Unsere Greenpeace-Wald-Campaignerin Claudine Largo im Interview

GP: Hinter jeder Aktion von Greenpeace steht ein Team von motivierten Kampagnenleuten. Du bist in der Waldkampagne tätig und momentan seid ihr mit der Kampagne «The Great Northern Forest» aktiv. Eure Arbeit scheint spannend, und auch wenn man im Büro ein wenig Einblick hat, umgibt euch immer die geheimnisvolle Aura des Heldenhaften. Bereit, sich jeder Kettensäge in den Weg zu stellen, auf den Spuren von Wilderern und immer parat, jeden Waldbrand zu löschen. Was ist dran an diesem Klischee?

Claudine (lacht): Ja, das ist wohl wirklich eher Klischee. Meine Arbeit findet vor allem hier im Hauptsitz von Greenpeace Schweiz statt. Wir müssen unsere Ressourcen sinnvoll einsetzen und weltweit aufteilen und stehen in engem Kontakt mit den CampaignerInnen aus den betroffenen Ländern. Es sind die Greenpeace-AktivistInnen, welche vor Ort aktiv sind und Aktionen starten. Auch in der Schweiz. Da sind Campaigner und Aktivistinnen dann gemeinsam unterwegs. Kampagnenarbeit ist ein bunter Mix aus Recherche, Sensibilisierung und Öffentlichkeitsarbeit.

Worum dreht sich der Austausch mit den Kampagnen-KollegInnen aus den Büros in Schweden, Finnland oder Norwegen? Die Schweiz selbst ist ja nicht in den Gürtel der borealen Wälder eingeschlossen, aber trotzdem ist diese Kampagne bei uns grad sehr aktiv.

Eine internationale Kampagne gewinnt immer dann auch an Bedeutung für die Schweiz, wenn wichtige Akteure sich bei uns etablieren. Das kann z.B. durch Firmenableger sein – so wie es bei Essity der Fall ist. Oder aber Konzerne etablieren sich durch Produkte, welche bei uns häufig anzutreffen sind. Dann werden wir aktiv – denn hier können wir gezielt einwirken. Ich und die KollegInnen im Norden recherchieren gemeinsam, wie die Firmen miteinander verflochten sind. In welcher Verbindung stehen sie zueinander und was bedeutet das für die Kampagne und was für uns?

Eigentlich betreibt ihr Wirtschaftsrecherche für den Waldschutz, oder?

Ja, das kann man so sagen. Wir versuchen rauszubekommen, für welche schützenswerten Waldgebiete Rodungsabsichten angemeldet sind. Und das sind nicht wenige! Allein in Schweden sind 1,2 Millionen Hektaren Wald gefährdet. Und das, obwohl diese Wälder von den Behörden als schützenswert markiert wurden! Hier geht es auch darum, das mangelhafte Waldschutzgesetz von zum Beispiel Schweden aufzuzeigen. Gerade Skandinavien inszeniert sich stark als naturbewusster Landstrich, der seine schier endlosen Wälder achtet. Dass das nicht stimmt, das weiss hier fast niemand. In Wirklichkeit hat Skandinavien kaum Waldschutzgebiete. Gesamtheitlich sind von den borealen Wäldern, von Kanada bis Russland, gerade mal 2,8 Prozent gesetzlich geschützt!

Was bedeutet das für die Schweiz?

Essity ist bei uns einer der Marktführer im Bereich Hygienepapierprodukte. Seinen Zellstoff stellt Essity vermehrt nicht aus recyceltem Papier her, sondern oft aus Frischholz. Dieses Frischholz wiederum bezieht Essity unter anderem aus Skandinavien. Abgesehen von den irrsinnigen Transportwegen findet hier eine völlig überflüssige Zerstörung statt: für Papier, das selten eine längere Nutzungsdauer als 5 Minuten hat. Es gibt keinen guten Grund, Hygienepapierprodukte nicht aus recycelten Holzfasern herzustellen!

Welche Missstände stossen dir in dieser Kampagne besonders auf und inwiefern betrifft das die Schweiz?

