Der Klimawandel bedroht nicht nur die Umwelt, sondern auch Menschenrechte. Deshalb haben Taifun-Opfer und Umweltorganisationen eine Petition bei der philippinischen Menschenrechtskommission eingereicht.
Diese will nun eine Untersuchung von Klimaverbrechen der 50 grössten privatwirtschaftlichen Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Zementunternehmen einleiten.
Es war im November 2013: Die Delegierten der UN-Mitgliedstaaten tagten in Warschau, um ein internationales Abkommen für die Klimakonferenz in Paris (COP 21) vorzubereiten. Naderev «Yeb» Saño, der philippinische Gesandte, hatte soeben erfahren, dass sein Land vom Taifun «Haiyan» verwüstet worden war. Zwanzig solche Wirbelstürme fegen im Durchschnitt jährlich über die Philippinen, aber keiner war dermassen heftig wie «Haiyan». Er zerstörte weite Teile des Inselstaats und forderte 6300 Menschenleben. Saño reagierte unverblümt und unstaatsmännisch: Er brach mitten in der Konferenz in Tränen aus. Die Kameras hielten drauf und bald ging seine Verzweiflung um die Welt – genauso wie die damit verbundene Forderung: «Wir weigern uns zu akzeptieren, dass unser Leben darin bestehen soll, vor Monsterstürmen zu fliehen, unsere Familien in Sicherheit zu bringen, Zerstörung und Not zu erleiden und unsere Toten zählen zu müssen», deklarierte er in einer emotionalen Rede in Warschau, gefolgt von der Ankündigung eines Hungerstreiks. Er werde fasten, bis eine bedeutsame Einigung zum Klimawandel erzielt sei. Hunderte folgten ihm und Yeb wurde zur Ikone eines Kampfes, der seit Jahren die Klimakonferenzen überschattet: der Kampf um Klimagerechtigkeit; der Kampf zwischen den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Ländern im Süden und den grossen CO2-Verursachern im Norden.
Die Verletzlichsten wehren sich
Saño liess seiner vielbeachteten Rede Taten folgen: Am 8. Juni dieses Jahres trafen sich philippinische Vertreter aus Politik und Zivilgesellschaft mit Repräsentanten von Vanuatu, Kiribati, Tuvalu, Fiji und den Solomon Islands – alles pazifische Inselstaaten, die Teil der Klimaverhandlungsgruppe «Allianz der kleinen Inselstaaten» (AOSIS) sind. Ihre Verletzlichkeit liess sie zusammenrücken. Denn sie sind vom steigenden Meeresspiegel genauso betroffen wie von den häufiger auftretenden Extremwetterereignissen. Vanuatu belegt im «World Risk Report» den ersten Platz, die Philippinen liegen hinter Tonga auf Platz drei. Zwischen 1998 und 2009 waren laut Weltbank allein in den Philippinen über 12 Millionen Menschen von verheerenden Stürmen betroffen, die zu volkswirtschaftlichen Kosten von 24,3 Milliarden Dollar führten. Und aktuelle Studien legen nahe, dass sich die Verletzlichkeit der Inselbewohner im Pazifischen Ozean noch akzentuieren wird. Forscher der University of California kamen kürzlich zum Schluss, dass die Taifun-Windstärke heute durchschnittlich um 10 Prozent höher ist als noch in den siebziger Jahren. Dadurch stieg ihre Zerstörungskraft um 33 Prozent. Die Wissenschaftler erklären dies vor allem mit den höheren Wassertemperaturen an der Meeresoberfläche. Dadurch trägt das Wasser mehr Energie in sich, was die Zerstörungskraft der Taifune steigert. In Modellierungen zeigten die Forscher zudem, dass selbst bei einem Klimaszenario mit einem moderaten Anstieg der CO2-Emissionen die Taifun-Intensität bis 2100 noch einmal um 14 Prozent steigen wird. Das entspricht dem Sprung um eine ganze Gefahrenkategorie.
Die Inselstaaten wollen sich diesem Schicksal nicht einfach ergeben: Auf dem Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior unterzeichneten sie im Juni die «People’s Declaration for Climate Justice». Darin solidarisieren sich die Inselbewohner miteinander und bezeichnen den Klimawandel als die grösste ökonomische und humanitäre Krise unserer Zeit. Saño war inzwischen als Klimadelegierter zurückgetreten und will sich seither voll und ganz auf sein zivilgesellschaftliches Engagement konzentrieren. Er kündigte mit den Mitunterzeichnern an, erstmals auch die Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschenrechte einklagen zu wollen und die «Big Carbon Polluters» vor Gericht zu bringen. Nichts Geringeres also, als einen Präzedenzfall zu schaffen für die juristische Ahndung des Klimawandels.
63 Prozent der CO2-Emissionen gehen auf das Konto von 90 Unternehmen
Am 22. September war es so weit: Zusammen mit Taifun-Opfern – darunter auch Saño – und 13 NGOs reichte Greenpeace Südostasien bei der philippinischen Menschenrechtskommission eine Petition ein.
