In den Boulevardmedien wurde sie schon «Giga-Königin» genannt, denn sie ist die unangefochtene Championne jener Steigerung des Triathlons, die als härtester Ausdauerwettkampf der Schweiz gilt: der Gigathlon. Von einem Zürcher Werber erfunden, ist er in den fünf Disziplinen Rennen, Schwimmen, Rennrad, Mountainbike und Inlineskate auch eine rund 200 Kilometer lange Querung der Schweiz: über Pässe, durch Seen, Wälder und Täler. Die Route führt von einem Ort zum anderen und nicht rund um eine Bahn, was für Nina Brenn einer der Reize dieses Wettkampfs ist. Vor allem aber sei das mehrtägige Unterwegssein in abwechslungsreichen Landschaften der Grund, weshalb sie an diesen Wettkämpfen teilnehme und nicht etwa an einem Ironman, der in und um Zürich (oder Rapperswil) stattfindet. Auch den letzten Gigathlon (2013) hat die Forstingenieurin gewonnen — seit 2003 gab es kaum einen Inferno-Triathlon*, bei dem sie nicht auf dem Podest stand.

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Von Esther Banz


© Cortis & Sonderegger

Greenpeace: Wir spazieren durchs Flimser Skigebiet. Sie arbeiten teilzeit in Zürich, haben Ihren Lebenmittelpunkt aber hier oben im Dorf. Wegen der Berge? 

Nina Brenn: Ja. Ich bin in der Zürcher Agglomeration aufgewachsen, mein Mann ist aus Chur. 2006 kam unser Sohn Flurin zur Welt — wir wollten beide, dass er die Natur und die Berge schätzen lernt, eine Beziehung dazu aufbauen kann. Ich könnte nicht mehr auf die Berge verzichten.

Ist es der Anblick? Oder was fasziniert Sie so sehr? 

Wenn man morgens um fünf Uhr unten in Flims steht und beim Sonnenaufgang hinaufrennt, steht man eine gute Stunde später oben, allein mit all den Bergen rundherum, die von der frühen Sonne beschienen werden: Das ist ein Gefühl, das ich nicht beschreiben kann.

Wie viele Höhenmeter bringen Sie an einem solchen Morgen rennend hinter sich?

Um die 2000. Das ist eine Frage des Trainings. Ich trainiere sehr gern, damit ich locker auf einen Berg rennen kann — die Leichtigkeit beschert mir dann fast das Gefühl, ich fliege auf den Berg.

Im Wettkampf müssen Sie möglichst schnell von A nach B kommen, Sie trainieren also Tempo. Bekommen Sie da noch etwas mit von der Landschaft? 

Oh ja, während der Wettkämpfe sogar besonders intensiv. Vom letzten Gigathlon habe ich noch viele Bilder im Kopf. Mir bleibt mehr von einer Landschaft in Erinnerung, als wenn ich gemütlich spazieren würde.

Wie erklären Sie sich das? 

Vielleicht, weil ich mich so nah an meinen Grenzen bewege. Es brennen sich einzelne Bilder von Landschaften ein, man erkennt diese Flecken noch Jahre später wieder.

Bei einem Gigathlon ist man rennend, schwimmend, mit dem Rennrad, dem Mountainbike und den Inlineskates unterwegs. Welche Sportart lässt Sie die Natur besonders intensiv erleben? 

Es gibt keine Unterschiede, die Intensität beeinflusst die Wahrnehmung viel mehr. So erkläre ich mir auch, dass ich die Umgebung im Wettkampf intensiver wahrnehme als im Training.

Sie joggten schon als Jugendliche intensiv und liessen sich im Studium an der ETH Zürich zur Forstingenieurin ausbilden. Haben Sie die Faszination für den Wald entdeckt, weil sie oft durch die Wälder rannten?  

Ja, ich hatte das Bedürfnis, etwas im grünen Bereich zu studieren. Ich wollte nicht nur Sport machen, sondern auch den Kopf fordern.