Was mich besonders betroffen macht, ist, in welche Hilflosigkeit der Konsument hierzulande getrieben wird. Es ist frappant und schockierend, wie hier ganz gezielt eine Verschleierung des Herstellungsprozesses betrieben wird. Die Konsumentin hat zum Teil gar nicht mehr die Möglichkeit zu reagieren und zu unterscheiden zwischen nachhaltigen und nicht nachhaltigen Produkten. Zudem ist das Verhältnis zwischen Recycling- und Frischfaserprodukten nicht ausgeglichen. Wenn nur vereinzelt 100-prozentige Recyclingprodukte angeboten werden und diese auch noch schlecht gekennzeichnet im unteren Regalfach landen, ist es nur logisch, dass sie nicht wahrgenommen werden können. Zudem wird der Konsument zu wenig auf den Unterschied der verschiedenen Zertifizierungen aufmerksam gemacht.

So unterscheidet man kaum zwischen dem selteneren 100-Prozent-FSC- und dem FSC-Mix-Logo. 100 Prozent FSC heisst dabei, dass 100 Prozent der Rohstoffe zertifiziert sind – dies trifft für das FSC-Mix-Produkt nicht zu. Auch ist die FSC-Mix-Zertifizierung für Greenpeace Schweiz keine Garantie für eine nachhaltige Forstwirtschaft. Wir wissen von konkreten Beispielen auch im Fall von Essity, wo trotz dieser Zertifizierung Rohstoffe aus schützenswerten Wäldern im Produkt enthalten sind.

Du bist Biologin. Deine Schlüsselthemen sind industrielle Rodungen, Waldbrände und Klimawandel. Der Schutz indigener Völker und die Wahrung der Artenvielfalt. Das sind sehr komplexe Zusammenhänge. Woran aber denkst du als Erstes, wenn du an deine Arbeit denkst?

An den Wettlauf gegen die Zeit. Die Zeit, die uns davonläuft. Noch während wir daran arbeiten, wie jetzt im Fall von Schweden: Obwohl die als schützenswert markierten Gebiete endlich einmal gesetzlich unter Schutz gestellt sind, sind die Gesetze wiederum so lasch in der Umsetzung, dass die Rodungen munter weitergehen können.

Wie schwer wiegt das Erbe der Waldretterin auf deinen Schultern? Wie gehst du damit um, dass globaler Umweltschutz manchmal auch fordert, sich den langsamen Mühlen des Systems zu unterwerfen?

Ich würde das Erbe des Waldretters lieber auf viele Schultern verteilt sehen. Wir sind alle fähig, etwas zu ändern. Es bringt nichts zu denken, alles sei schon vorbei. Jede Unterschrift für die Petition wie zum Beispiel bei Essity zeigt, dass es uns gibt und dass wir solche Machenschaften nicht länger dulden wollen. Dafür brauchen wir auch Greenpeace. Wir brauchen unabhängigen Umweltschutz. Fern von Unternehmen, politischen Institutionen oder Regierungen. Wir müssen unser ganzes unabhängiges Engagement dort hinbringen und einsetzen, wo es am meisten gebraucht wird.

Geht dir da nicht auch manchmal die Puste aus? Was machst du dann? Was hilft dir in solchen Momenten? Wie treibst du dich selber voran?

Klar, geht einem manchmal die Puste aus. Das ist vermutlich ganz normal. Auch wenn es vielleicht banal klingt, aber mir hilft es, mich in die Einsamkeit in der Natur zu begeben. Den Klängen eines Baches zu lauschen oder in einem der vielen kleinen Schutzgebiete in der Schweiz spazieren zu gehen. Das hilft mir enorm, mich wieder auf Kurs zu bringen. Wenn ich spüre, dass ich nur ein kleiner Teil dieser wundervollen Ökosysteme bin, dann schmerzt es mich umso mehr, wie gross die Zerstörungen sind, die wir anrichten, und wie wenig wir sie oft wahrnehmen. Es spornt mich aber auch an, dafür zu kämpfen.

Was liegt dir bei deiner Arbeit am meisten am Herzen?

Was mich immer beschäftigt, ist die Wahrung dieser unermesslichen Schönheit für die Nachwelt. Die Einzigartigkeit. Das faszinierende und perfekte Gefüge eines Ökosystems. Monokulturen sind tot. Sie sind sozusagen nicht lebensfähig. Die Biodiversität eines über Jahrhunderte und -tausende gewachsenen Ökosystems bekommen wir nicht wiederhergestellt. Ich scheue mich, einen besonderen Ort zweimal zu besuchen. Es ist immer diese Angst da, wird es noch so sein, wie es war? Und wenn nicht, was ist dann?

