird und den aus Fukushima vertriebenen Menschen die Wahl lässt, dorthin zurückzukehren, wenn sie dies wünschen, oder eine Entschädigung zu erhalten, um das Glück anderswo wiederfinden zu können – in einem anderen Gebiet der japanischen Insel.