Eine schwedische Studie aus dem Jahr 2017 sorgt mit der Aussage für Aufsehen, dass jedes Kind pro Jahr über 58 Tonnen CO2 produziert, insgesamt weit mehr als Auto fahren, Fliegen und Fleisch essen zusammen. Faktisch gesehen sind Kinder also die Klimasünde Nummer eins. Doch darf man unseren Nachwuchs mit Klimagasen gleichsetzen? – Antworten von Stefan Riedener (Philosoph am Ethik-Zentrum der Universität Zürich), Verena Brunschweiger (Lehrerin und Autorin des Buchs «Kinderfrei statt kinderlos»), Dominic Roser (Lehr- und Forschungsrat am Interdisziplinären Institut für Ethik und Menschenrechte der Universität Fribourg) sowie Catherine Newmark (Philosophin, Kulturjournalistin und Publizistin).

Catherine Newmark, Sie sind Mutter von zwei Kindern. Wunschkinder?

Catherine Newmark: Ich selbst wollte nie unbedingt Kinder. Ich stamme aus einem Milieu und einer Zeit, als man Kinder sehr stark mit einem Hausfrauen-Dasein assoziierte, was ich immer unattraktiv fand. Doch dann kam ich mit meinem Mann zusammen, er verspürte einen sehr starken Kinderwunsch. Das war zu einer Zeit, als langsam klar wurde, dass Mutterschaft nicht zwingend auch ein Dasein als Hausfrau bedeutet.

Stefan Riedener, Sie werden bald Vater. Wunschkind?

Stefan Riedener: Ja. Ich freue mich darauf, für einen Menschen Verantwortung zu tragen. Und ich freue mich auch sehr auf die Beziehung, die ich zu meinem Kind haben werde. Ich stelle mir das als sehr, sehr wertvoll und erfüllend vor.

Verena Brunschweiger, Sie sind die einzige, die im Rahmen dieser Diskussion keine Kinder hat.

Verena Brunschweiger: Ich habe vor zehn Jahren begonnen über das Thema Kinder zu recherchieren und bin dabei darauf gestossen, dass es ökologisch gar nicht sinnvoll ist, sich zu reproduzieren.

Deshalb plädieren Sie nun dafür, die Klimadebatte am Thema Kinder abzuhandeln?

Verena Brunschweiger: Alle Beiträge zum Klimaschutz sind wichtig – auch die ganz persönlichen wie etwa keine Kinder kriegen. Entsprechend stört mich sehr, dass Kinder als der wichtigste Faktor in Sachen Klima bei der Klimadiskussion ausgeklammert werden. Das darf man nicht unter den Tisch kehren, nur weil es nicht ins Gesellschaftsbild passt.

Dominic Roser, finden Sie es auch richtig, die Kinder in die Klimadebatte einzubeziehen?

Dominic Roser: Nein. Das ist eine deprimierende Message. Ist es wirklich nötig, so über das Thema Kinderkriegen zu reden?

Catherine Newmark, Ihre Meinung?

Catherine Newmark: Ich finde das keine sehr sinnvolle Diskussion. Die Antinatalismusbewegung – wir sollten uns aus den verschiedensten Gründen nicht vermehren, weil wir eine missratene Spezies sind – ist eine randständige ethische Position. Wenn wir schon Ethik machen, dann sollten wir sie doch für die Menschen machen! Sowie natürlich für andere Spezies auf diesem Planeten. Zudem finde ich die Anti-Kinder-Debatte insgesamt etwas lächerlich, weil sie sich im Wesentlichen im Mini-Milieu einer – sagen wir – gut gebildeten Grün-Wählerschaft abspielt, die weltpolitisch gesehen absolut keinen Einfluss auf die Entwicklung der Bevölkerungszahlen hat.

Eine Studie aus dem Jahr 2017 besagt, dass jedes Kind pro Jahr 58 Tonnen CO2 produziert. Im Detail mag sie umstritten sein, doch grundsätzlich liegt sie richtig. Oder nicht?

