Kreative Aktivisten wissen, wie sich die Öffentlichkeit sensibilisieren lässt. Die Amerikanerin Whitney Black verblüfft mit skurrilen Überlebenskugeln; die Australierin Allana Beltran protestiert in Tasmanien gegen Abholzungen, indem sie sich als Mahnengel auf ein 45 Meter hohes Gerüst schnallen lässt; die Französin Cécile Lecomte steigt in Frankfurt auf Hochhäuser und tanzt so «dem Kapitalismus auf der Nase herum». Die Gruppe 350.org schliesslich macht mit spektakulären Events auf die zunehmende Klimaerwärmung aufmerksam. Die Geschichten dieser Bewegten sind spannendste Adventure-Literatur.

Von Rita Torcasso 

Richart Sowa, 59, Isla Mujeres, Mexiko

Der Inselbauer

 

Die Vision einer schwimmenden Insel wurde für den Briten Richart Sowa zum Lebenswerk. Seine dritte eigenhändig aufgebaute Insel heisst «Joysxee Island». Sie schwimmt auf 150 000 leeren Plastikflaschen.  


Sprial Island
© Chris Maluszynski /MOMENT

 

Richart Sowa hat sich den Traum der eigenen Insel erfüllt: Sein Paradies liegt eine Schwimmbeckenlänge vor der mexikanischen Karibikküste. In der Mitte wird die schwimmende Insel von einem Hauptanker gehalten, drei Seilanker halten sie in Balance. Mit Katzen und Hund lebt der Aussteiger in einem dreigeschossigen Wohnhaus, das er aus Sperrmüll errichtet hat. Joysxee Island ist heute eine Touristenattraktion und wird von Tripadvisor unter den 16 wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Isla Mujeres aufgelistet.

1977 zeichnete Richart Sowa erstmals eine schwimmende Insel. Damals arbeitete der Vater von drei Kindern als Schreiner für Alno Einbauküchen in Pfullendorf. Mit 30 verliess er die Familie, um «neue Wege zu gehen, mehr auf mich zu hören, statt woanders und bei andern Antworten zu suchen». Er zog als Musiker und Strassenmaler durch Europa und die USA bis nach Mexiko. In dieser Zeit habe er das Potenzial entdeckt, das im Müll stecke.

In Mexiko erinnern ihn die schwimmenden Gärten der Maya an seine Inselvision. Am Hippie-Strand Zipolite beginnt er, Leergut in ausgedienten Gemüsenetzen unter eine Konstruktion aus Pappmaché zu montieren. Die Polizei stoppt den Inselbau. «Spiral Island» nennt er auch seine zweite Konstruktion vor Puerto Aventuras. «Die Spirale ist DAS Symbol der Entwicklung, denn nur aus Abweichung entsteht Neues», erklärt Sowa den Namen. Mit der Erlaubnis der Behörden kann er in einem künstlich angelegten Kanal ankern. Während dreier Jahre sammelt er Flaschen und Sperrgut für die Insel, die spiralförmig wächst. Mit Spiral Island erregt Richart Sowa weit über Mexiko hinaus Aufsehen. Für ihn ist die Insel eine Botschaft, dass man mit positivem Denken Energie erzeugen kann, die die Welt verändert. «Schwimmende Inseln als Lösung für Länder, die von Überflutungen bedroht sind, oder als Mittel gegen Nahrungsknappheit», umschreibt er seine Zukunftsvision. Während er sein Ökoparadies aufbaut, wächst an der Küste ein Luxusressort für Touristen heran. 2005 zerstört der Hurrikan Emily die schwimmende Insel.

Richart Sowa arbeitet wieder als Zimmermann und Musiker – und plant. Von Sponsoren erhält er ein Startkapital von 40 000 Dollar und kann ein privates Stück Strand auf der Isla Mujeres für 1000 Pesos Monatsmiete nutzen. Er nennt seine dritte Insel «Joysxee Island» – Schlüssel zur Freude. Mit einer Fläche von wenigen Metern beginnt er, heute ist die als «ökologisches Boot» registrierte Insel rund 400 Quadratmeter gross. Mangroven halten mit ihren Wurzeln die Leergutsäcke zusammen. Sowas Ziel ist, Besuchern zu zeigen, dass autarkes Leben möglich ist – mit Wasserauffangbecken, Sonnenofen, Abfallkompostierung und wellenbetriebenem Kühlschrank. Noch ist der Tüftler auf eine Wasserleitung zum Festland angewiesen und Strom liefert eine Photovoltaik-Anlage, die mit 800 Kilogramm zu schwer für die Insel ist. Ein «Flaschenfloss» an Seilen verbindet den Inselbauer mit dem Festland, wo er als Musiker Geld verdient – und weiter Flaschen sammelt, um sein Paradies auszubauen.

Was der Althippie als seine Vision aufgebaut hat, plant jetzt ein holländisches Architektenteam im grossen Stil: Mit dem Plastikabfall aus dem gigantischen Müllstrudel zwischen Hawaii und der US-Küste will es eine schwimmende Insel bauen, die 500 000 Personen Wohnraum bietet.

Quellen: Spiralogische Gespräche, Tanja Alexandra Samed und Richart Sowa, 2012
www.recycledisland.com https://www.youtube.com/watch?v=Afp_jobnsNg