Nachdem sich in der britischen Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield erneut ein schwerer Störfall ereignet hat, fordert Greenpeace die Bundesregierung auf, unverzüglich alle geplanten Atomtransporte nach England zu stoppen.

Sellafield/Hamburg. Einem Bericht der englischen Tageszeitung «Observer» (Sonntagsausgabe) zufolge kam es am 26. Januar in der Atomanlage im Nordwesten Englands zu einer Panne, die katastrophale Folgen hätte haben können. In mehreren Behältern mit flüssigen, hoch radioaktiven Abfällen stieg demnach die Konzentration explosiver Gase wie Wasserstoff, nachdem die Lüftung ausgesetzt hatte. Die Arbeiter in der Anlage nahmen die Panne zunächst nicht ernst und reagierten erst mit zweieinhalbstündiger Verzögerung auf die Warnsignale. «Die Explosion der Abfalltanks ist der schlimmste denkbare Unfall in einer Wiederaufarbeitungsanlage. Eine solche Explosion würde weite Teile Grossbritanniens radioaktiv verseuchen,» erklärt Susanne Ochse, Energieexpertin bei Greenpeace. «Wer jetzt nicht aufwacht und trotzdem weiter Atommüll nach Sellafield liefert, dem sind die Gefahren für Mensch und Natur offenbar egal. Energieversorger wie E-ON, RWE oder ENBW dürfen nicht länger mit den Sellafield- Betreibern Geschäfte machen.» Die Behälter mit dem hochradioaktiven, flüssigen Müll gehören zu den gefährlichsten Teilen der Atomanlage. Die flüssige Masse muss ständig gekühlt werden, damit sich der Behälter nicht zu sehr aufheizt und explodiert. In den Tanks können bis zu 1500 Tonnen Atommüll gelagert werden. Der flüssige Strahlenmüll enthält rund 30mal mehr radioaktives Cäsium 137 als im Kern des Unglücksreaktors von Tschernobyl enthalten war. Cäsium war einer der Hauptbestandteile der radioaktiven Wolke, die nach der Reaktorkatastrophe 1986 grosse Teile Europas verstrahlte. «Das zeigt, was für eine Zeitbombe in Sellafield tickt», sagt Ochse. Der älteste der insgesamt 21 Tanks ist seit mehr als vierzig Jahren in Betrieb. Im Februar 2000 hatte die britische Atomaufsicht die Betreiberfirma BNFL scharf für die Vernachlässigung der gefährlichen Abfälle kritisiert und zusätzliche Sicherheitsmassnahmen gefordert. Der jüngste Störfall reiht sich ein in eine Serie von Pannen, Unfällen und Sicherheitsverstössen in Sellafield. Nur vier Tage vor der Panne erhielt das Atomkraftwerk Neckarwestheim grünes Licht von der Bundesregierung, die Transporte von Atommüll nach Sellafield wieder aufzunehmen. Über 700 Tonnen sollen laut Vereinbarung mit der Atomindustrie insgesamt noch aus deutschen AKWs nach Sellafield gebracht werden. Bundesumweltminister Trittin hatte noch drei Tage vor dem Störfall in einem Schreiben an Greenpeace erklärt, er würde sich auf die Sicherheitsvorkehrungen innerhalb der Wiederaufarbeitungsanlage verlassen.