Spencer Tunick erregt seit Jahren weltweit Aufmerksamkeit, indem er Massen von nackten Menschen auf öffentlichen Plätzen posieren lässt und sie dann fotografiert. Im August hat er dies auf einem Schweizer Gletscher getan. Aufgerufen zur Aktion hat Greenpeace, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen.


Spencer Tunick vor dem Aletschgletscher

© Greenpeace

Spencer Tunick, bisher waren Ihre Arbeiten reine Kunst – ohne definierten Zweck. 
1995 bis 1998 arbeitete ich fast ausschliesslich in New York. Die Titel meiner Werke drückten aus, was mich beschäftigte, wogegen oder wofür ich mich aussprechen wollte: soziale und persönliche Fragen sowie Dinge in New York City. Aber seit kurzem lasse ich auch politische Zusammenhänge in meine Arbeit einfliessen.

Zum Beispiel?
Ich fotografierte fünfundachtzig Leute, die HIV hatten. Die Arbeit für Greenpeace überschreitet aber die konzeptuelle Kunst noch deutlicher.

Wie kamen Sie zu Greenpeace?
Sie fragten mich an. Ich traf Gerd Leipold, den Chef von Greenpeace International, am Hauptsitz in Amsterdam. Er sprach euphorisch über mögliche Kooperationen von Künstlern mit Greenpeace.

Was war Ihre erste Reaktion?
Ich fühlte mich geehrt. Schon als Kind waren die Leute von Greenpeace für mich so was wie halb reale, halb fiktionale Superheroes. Ich schaute zu ihnen auf.

Wie kamen Sie auf die Schweiz?
Greenpeace fragte mich, ob ich etwas im Zusammenhang mit Schweizer Gletschern machen wollte. Ich war einverstanden und sagte: Aber wenn, dann wirklich auf dem Gletscher selbst. Wir waren schnell einer Meinung. Bei mir kam dazu, dass ich bereits 1998 etwas im Zusammenhang mit Gletschern gemacht hatte: die Installation «Tunick Glacier», wofür ich mich in die Thematik der Klimaerwärmung eingelesen hatte. Das war aber eher ein persönlicher Aufschrei als ein koordinierter Protest.

Wie haben Sie die Arbeit in der Schweiz erlebt?
Die Leute, die dabei waren, machen damit etwas Besonderes. Indem sie für mich posieren, schaffen sie Aufmerksamkeit, und zwar auf einer für alle Menschen spürbaren Ebene, die die Haut betrifft. Die Verdünnung der Ozonschicht, der Anstieg von CO2, Kohlenmonoxyd – alles, was uns Probleme bereitet, wird durch die Posierenden erlebbar gemacht.

Wie haben Sie die Aktion vorbereitet?
Wir waren im Juli zwei Tage an und auf den Gletschern. Liessen uns den Umfang des Gletscherschwunds erklären, sprangen über Spalten, testeten Schuhe und Steigeisen und erwogen verschiedene Standorte.

Was werden die nackten Leiber auf dem Gletscher auslösen?
Jeder hat schon zu warm oder zu kalt gehabt. Man weiss, wie sich das anfühlt. Unsere Bilder werden die Leute frösteln machen. Ihnen wird die Sache unter die Haut gehen, obwohl niemand verletzt wird. Und jede weitere kreative oder künstlerische Beschäftigung mit dem Thema wird einen Unterschied machen, wird weiterführen.

Worin hat sich diese Arbeit für Greenpeace von Ihren früheren Arbeiten unterschieden?
Ich arbeitete noch nie unter derart extremen Wetterbedingungen. Doch gerade diese unterstreichen die Zartheit und Verletzlichkeit der Körper. Bisher habe ich keine Installationen in der Natur gemacht, weil das zusammen mit den Nackten gleich zweimal Natur wäre. Auf dem Gletscher sehe ich das anders: Hier stehen die Körper für die Zivilisation, für die Stadt.

Glauben Sie, dass die Gletscheraktion etwas verändern wird?
Ja. Ich mag sehr, dass Greenpeace neben konfrontativem Protest auch andersartige und sensiblere neue Möglichkeiten sucht, um die Aufmerksamkeit der Welt auf wichtige Fragen zu lenken. Greenpeace verhält sich sehr offen und kreativ. Ich finde, jetzt ist ganz klar die Zeit gekommen, das Denken der Menschen zu ändern. Ich hoffe, wir werden eine Explosion von Leben verursachen.

Hat die Beschäftigung mit dem Klima auch Ihr eigenes Leben verändert?
Ich habe kürzlich eine neue Wohnung gesucht. Nachdem ich Al Gores Diashow gesehen hatte, entschied ich mich, nur noch ein Auto zu haben und nahe einer Bahnstation zu wohnen.

Albert Kuhn ist regelmässiger Mitarbeiter des Magazins greenpeace.