Bereits vor einigen Wochen haben Shells Bohrschiffe die Arktis verlassen. Man muss mittlerweile fast dankbar dafür sein, dass der Ölkonzern die Beaufort- und Tschuktschenseen in der kurzen Zeit seines Aufenthalts nicht in Schutt und Asche gelegt hat. Dass an den Bohrstellen vor der Küste Alaskas zur Stunde nicht barrelweise Rohöl in arktische Gewässer sprudelt, liegt allerdings auch daran, dass lediglich so genannte Top-Hole-Bohrungen durchgeführt wurden – bei diesen wird gar nicht bis in ölführende Schichten vorgedrungen.

Die zuständige US-Behörde hatte Shell die nötigen Genehmigungen für tatsächliche Ölbohrungen nämlich nicht erteilt. Ein Bericht des Radiosenders KUOW enthüllte, dass die Behörde für ihre zögerliche Haltung gute Gründe hatte: Beim Testen des Notfall-Equipments im September kam es zu – gelinde gesagt – grösseren Schwierigkeiten. Weniger gelinde schreibt es Mark Fesmire, ein Beamter der US-Behörde BSEE, in einer E-Mail an einen Kollegen: Die obere Hälfte einer Haube, die sich im Notfall über ein Ölleck senken sollte, sei nach einem desaströsen Test-Durchlauf «crushed like a beer can» – zerquetscht wie eine Bierdose.

Beim Anblick der zerquetschten Bierdose auf der KUOW-Seite überfällt mich kaltes Grausen. Die Tests fanden nämlich keinesfalls unter den Bedingungen statt, die in der Arktis vorherrschend sind. Die lächerliche Schutzhaube (von Shell optimistisch «containment dome» getauft) trug die Schäden in den Gewässern des Puget Sounds davon – einem Sund im US-Bundestaat Washington. Verglichen mit der Arktis ist dieser eine Badewanne.

Die Beulen gab es beim kontrollierten Absenken ins Meer: Bei den Proben für den Ernstfall tauchte die Haube plötzlich wieder an der Wasseroberfläche auf, liess ordentlich Druck ab («wie ein Wal», schreibt Fesmire) und sank dann ebenso plötzlich wieder ab. Den Aufprall auf dem Meeresgrund verhinderte in knapp vierzig Meter Tiefe eine angeschlossene Boje. Es dauerte anschliessend zwölf Stunden, bis der demolierte weisse Kasten wieder aus dem Wasser gezogen werden konnte. Die Verformungen waren entstanden, weil die Auftriebskammern unter Wasser dem plötzlichen Druckaufbau nachgegeben hatten.

KUOW.org veröffentlichte danach eine E-Mail-Korrespondenz zwischen Fesmire und einem Kollegen, aus der hervorgeht, dass der Panne zwei weitere Malheurs unmittelbar vorausgegangen waren: Die Haube musste bereits unter den Schraubenzieher, nachdem sie sich aus ihrem Windwerk gelöst hatte, mit dem sie unter Wasser manövriert wird. Ausserdem hatte sich ein ferngesteuertes U-Boot in Ankerseilen verfangen. Taucher benötigten 24 Stunden, um das Gerät zu bergen. Apropos: In der Arktis müsste man auf Taucher verzichten. Stattdessen kann Shell dort auf die Mithilfe driftender Eisberge, extremer Minustemperaturen, schlechter Sichtverhältnisse und kräftiger Stürme setzen.

Natürlich spielt Shells Kommunikationsabteilung die immensen Risiken von Ölbohrungen in der Arktis meist routiniert herunter. Pete Slaiby, Vize-Chef von Shell Alaska, hat sich jedoch etwas mehr Ehrlichkeit verordnet. Im Interview mit der BBC erklärt er, dass er mit Ölunfällen in der Arktis rechne: «Da gibt’s nichts zu beschönigen, ich denke mir, dass es Ölunfälle geben wird, und kein Unfall ist ok. Aber wird es zu einem Unfall kommen, der die Lebensgrundlagen der Menschen [in der betroffenen Region] beeinträchtigt? Ich denke nein, ich glaube nicht, dass das passieren wird.»

Weder diese bemerkenswerte Einsicht noch die Pannenserie haben Shell bisher dazu inspiriert, mehr Geld in Sicherheitsvorkehrungen zu investieren. Der Konzern repariert lieber die Bierdose, die von einem Schiff, das in der Vergangenheit bereits eine beachtliche Karriere als Vogelnest hinlegte, in die Arktis transportiert werden soll. Kein Witz, leider.

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