Am 27. April 2018 haben sowohl die EU wie auch die Schweiz drei für Bienen besonders giftige Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide verboten. Diesem Entscheid ist einer über sechs Jahre intensiv geführten Kampagne zu verdanken, die in der Schweiz ihren Ursprung nahm. Marianne Künzle, unsere ehemalige Landwirtschafts-Campaignerin, schaut auf die Anfänge der Kampagne zurück und ihr Nachfolger, Philippe Schenkel, erzählt wie es weiter geht.

Wie alles begann – Marianne Künzle* schaut zurück

Vor sechs Jahren war es, als eine Handvoll Greenpeace-Freiwillige aus der Waadt eine Petition lancierte aus Sorge um das grassierende Bienensterben. Nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit häuften sich Meldungen von kollabierenden, eigentlich gesunden Honigbienenvölkern. Der Verdacht, dass die hochpotenten Insektizide der Gruppe Neonicotinoide das Bienensterben mitverursachen würden, sollte sich sehr bald erhärten. Im Januar 2013, ein Monat bevor Greenpeace-AktivistInnen zusammen mit ImkerInnen dem Bundesrat Schneider-Ammann die Petition mit 80’000 Unterschriften überreichen konnten, warnte erstmals die EU- Kommission vor den Folgen des steigenden Gifteinsatzes für Honig- und Wildbienen. Die Freiwilligen waren engagierter denn je, und bereit, am Thema dranzubleiben. Greenpeace hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits über ein Jahrzehnt konsequent und erfolgreich für eine gentechfreie Landwirtschaft engagiert. Die Tragweite des Bienensterbens veranlasste uns schlussendlich, eine internationale Bienenkampagne zu starten.

Eine Arbeitsgruppe mit Lead in der Schweiz und in Ungarn definierte Massnahmen und Ziele, erarbeitete die wissenschaftlichen Grundlagen. Bestens in Erinnerung werden mir die intensiven Wochen bleiben, als in ganz Europa Film-Porträts von Imkerinnen und Imkern entstanden, die von ihren Bienen erzählten. Wie sehr mich ihre Geschichten berührt haben, ihre Berichte über unheimliche Völkerverluste, die finanziellen Einbussen der Direktbetroffenen, das unmögliche Nebeneinander von Bienenstöcken und intensiv bewirtschafteter Felder. Die Bedrohung der Umwelt hatte eine Dimension angenommen, die wir auch hier in der Schweiz zu spüren bekommen würden. Es blieb – und es bleibt – nicht viel Zeit. Unser Bericht zum Bienensterben und die Video-Porträts erzielten Wirkung.

Im August 2013 hissten wir am Syngenta-Hauptsitz in Basel eine riesengrosse, sterbende Biene. Der Auftritt zusammen mit Francesco Panella, dem Präsidenten der europäischen Imkervereinigung BeeLif an der Generalversammlung von Syngenta bleibt unvergessen: Der Syngenta-CEO und die Mitglieder des Verwaltungsrates reagierten auf unsere Wortmeldungen gereizt und nervös. Eines der drei Bienengifte stammt aus Syngentas Küche: Thiamethoxam, einer der ganz grossen Kassenschlager des Pestizidkonzerns. Syngenta versuchte zu beschönigen und uns zu diffamieren. Direkt, an der Generalversammlung, und im Hintergrund.

Francesco Panella protestiert mit Greenpeace-AktivistInnen an der Generalversammlung von Syngenta

Die Politik reagierte nicht, weder in Brüssel noch in Bern. Es zogen Jahre ins Land, und den Bienen ging es schlechter. Wie viele Gespräche, Telefonate, Publikationen, Auseinandersetzungen mit zuständigen Ämtern in der Schweiz und im Ausland mussten noch während meiner Zeit bei Greenpeace und darüber hinaus stattfinden, bis Sache in die Bewegung kam! Umso mehr freue ich mich über diesen überfälligen Etappensieg. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es den Leuten, die die Verbote der drei Gifte verfügt haben, nun endlich dämmert: die Gifte sind mehr als Gifte, sie sind ein Symptom eines kranken Systems. Es braucht eine andere Landwirtschaft!

Und wie geht es nun weiter – ein Ausblick von Philippe Schenkel

Bedeutet dieser grosse Erfolg nun, dass die Gefahren für die Bienen gebannt sind? Leider nein. Verboten wurden bloss drei Wirkstoffe, nach wie vor dürfen über 80 verschiedene Pestizide eingesetzt werden, die als «besonders bienengiftig» gelten. Was für Auswirkungen diese giftigen Pestizide auf die Bienenzucht hat, wird im folgenden Video erläutert.

Und wie Untersuchungen in Deutschland letztes Jahr gezeigt haben, sind die Bienen nur die Spitze des Eisbergs: Über die letzten Jahrzehnte ist die Anzahl aller fliegenden Insekten in unseren Lebensräumen massiv zurückgegangen. Da Insekten die Basis der Futterpyramide darstellen, führt ihr Rückgang zwangsläufig zu weniger Amphibien, Reptilien, Vögeln und Säugetieren – wir zerstören also die Biodiversität von Grund auf. Aus der Schweiz liegen keine vergleichbaren Untersuchungen vor, aber auch der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Situation in der Schweiz wohl vergleichbar ist mit Deutschland. Die Landwirtschaft trägt in diesem Drama nicht die alleinige Schuld; die zunehmende Siedlungsfläche, sterile urbane Grünflächen, Lichtverschmutzung und weitere Faktoren dürften eine Rolle spielen. Aber alle Indizien zeigen klar, dass die Landwirtschaft der grösste Treiber ist.

Was ist zu tun? Um die Insekten zu schützen – und damit unsere reichhaltige Tierwelt zu bewahren – braucht es rasch ein Umdenken in der Landwirtschaft. Der Einsatz von Pestiziden muss massiv reduziert werden, dabei sind bienengiftige Wirkstoffe prioritär anzugehen. Zentral ist zudem eine Umkehr bei der «Monotonisierung» der Landschaft, also wieder mehr Säume, Hecken, Ackerrandstreifen, natürliche Bachläufe – sprich mehr Wildnis – zuzulassen. Ausserhalb der Landwirtschaft braucht es endlich eine griffige Raumplanung, welche wertvolle Flächen vor der Überbauung schützt und eine Biodiversitäts-Initiative für Privatgärten, öffentliche Grünflächen und Gewerbearealen. Das Potenzial ist riesig und die nötigen Schritte sind bekannt – nur der politische Wille fehlt bisher.

Greenpeace – zusammen mit über 20 weiteren Organisationen – engagiert sich mit aller Kraft für eine rasche Pestizidreduktion und eine nachhaltige Agrarpolitik. Mit der bevorstehenden Reform der Agrarpolitik AP22+ hat die Schweiz die Chance, die Weichen in die richtige Richtung zu stellen. Packen wir sie!

*Marianne Künzle hat von 2002 bis 2015 als Landwirtschafts-Kampagnerin bei Greenpeace Schweiz gearbeitet. Mehr zu Marianne Künzle findet ihr hier.