Dominic Roser: Ein Punkt stimmt trivialerweise: Wir alle rufen Emissionen hervor, und wenn ich jetzt noch zusätzlich Kinder auf die Welt stelle, dann nehmen die Emissionen logischerweise zu. Dennoch ist der Gedankengang problematisch. Zum einen, weil die Studie davon ausgeht, dass die Emissionen pro Kopf hoch bleiben und folglich unsere Kindeskinder immer noch so viel CO2 produzieren. Das ist aber eine sehr fragwürdige Annahme. Zudem halte ich die Vergleiche für nicht statthaft. Kinder mit den Konsequenzen von Autofahren zu vergleichen, ist nicht richtig.

Stefan Riedener, was sagen Sie?

Stefan Riedener: Diese konkrete Zahl beruht, wie Herr Roser sagt, auf der Annahme, dass alle künftigen Generationen pro Kopf gleichviel CO2 produzieren werden wie wir heute. Das darf ohnehin nicht sein. Wir müssen unseren CO2-Ausstoss bald einmal senken, und zwar drastisch. Und ich habe immer noch die Hoffnung, dass uns das auch gelingt. Aber grundsätzlich ist die Aussage richtig. Wenn wir Kinder bekommen, dann nehmen andere Lebewesen dadurch auch Schaden. Das ist moralisch relevant.

Ohne weitere Kinder hätte der Planet in rund 100 Jahren Ruhe von uns. Wäre das nicht sinnvoll?

Stefan Riedener: Da bin ich komplett anderer Meinung. In erster Linie schützen wir Klima und Planet zugunsten der Menschheit und der anderen Lebewesen, aber nicht im Sinne eines Selbstzwecks. Das Ziel ist es nicht, die Spezies Mensch aussterben zu lassen. Im Gegenteil: Ich finde einen Planeten ohne Menschen und andere Lebewesen eine unendlich traurige Vorstellung. Aber gerade damit es uns noch möglichst lange gibt, müssen wir jetzt vorsichtig sein mit unserer Anzahl Kinder.

Ihre Meinung, Dominic Roser? Wäre ein menschenleerer Planet nicht wünschenswert?

Dominic Roser: Nein. Wenn wir das Problem der zu hohen CO2-Emissionen allein über die Kinderfrage lösen wollen, so geht das viel zu langsam. Wir müssen das Klimaproblem in den nächsten 10 bis 30 Jahren lösen. Wenn uns das gelingt, gibt es das CO2-Problem nicht mehr, unabhängig von der Anzahl Köpfe. Anders gesagt: Die Frage, wie viele Kinder wir machen, bleibt nur relevant, wenn wir die Emissionen pro Kopf nicht auf null bringen. Aber genau das müssen wir!

Verena Brunschweiger?

Verena Brunschweiger: Die Spezies Mensch verschwinden zu lassen ist nicht mein Ziel. Aber ich finde die 1-Kind-Politik eigentlich recht gut.

In China hat diese Politik nicht funktioniert.

Verena Brunschweiger: Nein, aber meine Güte, wir reden ja nicht von staatlichen Verordnungen und so. Dennoch ist es dringend an der Zeit, dass die Leute, die über das Klima nachdenken, auch mal solche Überlegungen anstellen. Also statt drei nur zwei oder gar nur ein Kind. Das sollten wir allerdings selbst entscheiden können – und nicht zwangsweise verordnet.

Stefan Riedener: Die moralische Frage, wie viele Kinder man haben darf, ist verschieden von der Frage, ob der Staat die Kinderzahl beeinflussen sollte. Da muss man extrem vorsichtig sein. Sicher ist es viel dringender, dass der Staat in anderen Bereichen aktiver wird und etwa Fliegen oder Fleischkonsum höher besteuert oder limitiert.

Gibt es denn eine optimale Kinderzahl? Dominic Roser, Sie haben zwei…

Dominic Roser: Das ist eine ethische Frage. Jedes Leben ist wertvoll. Nun gibt es Leute, die berechnen die optimale Bevölkerungszahl für unsere Erde. Ich finde das falsch. Selbst zu entscheiden, ob man Kinder will und falls ja wie viele, halte ich für ein Menschenrecht, und zwar ein essentielles. So gesehen sollte nicht die Frage nach dem Nutzen oder Schaden eines Kindes im Vordergrund stehen. Wir schützen ja das Klima aus dem simplen Grund, weil wir Rechte schützen wollen. Wenn wir das Menschenrecht auf Kinderkriegen beschneiden und Menschen stigmatisieren, die Kinder kriegen, dann können wir uns auch die ganze Klimadebatte ersparen.

