Wie in Kolumbien eine neue Form der politischen Partizipation für Bewegung sorgt.

Niemand hatte mit ihnen gerechnet, doch plötzlich trommelten sie mitten im jährlichen Folklorefest der Stadt. Die Studenten und Aktivistinnen von Ibagué, einer mittelgrossen Stadt südwestlich von Bogotá, mischten sich mit ihren zwanzig tambores de resistencia bewusst in die vordersten Reihen des Umzugs, denn der erste Wagen gehörte nicht irgendeinem Turnverein. Er war von Anglogold Ashanti finanziert, einer der grössten Minenbaufirmen auf dem Planeten. Die Südafrikaner hatten sich Ende der nuller Jahre in der Region installiert, als bekannt geworden war, dass in den Böden rund um Ibagué die grössten Goldreserven Lateinamerikas liegen.

Während die Tambouren trommelten, verteilten Jaime Tocora und seine compañeros vom Umweltkomitee Flyer und informierten die erstaunten BesucherInnen über die Hintergründe von Wagen 1. «Am Ende», erinnert sich der 30-Jährige, «feierten die Leute mit uns und buhten das Fahrzeug von Ashanti aus.» Es war der Anfang von Marcha Carnaval.

Tanzen, statt aufzubegehren

In Kolumbien wird oft demonstriert: gegen ungerechte Gesundheitsreformen, unmenschliche Arbeitsbedingungen, die Ausbeutung der Natur. Resistencia ist in Lateinamerika aufgrund der Geschichte Teil des Alltags. «Und obwohl man diese politische Kultur nicht ignorieren kann», sagt Jaime Tocora, «müssen wir erkennen, dass die Menschen müde sind vom Widerstandleisten.» Deshalb habe man nach einer anderen Form der politischen Partizipation gesucht und sei während der Gespräche mit Vertreterinnen von Gewerkschaften, Indigenen- und Bauernorganisationen sowie Universitäten allesamt gegen den Megaminenbau – bei der eigenen Kultur gelandet: beim Musizieren, Tanzen und Feiern, bei der Vielfalt von Ibagué. «Die Marcha richtet sich nicht gegen den todbringenden Neo-Extraktivismus, gegen den Raubbau und Rohstoffexport», sagt Tocora, «sondern steht für Freude, Lust und Leben.»

So gehen die Gegnerinnen des Minenbaus nicht mehr wie früher vermummt und mit Steinen bewaffnet auf die Strasse. Heute malen sich die Ibagueños Gesichter und Körper farbig an, bringen ihre Instrumente mit, verkleiden sich und singen sich die Kehlen wund. Sie transformieren damit nicht nur ihre eigene Wut und Hilflosigkeit, sondern sorgen für ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das ideologische und parteipolitische Grenzen unwichtig werden lässt. Selbst Vertretende der politischen Rechte trommeln inzwischen mit. An der letzten Marcha Carnaval im Juni beteiligten sich über 100 000 Menschen – ein Fünftel der gesamten Bevölkerung von Ibagué.

«Politik kann Freude machen»

Was in Ibagué vor zehn Jahren begonnen hat, ist inzwischen in ganz Kolumbien bekannt. Bereits in 35 Städten und Dörfern zeigt die Marcha Carnaval, wie Bürgerbeteiligung auch aussehen kann. «Wir wollen die Leute erreichen, die das Vertrauen in politische Prozesse und Einflussnahme längst verloren haben», sagt Paula de las Estrellas (28) von der Marcha in der benachbarten Stadt Armenia. Dies betreffe insbesondere die jüngere Generation, die der heutigen Realität oft hoffnungslos gegenüberstehe. «Ihnen wollen wir zeigen, dass anders gelebte Politik auch Freude machen und motivieren kann.»

Die Karnevalgruppen unterstützen sich landesweit. Als vor ein paar Monaten in Pijao, einem kleinen Dörfchen in der Nähe von Armenia, eine Volksabstimmung zum Minenbau anstand, informierte die Gruppe nicht nur Schulen und Nachbarn über die Folgen der Minenindustrie, sie bot für die eigens organisierte Marcha auch Dutzende Personen auf, die trommelnd durch die engen Gassen schritten. «Der Minenbau hat uns als Gesellschaft zusammengeschweisst», sagt Angélica Gomez (30) aus Armenia: «Die Marcha ist ein menschliches Netzwerk, das dem Ruf von Mutter Erde folgt und uns für die gleiche Idee zusammenbringt, selbst wenn wir unterschiedliche Denkweisen haben.»

Romano Paganini ist freier Journalist, Lehm-Maurer und Gärtner. Er lebt irgendwo zwischen Atlantik und Pazifik und versucht jenen Menschen eine Plattform zu geben, die von den Massenmedien kaum beachtet werden.