Man kennt die Bilder von riesigen gerodeten Flächen. Von Wäldern, die in Flammen aufgehen. Als Betrachter ist das schon schwer auszuhalten. Wie geht es dir da vor Ort? Hältst du das aus, hast du Strategien?

Irrsinnigerweise habe ich genau das, was du gerade beschreibst, selber erlebt. Nicht in den borealen Wäldern, aber in Indonesien. Meine Abschlussarbeit hat mich in den indonesischen Regenwald geführt. Nach einer Weile des Fliegens bewegten wir uns über eine riesige Fläche aus dichtem Grün. Ich war fasziniert und überzeugt, den tropischen Regenwald zu sehen. Nach näherem Hinschauen habe ich die Wassergräben bemerkt. Da erst habe ich begriffen: Wir fliegen über Monokulturen. Genau genommen über ehemaligen Primärwald. Wir flogen fast eine Stunde. Endlose Flächen von Monokulturen. Drei Tage später sass ich im Regenwald und es überkam mich einfach Angst, dass diese Vielfalt, die ich dort erlebte, abgelöst werden könnte von dem Alptraum aus dem Flugzeug.

Fakt ist: Es gibt zig Strategien und ich weiss nicht, welche die richtige ist. Ich habe nur den dringenden Wunsch, die artenreichen Wälder dieser Erde zu schützen.

War es dein Ziel, in die Kampagnenarbeit zu gehen, oder folgst du einer Entwicklung? 

Wertvolle Ökosysteme zu schützen bzw. sie zu erhalten, war wohl schon immer mein Grundtimbre, aber dass ich dies bei Greenpeace in der Kampagnenarbeit mache, ist wohl eher ein Teil meiner persönlichen Entwicklung. So habe ich vor meiner Abschlussarbeit durchaus eine akademische Karriere in Betracht gezogen. Als ich jedoch während meiner Feldarbeit in Kalimantan Zeugin der Zerstörungsgewalt von Grosskonzernen wurde, sah ich meine Berufung mehr im Umweltschutz – egal in welcher Tätigkeit. Zentral war es für mich, eine möglichst unabhängige Kampagnenorganisation zu unterstützen, und da war Greenpeace für mich klar unter den Top 3.

Wie gehst du damit um, wenn im Sekundentakt die Bäume fallen und dein Sitznachbar im Tram seinen Kaffee aus dem To-go-Becher schlürft und zum x-ten Mal ein neues Tempotaschentuch aus der Tasche zieht. Was geht da in dir vor?

Claudine (schmunzelt): In erster Linie Verständnis. Wir wissen oft nicht genau, was wir konsumieren, und es wird uns auch nicht leicht gemacht, dies einfach zu erkennen. Die Auswahl an Produkten ist gross und die Möglichkeiten, den Überblick zu behalten, eher gering. Manchmal lasse ich mich aber auch zu einem freundlichen Kommentar hinreissen. Und ich bin wirklich erstaunt, zu wie vielen Veränderungen das schon geführt hat. Das beobachte ich besonders in meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Da sind viele, die zu mir kommen und mir erzählen, auf welche Hersteller sie jetzt verzichten oder worauf sie nun besonders achten. Das freut mich natürlich sehr

Zum Schluss noch ganz konkret: Bei welchen Marken sollten bei uns Konsumenten die Alarmglocken klingeln und welche Recycling-Logos können uns den sauberen Weg durch den Papierdschungel lotsen?

Die Produkte von Essity begegnen uns überall. Vor allem aber im öffentlichen Raum: Zugtoiletten, öffentliche Toiletten, sanitäre Einrichtungen in Restaurants, Spitälern etc. Es stehen namhafte Markenprodukte von Essity, wie Tempo, Lotus, Tork, Zewa und Plenty, dahinter.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass sich Essity hinter gewissen Eigenmarkenprodukten von Grossverteilern verbirgt. Das heisst, beim Kauf eines Schweizer Eigenmarken-Papiertaschentuchs läuft man ebenfalls Gefahr, ein reines Essity-Produkt zu kaufen, das Rohstoffe aus schützenswerten Wäldern beinhaltet. Hier empfehlen wir, genauer hinzuschauen bzw. beim Grossverteiler nachzufragen.