Saño sagte gegenüber Greenpeace International: «Unser Ruf nach Klimagerechtigkeit soll dafür sorgen, dass diejenigen, die für die Klimawandel-Krise verantwortlich sind, auch dafür verantwortlich gemacht werden.» Wer die Verantwortlichen sind, wird in der Petition klar gesagt: die 50 historisch grössten CO2-Produzenten in Investorenbesitz, im Bericht «Carbon Majors» genannt. Darunter befinden sich riesige Unternehmen mit Milliardengewinnen wie Chevron, Exxon Mobil, BP, Royal Dutch/Shell und Total, aber auch Firmen mit Geschäftssitz in der Schweiz, wie Xstrata und Holcim. Die Rangliste der grössten «Klimasünder» geht auf eine Studie des Climate Accountability Institute aus dem Jahr 2014 zurück. Sie zeigt, dass 90 Unternehmen aus den Bereichen Erdöl, Erdgas, Kohle und Zementproduktion für 63 Prozent der globalen industriellen CO2-Emissionen zwischen 1854 und 2010 verantwortlich sind. Unglaublich ist dabei: Die Hälfte der insgesamt 914 Milliarden Tonnen CO2-Equivalente (GtCO2e) wurden seit 1986 ausgestossen – also nachdem Wissenschaftler die Umweltrisiken von fossilen Brennstoffen belegt hatten und Erdöl- und Gasunternehmen über den Zusammenhang von fossilen Brennstoffen und globaler Erwärmung längst im Bild waren.
Die Initianten der Petition berufen sich darauf, dass der Klimawandel für Millionen von Menschen die Ausübung ihrer fundamentalen Menschenrechte untergräbt; darunter die Rechte auf Leben, Ernährung, Wasser, sanitäre Versorgung, Behausung und Selbstbestimmung. «Der UN-Menschenrechtsrat hat anerkannt, dass der Klimawandel schwerwiegende Einschränkungen der Menschenrechte nach sich zieht und eine Bedrohung für Menschen und Gemeinschaften auf der ganzen Welt darstellt», sagte Zelda Soriano, Rechtsberaterin und Mitverfasserin der Petition, gegenüber Greenpeace International. «Deshalb erachten wir den Klimawandel als eine soziale Ungerechtigkeit, die von internationalen Institutionen und Regierungen angegangen werden muss; vor allem von denjenigen, die für die Klimakrise verantwortlich sind.» Die Menschenrechtskommission hat versprochen, der Petition zu folgen. Doch die Initianten fürchten, dass die Erdöllobby das Anliegen vereiteln könnte. Deshalb mobilisieren sie aktuell Unterstützung über Internet und soziale Medien. Über 70 000 Menschen haben die Petition bis Ende November unterzeichnet.
Klage gegen Exxon Mobil in den USA
In ihrem Bestreben, die historisch grössten CO2-Verursacher vor Gericht zu ziehen, sind die philippinischen Aktivisten mittlerweile kein Einzelfall mehr: Anfang November wurde bekannt, dass der Generalstaatsanwalt von New York eine Untersuchung gegen Exxon Mobil eröffnet hat, nachdem zwei Reporterteams der «Los Angeles Times» und der Website «Inside Climate News» nach mehrmonatigen Archivrecherchen und Interviews mit ehemaligen Exxon-Mobil-Mitarbeitern zum Schluss gekommen waren, dass Exxon bereits in den siebziger Jahren ein eigenes Klimaforschungsprogramm betrieben und dafür eigens einen Tanker für CO2-Messungen ausgerüstet hatte. Doch obwohl das Exxon-Management schon 1977 über den Zusammenhang zwischen fossilen Brennstoffen und der globalen Erwärmung informiert war, investierte es in den Folgejahren Millionen in Diffamierungs- und Verwirrungskampagnen, um den Klimawandel zu leugnen (laut Schätzungen von Greenpeace rund 30 Millionen Dollar). 50 US-Umweltschutzverbände reichten darauf eine Klage beim Generalstaatsanwalt ein. Unterstützt wurden sie von Hillary Clinton, Bernie Sanders und James Hansen – demjenigen Wissenschaftler, der das Thema Klimawandel in den achtziger Jahren in den USA populär gemacht hat und seither selber immer wieder zum Ziel von Diffamierungskampagnen geworden ist. Das Vorgehen von Exxon wird mittlerweile von vielen mit demjenigen der Tabakindustrie verglichen, die über Jahrzehnte die gesundheitlichen Risiken des Rauchens leugnete – trotz anderslautender Studien. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: Während aufgrund der Lügen der Tabakindustrie nur die Raucher zu Schaden kamen, zerstören die Lügen der «Carbon Majors» am Ende die Lebensgrundlagen der gesamten Menschheit.
Samuel Schläfli, 1.12.2015
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