«Alles, was den Menschen gross gemacht hat, ist aus dem Versuch entstanden, das Gute zu festigen und nicht aus dem Kampf, das Schlechte zu verhüten.» (Bertrand Russell)

Vor drei Jahren wurde in der Schweiz über einen zweiten Gotthard-Autotunnel abgestimmt. Die «grüne Seite» stieg früh in die Kampf-Hose. Um es den Tunnel-Turbos, diesen Ewiggestrigen, zu zeigen, die immer noch nicht verstehen wollen, dass wer Tunnels sät, Verkehr erntet. Mich stimmte diese Abstimmung nicht kämpferisch, sondern traurig: Nach der Geburt der Anti-Auto-Bewegung im Zuge der Waldsterben-Debatte Mitte der 1980er Jahre, den gewonnenen Abstimmungen zum Alpenschutz 1994 (Alpen-Initiative) sowie 2004 (Anti-Avanti) stand dieser zweite Tunnel schon wieder zur Abstimmung. Es kam schlimmer als gedacht, sein Bau wurde deutlich angenommen.

Das wirft mit Blick auf den derzeitigen Klima-Hype Fragen auf: Warum eigentlich gelang es in den letzten 30 Jahren nicht, ökologische Einsicht breiter zu streuen? Warum geht’s mit dem Wandel zu mehr Nachhaltigkeit nicht vorwärts? Was fehlt den Umwelt-Kampagnen*? Weil Schlagzeilenorientierung vor Wirkungsorientierung kommt? Weil es nicht mehr genügt, das Schlechte ins Scheinwerferlicht zu zerren und sich an Symptomen zu empören? Jedenfalls scheint es so, als ob die frühere Grund-Einsicht der Ökobewegung «Ursachen statt Symptome bekämpfen» vergessen gegangen sei.

«Gesellschaftlicher Wandel braucht Zeit und Geduld und vor allem positive Bilder.»

Vermutlich sind sich alle Umweltschützerinnen und Umweltschützer darin einig, dass die Hauptursache der Umweltprobleme die vom Neoliberalismus auf die Spitze getriebene Konsumgesellschaft ist: Dabei frisst die neoliberale Revolution zwar ihre Kinder nicht, aber diese fressen den Planeten. Doch zur Erreichung des heutigen Zustands vergingen seit Beginn des Konsumzeitalters in den 1950er-Jahren mehr als 60 Jahre.

Gesellschaftlicher Wandel braucht also Zeit und damit Geduld und vor allem, neben den Negativschlagzeilen, positive Bilder – Bilder aus Gemeinden und Regionen, die sich auf den Wandelpfad begeben haben. Und neue Narrative von Lösungsmodellen, die Zukunft vorstell- und fühlbar machen. Denn die Hoffnung und Sehnsucht auf solche Zukunft ist die positive Kraft für Veränderung.

Kein einfaches Unterfangen. So versucht beispielsweise Greenpeace die alten Bilder aus den 1980er- und 1990er-Jahren – anketten, abseilen, schlauchbooten, bannerhängen – mit neuen Bildern aus sogenannten «people-powered» Kampagnen zu ergänzen. Doch Lösungskampagnen sind weniger spektakulär und dramatisch als der Angriff auf das Böse. Trotzdem: Je näher Kampagnen an die menschlichen Grundbedürfnisse wie Zusammengehörigkeit, Geborgenheit, Naturerlebnis und soziale Sicherheit kommen, desto mehr entfernen sich Konsumbedürfnisse. Solche Kampagnen haben psycho-sozial-kulturelle Ansätze und tragen in ihrem Kern das «gute Leben jenseits des Konsums» (siehe Kolumne «Gut leben und das Klima schützen»). Darum geht’s; denn würde die Annahme der Kapitalisten stimmen, dass materieller Konsum das Leben erst lebenswert mache, hätten wir ohnehin verloren. Aus dem Dilemma zwischen übermässig zu konsumieren oder übermässig depressiv zu werden kann nur ein positiv konnotierter Weg führen.

