Nudging ist im Trend. Damit ist jener kleine Schubser gemeint, der dich dein Verhalten ändern lässt, ohne dass du es merkst. Das Prinzip ist schon lange bekannt und wird zum Beispiel als Umkehrung des Sprichworts «Aus dem Auge, aus dem Sinn» eingesetzt: Was dir ins Auge gerückt wird, kommt dir in den Sinn (und dann könntest du es wollen). Wie etwa der Schokoriegel an der Supermarktkasse.

Eine Kolumne von Kuno Roth

«Dieses Ins-Auge-Rücken nutzen beispielsweise auch gesundheitsbewusste Schulkantinen, die statt Schokolade Obst an der Kasse anbieten: eine unmerkliche Intervention mit markant gesundheitsfördernder Wirkung. Ähnlich gelagert ist ein anderer illustrativer Fall: In einem Warenhaus, in dem Lift und Treppe nebeneinander liegen, benutzen etwa 80 Prozent der Kundschaft den Lift für den Weg nach oben. Malt man nun auf den Boden vor dem Aufgang einen roten Streifen zur Treppe hin, benutzen sie fast 70 Prozent. Der Streifen wirkt wie ein unbemerkter Leitfaden.

Trendsetter im Bereich des behördlichen Schubsens war die britische Regierung, die sich unter David Cameron eine Nudging Unit zugelegt hat. Dieser Abteilung ist es beispielsweise gelungen, mit zwei Zusätzen am Anfang des Standardmahnbriefs an säumige Steuerzahler, die Steuereinkünfte massiv zu erhöhen. Die Sätze lauteten: «Neun von zehn Bürger/innen zahlen ihre Steuern rechtzeitig. Im Moment gehören Sie zu einer kleinen Minderheit, die noch nicht bezahlt hat.» («Psychologie Heute» 8/2015). Diese Art des Nudgings nutzt die sozialpsychologische Tatsache, dass die wenigsten Menschen verhaltensauffällig sein wollen und sich deshalb der wirklichen oder angenommenen Norm anpassen.

Trägheit und Gewohnheit sind gut fürs Nudgen

Neben diesen beiden Effekten – Ins-Auge-Rücken und Normverhalten – ist das Gesetz der Trägheit ein weiteres verhaltenswirksames Phänomen. Es besagt, dass die meisten Menschen in den meisten Fällen den bequemsten Weg nehmen und/oder ihrer Gewohnheit folgen. Dies wird von Firmen seit langem und seit kurzem auch von Amtsstellen genutzt. Zwei Beispiele behördlicher Massnahmen mit Massenwirkung:

  • In einer britischen Region, in der traditionell viel stark gesalzene Fish and Chips gegessen werden, war der (deshalb) weit verbreitete Bluthochdruck zu einem medizinischen Problem geworden. Der Versuch, die Leute mit Mahnungen zu einem geringeren Salzkonsum zu bringen, blieb fruchtlos. Genützt hat dagegen, die üblichen Salzstreuer mit 17 grossen Löchern durch solche mit weniger und kleineren Löchern zu ersetzen. Denn massgebend war die Gewohnheit, den Salzstreuer jeweils zwei- oder dreimal zu betätigen, und diese war resistent gegen Appelle.
  • In Österreich haben 99 Prozent der Bevölkerung einen Organspendeausweis, in Deutschland hingegen nur 12 Prozent. In beiden Ländern kann man frei wählen, ob man seine Organe nach dem klinischen Tod spenden will oder nicht. Der Unterschied ist, dass als behördlicher Standard in Österreich alle Organspender/innen sind, solange sie sich nicht aktiv abmelden. In Deutschland ist es umgekehrt: Man wird nur Spender/in, wenn man sich anmeldet.

Ob Gewohnheit oder Trägheit, in beiden Fällen gilt: Was eingerichtet ist, wird getan bzw. benutzt. Grossmeisterin dieses Bequemlichkeits-Nudging ist die Firma Google, die clever alle Nudging-Register zieht …und so googeln wir heute alle.

Übrigens, eine sozusagen natürliche Art des Nudgings ist der Charme: Es ist angenehmer und folglich häufiger einer freundlichen, mit einem Lächeln versehenen Aufforderung Folge zu leisten als einer mürrisch-sauertöpfischen.

Öko-Nudging

Nudging-Massnahmen können Konsummuster deshalb massenhaft ändern, weil sie an der Grenze der Wahrnehmung und damit unterhalb der Trotzschwelle liegen – ganz im Gegensatz zu den konventionellen Öko-Appellen zu Verhaltensänderungen. Diesen folgt nur, wer schon (fast) überzeugt ist und also eine niedrige ökologische Trägheit hat. Der Rest trotzt. Nichtdestotrotz meinen viele Öko-Aktive und Umweltorganisationen, mit Informationskampagnen, Öko-Fussabdruck-Plattformen und Plakaten könnten Massen bewegt werden. Mit eher mässigem als massenhaftem Erfolg.

Jedenfalls und erstaunlicherweise finden sich im Umweltbereich kaum Nudging-Ansätze; wohl weil sie als manipulativ gelten. Und natürlich ist die Nutzung von Big Data zum Nudgen, wie das etwa Google tut, hoch manipulativ. Finger also weg von daten­basiertem Nudging. Doch ist zu fragen, wie weit man ansonsten die reine Lehre in einer „moneypulierten“ Gesellschaft aufrechterhalten soll.

Wie auch immer, einige Beispiele gibt es. Bekannt ist etwa der nudgende Hinweis in Hotels, dass 70 Prozent der Gäste ihre Badetücher mehrfach benutzen. Das stiftet viele an, es ebenso zu tun, was Tonnen Waschmittel einspart. Vielversprechend auch ein Experiment, in welchem «Hauseigentümer messbar weniger Strom zu verbrauchen begannen, als man sie darauf hinwies, dass ihre Nachbarn bereits zu den Energiesparern gehörten. Gab man andere Gründe wie Umweltschutz, Kosteneinsparung oder Sorge für die zukünftigen Generationen an, war der Effekt deutlich weniger ausschlaggebend.» (aus «Psychologie Heute» 8/15).

In dieser Art könnte gelingen, was für mehr Masse notwendig ist: Eine Öko-Selbstverständlichisierung für die Bagatellfälle des Alltags.

PS: Eine Art «Nudging plus»-Methode für massenhafte Verhaltensänderungen beschreibt das «Reiter-Elefant-Weg»-Modell. Entwickelt haben es die Gebrüder Heath aus der Analyse von 50 Fällen realer Verhaltensänderungen. Das Modell besagt, dass der Elefant – Symbol für die menschliche Trägheit und des Gewohnheitstiers – nur dann eine neue Gewohnheit annimmt, wenn der Weg dazu in kleine, d.h. nudging-artige Schritte zerlegt wird (und er ihm somit machbar erscheint). Egal, was der Kopf (der Reiter) dem Elefanten auch sagen mag: Gelingt der erste kleine Schritt, wird ein zweites Schrittchen und ein drittes folgen. Siehe: «Switch – Old Habits Die Hard», Chip und Dan Heath, auf Deutsch 2011.

Kuno Roth arbeitet international als Leiter des globalen Mentoring-Systems bei Greenpeace. Jahrgang 57, Dr. rer. nat., ehemaliger Chemiker ist er mittlerweile Humanökologe, Umweltpäda­goge sowie auch Schriftsteller.