Was fasziniert Sie vor allem am Wald?

Zunächst war es nicht der Wald, der mich speziell interessierte, ich hätte auch Biologie oder Umweltwissenschaften studieren können. Mit dem Wald habe ich aber einen besonders grünen Bereich gefunden. Heute arbeite ich in einem Ingenieurbüro, erstelle Umweltverträglichkeitsberichte und mache Umweltbaubegleitung. 

Erklären Sie uns anhand eines konkreten Projekts, was Sie tun?

Ich bin meist in grosse Projekte involviert. Aktuell ist es der geplante neue Albula-Tunnel der Rhätischen Bahn. Da haben wir jetzt gerade den Umweltverträglichkeitsbericht abgeschlossen, als Nächstes kommt die Baubegleitung. Im Portalbereich des Tunnels ist der Wald betroffen. Als Verantwortliche habe ich zunächst untersucht, was der Tunnel- bau für die dortige Waldflora und -fauna bedeutet, welche Schutzmassnahmen getroffen werden müssen, welche Kompensationen sinnvoll sind, und schliesslich habe ich eine Rodungsbilanz erstellt. Ferner begleite ich den Rückbau der Alptransit-Baustelle in Sedrun, wo eine grosse Waldfläche gerodet wurde. Auch in den Bau der Autobahn im zürcherischen Knonauer Amt war ich involviert.

 

«Man muss sich den Berg verdienen!»

 

Das heisst, Sie betreiben vor allem Schadensbegrenzung?

Das kann man so sagen, ja.

Sie sind also dauernd mit Bauprojekten beschäftigt, die gravierende Einschnitte in Lebensräume mit sich bringen. Blutet Ihnen da nicht das Herz? 

Ja und nein. Da bin ich vielleicht nicht so extrem grün. Schliesslich geniesse ich ja selber Vorteile wie etwa eine schnellere Zugverbindung. Auch bin ich nicht grundsätzlich gegen Autobahnen.

Dennoch: Schadensbegrenzung stelle ich mir auf die Dauer zermürbend vor. 

Es braucht einen gewissen Pragmatismus, um diese Arbeit zu machen. Aber: Über einen neuen Tunnel oder eine neue Autobahn hat das Stimmvolk entschieden. Und dass es die Umweltverträglichkeits– prüfungen und die Baubegleitung überhaupt gibt, ist ein Gewinn für die Natur und noch nicht lange selbstverständlich. Dass Zugfahren extrem teuer ist und Benzin extrem günstig, finde ich aber schräg an unserer Gesellschaft.

Verstehen Sie sich als Umweltschützerin? 

Nicht im extremen Sinn. Ich bin grün, aber nicht extrem.

Was ist für Sie extrem? 

Ich fahre hin und wieder Auto und fliege auch mal ans Meer. Die Emissionen kompensiere ich dann, und wie Sie merken, muss ich jetzt selber über diese Aussage schmunzeln. 

Was nehmen Sie im Wald beim Rennen bewusst wahr? 

Durchaus auch Details, Pilze etwa. Der Flimser Wald ist ein Felssturzgebiet, alles ist sehr abwechslungsreich und gleichzeitig auch sehr ähnlich, mit vielen moosbewachsenen Steinen und Bäumen. Ich habe mich anfangs oft verlaufen, obwohl mein Orientierungssinn gut ist.

Fragen Sie sich manchmal auch selbstkritisch, ob Sie die Natur nicht einfach nur konsumieren? 

Ja, tatsächlich. Die Natur ist ja einfach da und wir konsumieren sie bis zu einem gewissen Grad. Doch die Frage ist, was geben wir ihr zurück? Das wichtigste ist Wertschätzung und Respekt gegenüber der Natur.

Interessant ist, dass Sie ausgerechnet in einem stark ausgebauten Skigebiet leben.