Hinzu könnte kommen, dass viele normale Menschen möglicherweise genug haben von Appellen, vom Salzstreuen in Problemwunden, vom Banner aufspannen und vom alarmistischen Sound der Anklagen. Vielleicht wäre vom konstruktiven Journalismus zu lernen, der nur von konkreten Lösungsansätzen berichtet und auf die Hitliste des Schlechten verzichtet. Das wirkt ermutigend und hebt die Stimmung beim Publikum: «Ich bin davon überzeugt, dass der konkreten Negation als wichtigem Motor des politischen Wandels eine Affirmation vorausgehen muss. Für eine wirkliche Öffnung der Situation braucht es eine positive Idee», wie es der französische Philosoph Alain Badiou ausdrückt.

«Dringlichkeit ist das Hauptmerkmal des Hectic Campaignings.»

Und wie handhaben das Kampagnenorganisationen wie Greenpeace, WWF oder Amnesty? Man wird den Eindruck nicht ganz los, dass etwelche Campaignerinnen und Campaigner ähnlich der kapitalistischen Maxime des kurzfristigen Profits primär auf Quick-Wins abzielen. Noch immer hat das «Immer-schneller-immer-mehr» Vorrang: Dringlichkeit ist das Hauptmerkmal des «Hectic Campaignings». Eine von Hektik geprägte Unruhe führt aber leicht zu Aktivismus nach dem Motto «Hauptsache etwas getan». Eine gute Unruhe hingegen wäre z. B. aus Fehlern lernen und besser werden, um langsam aber sicher die Wurzeln statt schnellschnell aber unsicher die Symptome zu bekämpfen – denn nicht jeder Angriff schwächt den Gegner, er kann ihn auch stärken (siehe Kolumne «Die Welt, voller Paradoxien»).

Slow Campaigning heisst in diesem Sinn langfristiges, systemisches Denken, eine Art Perma-Kultur, bei der konsequent in den Boden und damit in die gesellschaftliche Wurzelbehandlung investiert wird. Und das geht nur, wenn Kampagnenorganisationen mit «Real-Change»-Bewegungen zusammenarbeiten. Und das Wandelziel kann dank der Bekanntheit der NGOs sowie deren thematischer Kompetenz etwas beschleunigt werden.

Gewiss, Lösungsarbeit ist mühsam, komplex, langsam, teuer und deshalb nur in langfristiger Zusammenarbeit möglich. Und eine solche macht vielen NGO-Leuten Angst, weil sie befürchten, die eigene Organisation könnte im Brei der Kollaboration untergehen. Doch das gilt es umgekehrt zu denken: Weil Realitäten zu ändern viel Arbeit ist, die nicht alleine geleistet werden kann, gilt es in diesen notwendigen Zusammenarbeiten ein eigenes Profil zu bewahren. Und daraus wachsen neue Bilder und Profilierungsmöglichkeiten, womit auch andere Stories geteilt werden können.

Slow Campaigning heisst somit nicht, lauthals und repetitiv auf die Reinheit der Lehre zu setzen, sondern auch das Dreiviertelrichtige zu tun und Partizipation als zentrale Kategorie zu sehen. Es braucht beides: aufdeckendes und vermehrt ermutigendes Campaigning. Dem Treibstoff Wut mehr Treibstoff Zuversicht beimischen. Dann kann es gut kommen.