Catherine Newmark: Die Einschränkung der Geburtenzahl ist generell schwierig. Aber wo soll man den Deckel ansetzen? Klimatechnisch gesehen wäre es super, unsere Gesellschaft würde schrumpfen. Sechs Millionen in der Schweiz würden genügen, es müssen nicht acht sein. Aber wir haben immer das Gefühl, wir müssen wachsen, weil wir sonst Angst um unser Rentensystem haben. Und die Prognosen reden ja weiterhin von einem extremen Wachstum. Dafür eine Lösung zu finden, ist enorm schwierig.

Der Club of Rome fordert für jede Frau, die kein oder nur ein Kind gebärt, eine Belohnung von 80’000 Dollar.

Stefan Riedener: Darüber könnte man grundsätzlich durchaus nachdenken. Das wäre eine sanftere Massnahme, um die Kinderzahl zu steuern, als ein staatliches Verbot. Ich bezweifle allerdings, dass viele Leute wegen diesem Geld auf Kinder verzichten würden. Das Geld sollte besser in technologischen Fortschritt investiert werden.

Verena Brunschweiger: Wegen mir muss man das nicht machen. Aber ich finde die Idee nicht schlecht. Endlich würden mal progressive Frauen gefördert. Das Modell 1 Frau – 5 Kinder ist ja wirklich nicht mehr zeitgemäss.

Catherine Newmark: Ich bin mir nicht sicher, ob ich das sinnvoll finde. In Westeuropa sind die Geburtenzahlen so tief, dass wir uns nicht selbsterhalten können. Und in Entwicklungsländern ist es so, dass Frauen automatisch weniger Kinder haben, sobald ihr Bildungsniveau steigt. Denn dann verschaffen sie sich den Zugang zu Verhütungsmitteln. Wir setzen also besser bei der Bildung an, um die Kinderzahl zu beeinflussen.

Ohne Reproduktion gäbe es allerdings keine Greta. Mit 16 bringt sie so viel Schwung in die Klimadebatte wie sonst niemand.

Catherine Newmark: Kinder bedeuten ja immer Hoffnung auf einen Neuanfang. Ohne sie können wir die Welt gar nicht verbessern.

Verena Brunschweiger: Die gute Greta… Auch sie geht nicht auf den wichtigsten Punkt in der Klimadebatte ein. Natürlich ist es wichtig, weniger zu fliegen, weniger Fleisch zu essen, weniger Auto zu fahren. Aber den wichtigsten Grund für den Klimawandel erwähnt sie nicht: die Reproduktion. Greta ist arg natalistisch verblendet. Aber ansonsten ist sie gut. Sie motiviert.

Nochmals zurück zum Thema: Kann man Flugscham und Kinderscham gleichsetzen?

Stefan Riedener: Mich stören diese Begriffe. Es geht doch nicht um unsere Scham. Aber ja, die Kinderfrage ist auch eine Klimafrage, und somit keine Privatsache. Wie viele Kinder wir haben dürfen oder haben sollten, ist eine schwierige Frage. Es gibt wohl nicht viele Familien in der Schweiz, die diese Pflicht zur Selbstbeschränkung verletzen. Aber Elternschaft bedeutet immer Klimaverantwortung. Meine Frau und ich werden unseren eigenen Lebensstil deshalb noch mehr auf Nachhaltigkeit ausrichten und unserem Kind entsprechende Werte vermitteln. Wir fliegen privat nicht mehr, wir machen Ferien in der Schweiz. Ich selbst ernähre mich grösstenteils vegan.

Catherine Newmark: Flugscham kann man individuell empfinden und sich sagen, so, jetzt nehme ich den Zug. Aber der Entscheid, Kinder zu haben oder nicht, geht sehr viel weiter. Das hat eine sehr viel grössere Tragweite für das persönliche Leben. Auf einen Flug verzichten kann man immer wieder. Aber auf Kinder nicht. Die sexuelle Fortpflanzung ist ganz spezifisch für uns und hat auch mit der eigenen Identität zu tun. Dass wir das nicht mehr tun sollen, ist irgendwie ein absurder Gedanke.

Autor: Christian Schmidt ist Journalist, Texter für Non-Profit-Organisationen, Buchautor und freischaffend aus Überzeugung. Er hat diverse Auszeichnungen für seine Texte erhalten, u. a. den Zürcher Journalistenpreis.