Das ist wegen unseres Hauses, das schon hier stand. Und als Stadtkind weiss ich eine gewisse Infrastruktur zu schätzen. So kann ich auch meistens aufs Auto verzichten — was nicht einfach wäre, wenn ich im hintersten Chrachen im Tal wohnen würde. Unserem Sohn Flurin versuche ich das Bewusstsein zu vermitteln, dass es viel cooler ist, aus eigener Kraft auf den Berg zu gelangen. Aber ich verbiete ihm den Sessellift nicht, denn ich weiss, dass meine Haltung diesbezüglich extrem ist.

Ihre Ansichten werden extrem, wenn es um körperliche Leistung geht … 

Ja. Man soll sich den Berg verdienen. Es ist zu billig, sich einfach hinauftragen zu lassen! Biker, die sich im Sommer in die Sessel setzen und auf den Berg fahren lassen, um von da runterzuflitzen, kann ich nicht ernst nehmen.

Erklimmen Sie den Berg immer selber? 

Ja, das ist stets zutiefst befriedigend. Ich fahre höchstens zum Berg hin oder lasse mich runtertragen — aber niemals hinauf. Diese Erfahrung kann ich allen nur empfehlen.

Aktuell geraten Downhill-Biker mit Stirnlampen im Wald in die Kritik. Ist die Sorge ums Wild übertrieben? 

Nein, gar nicht. Die neuen Lampen sind fürs Wild eine Zumutung und insofern ein grosses Problem. Da muss man die Leute noch stärker sensibilisieren.

Haben Sie in der Natur manchmal das Gefühl, dass Sie mit Ihrem Sport stören? 

Ich würde nie mit dem Bike oder auf Ski ein Wildschutzgebiet runterfahren. Das würde das Wild aufschrecken, das Winterruhe hält und mit seiner Energie sparsam umgehen muss. Aufwärts ist man langsamer unterwegs, stört aber auch. Ich würde aber auch nie mit Schneeschuhen durch ein Wildschutzgebiet gehen.

Fördert der Sport die eigene Disziplin?

Wahrscheinlich schon. Man sagt ja, Sport sei eine Lebensschule.

Wie wichtig ist das Naturerlebnis für Sie und wie wichtig die Disziplin?

Das Naturerlebnis ist alles, sonst würde ich den Sport nicht in dieser Form betreiben. 

Haben Sie eine Vorbildfunktion?

Ich bin nicht so bekannt wie andere Spitzensportler und bewege mich nicht in den sozialen Netzwerken. Das Teilen meiner Trainingsresultate mit aller Welt interessiert mich nicht. Wichtiger ist mir, so grün wie möglich zu leben und das an meinen Sohn Flurin weiterzugeben.

Apropos grün: Wann würden Sie einem Sponsor trotz guter Einnahmen nein sagen? 

Ich hatte einmal ein Angebot einer Bank. Da musste ich nicht überlegen — für ein Geldunternehmen mache ich keine Werbung. Dasselbe gilt für Autos und Energiekonzerne. Ich bin froh, nicht auf Sponsoren angewiesen zu sein, das ist ein Luxus, den ich mir leisten kann, weil ich nicht nur Sport mache, sondern mein Geld mit einer anderen Arbeit verdiene.

Letzte Frage: Wird Ihnen nie langweilig beim stundenlangen Rennen oder Velofahren?

Nein. Es gibt so viele schöne Geräusche in der Natur! Und wenn ich keine Lust mehr habe, kehre ich um. Es ist nie ein Müssen.

 


Nina Brenn (nicht auf dem Bild links) ist 1979 im Kanton Zürich geboren und aufgewachsen. Sie stammt aus einer sportlichen Familie und absolvierte schon früh Kinderläufe und Leichtathletik-Wettkämpfe. Als 16-Jährige entdeckte sie das Rennradfahren. Sie studierte Forstingenieurin und lebt mit ihrem Mann und dem 2006 geborenen Sohn Flurin in Flims. Die Athletin bestreitet bis zu fünf Wettkämpfe im Jahr.

 

* Der Inferno-Triathlon ist mit seinen 5500 Steigungsmetern einer der härtesten der Welt.

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