Einerseits vielleicht mit dem Klima-Hype: Alle sind wir begeistert von den Schüler-Klimastreiks! Diese durch Kommunikation unterstützen, ist gut, allerdings nicht vereinnahmen. Vor allem könnten Kampagnenorganisationen das, was nach dem Protest folgen soll, vorbereiten und einfordern. Politisch natürlich wie es mit der Klima-Wahl im Herbst versucht wird. Aber auch konkret: Z. B. beim Bund ein aus den Klima- und Energiebildungsbudgets finanziertes Schulhaus-Solarisierungsprogramm fordern und selber in einigen Demo-Objekten mit Jugendlichen umsetzen. Das Schulhaus als Klimavorbild. Junge Menschen packen an und zeigen der Politik, was sie wollen und wie es geht. Positivdruck. Und die Erwachsenen folgen dem Leuchtturm. Sie setzen die klimafreundliche Gemeinde um und geben der Bewegung aus Energiestädten, 2000-Watt-Regionen und öko-sozialen Siedlungen den nötigen Schub. Ausserdem die Schlüssellektion, die die «Gelb-Westen» uns erteilt haben, beachten: Ökologischer Wandel gelingt nur mit öko-sozialen Ansätzen.

Und andererseits im globalen Süden, wo gerade «unsere» Fehler wiederholt werden – Luftverpestung in Peking, Kohleabbau in Indien, Waldabholzung in Brasilien, Bodenvergiftung in Afrika –, wäre zu versuchen, nicht auch die Kampagnenfehler zu wiederholen, sondern den Symptombekämpfungs-Kampagnen ein Slow Campaigning zu unterlegen. Insbesondere hier sind Lösungen gefragt, die den «westlichen Weg» unterminieren.

*Was sind Kampagnen, was ist Campaigning?

  • «Der Begriff der Kampagnen wird für Aktionen von Lobbygruppen, Interessensverbänden, Gewerkschaften und anderen Organisationen verwendet, die diese zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ausführen.» (Wikipedia)
  • Traditionelles Campaigning will den Finger auf einen wunden Punkt legen, einen Missstand skandalisieren, dramatisch inszenieren und hofft, im Kampf um Aufmerksamkeit ein gewisses Publikum erreichen zu können (oft ohne viel zu erreichen, weil bereits eine nächste Sache ins Aufmerksamkeits-Fenster rückt).
  • Kampagnen fahren mittlerweile viele – der TCS tut’s, die SVP mit ihren Abstimmungskampagnen oder Solidar macht’s für fairen Fussball. Und auch die Migros zur Imagepflege. Genau definiert ist der Begriff nicht, allgemein handelt es sich um ein zeitlich gestaffeltes Bündel von Aktivitäten mit dem Ziel einer realen Änderung. Aus zivilgesellschaftlicher Sicht also eine Verbesserung eines als ungut empfundenen Zustandes.
  • Diese Änderung in Politik (Gesetz, Verordnung, Policy) oder im Verhalten von Gruppen und Entscheidungsträgern wird oft durch Mobilisierung geeigneter Kräfte (z. B. mit Klicks von Mitgliedern oder Unterschriften von Sympathisantinnen und Sympathisanten) zu erreichen versucht.
  • «Campaigning ist die Kunst, alle Register ziehen zu können, um Ziele zu erreichen und Menschen zu bewegen» (campaigning summit Switzerland). Diese Bewegung kann dabei vom Griff zum Portemonnaie über den Wechsel des Anbieters bis hin zu einer Beteiligung an einer Blockade gehen.
  • Greenpeace erreichte mit avantgardistischen Aktionsformen viel mediale Aufmerksamkeit. Die Werbeindustrie und andere haben sich diese Formen teilweise angeeignet, sie sind Mainstream geworden. Wie wird man wieder Teil einer Avantgarde? Mit partizipativen Kampagnen?

Kuno Roth schreibt in seinen Kolumnen manchmal unverblümt, manchmal humoristisch, manchmal gar satirisch und immer solidarisch-kritisch über das Umfeld und Randerscheinungen der Ökobewegung aus (noch) unkonventioneller Sicht, die naheliegend und überraschend zugleich ist. Er arbeitet international als Leiter des globalen Mentoring-System bei Greenpeace.