Die Geschäftsführerin von Fairtrade Africa, Nyagoy Nyong’o, erzählt im Interview, weshalb der derzeitige Weltmarkt für afrikanische Bauern lebensbedrohlich ist. Und sie fordert von westlichen Konsumenten mehr Fairtrade-Produkte zu kaufen. Aktuell können nämlich nur 23 Prozent der fair produzierten Lebensmittel auch als solche verkauft werden.

Frau Nyong’o, Fairtrade Africa setzt sich für existenzsichernde Einkommen bei afrikanischen Kleinbauern ein. Weshalb verdienen Afrikas Bauern heute nicht genügend durch den Verkauf von Kaffee, Kakao oder Tee?

Wegen der ungleichen Machtverteilung in der Wertschöpfungskette. Zwischenhändler und Zulieferer, zum Beispiel Dünger- oder Saatguthändler, tendieren dazu, ihre Marktmacht zu Ungunsten der Kleinbauern auszunutzen. Die grossen Agrokonzerne fördern eine mechanisierte, grossflächige Landwirtschaft und nicht die Kleinbauern. Hinzu kommen Handelsschranken in westlichen Ländern, die für Exportprodukte unserer Bauern typischerweise am höchsten sind.

Wie wirken sich diese Schranken auf die Kleinbauern in Afrika aus?

Die Bauern im Westen werden von ihren Regierungen stark subventioniert. Dadurch sinken die Marktpreise. Unsere Bauern können da unmöglich mithalten. Ein weiteres Problem, zum Beispiel beim Kaffee, ist die Preisvolatilität. Es gibt Zeiten, da ist der Weltmarktpreis so tief, dass mit den Einkünften nicht einmal mehr die Produktionskosten gedeckt werden können.

Die Bauern geben die Landwirtschaft auf und ziehen in die Städte.

Nicht unbedingt. Afrika ist ein Kontinent der Kleinbauern und Landwirtschaft ist hier auch ein Lebensstil. Wenn diese Menschen nicht mehr in der Landwirtschaft arbeiten, was machen sie dann? In den Städten gibt es nicht genug Arbeit. Derzeit beobachten wir jedoch, dass viele Bauern Exportprodukte wie Kaffee oder Tee mit Nahrungsmitteln für die Selbstversorgung ersetzen. Dies auch deshalb, weil die Kosten für Dünger für «cash crops» zu hoch sind.

Auch die Schweiz ist bekannt für ihre subventionierten Bauern und hohe Zölle für ausländische Agrarprodukte. Leiden afrikanischen Bauern direkt darunter?

Ja, Zucker ist ein gutes Beispiel dafür. Die Produktion von Zucker aus Rüben wird in der Schweiz stark subventioniert. Bauern in Südafrika und Malawi, die Zuckerrohr anpflanzen, und auf den Export angewiesen sind, können mit den tiefen Schweizer Preisen nicht mithalten.

Was müsste die Schweiz Ihrer Meinung nach tun, um die Marktchancen für afrikanische Bauern zu verbessern?

Die Subventionen senken und Zölle abbauen; auch wenn mir bewusst ist, dass die Schweizer Bauern das auf keinen Fall hören wollen (lacht). Die Lösung liegt aber natürlich nicht bei einem einzelnen Land. Wir müssen eine globale Lösung für die Handelsprobleme finden und uns als eine globale Familie verstehen. Wir sprechen hier von zwei Milliarden Kleinbauern weltweit! Wenn diese keinen Zugang zum Weltmarkt haben, werden wir die Sustainable Development Goals niemals erreichen, die letztes Jahr von der UN als globale Entwicklungsziele verabschiedet wurden.

Sie sind zwar gegen Zölle in Europa und den USA, sprechen sich aber gleichzeitig für mehr Protektionismus in Afrika aus. Ist das nicht widersprüchlich?

Nein, ich spreche mich nicht grundsätzlich für mehr Protektionismus in Afrika aus. Wenn der Westen seine Subventionen und Zölle reduziert werden die Weltmarktpreise steigen und die Kleinbauern aus Afrika konkurrenzfähiger. Wenn der Westen Subventionen und Zölle nicht reduziert, müssen diese jedoch auch in Afrika eingeführt werden.

Inwiefern würden die Bauern davon profitieren?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In Afrika bauen viele Bauern Reis an. Sie können diesen aber nicht Mal in Afrika verkaufen, weil man in den Geschäften viel günstigeren subventionierten Reis aus den USA oder aus Asien findet. Dasselbe gilt für Baumwolle: Die Weltmarktpreise sind im Keller seit die USA ihre Produktion stark erhöht haben. Die USA fluten den Markt mit subventionierter Baumwolle. Länder wie Mali, Benin, Senegal und Togo leiden stark darunter.

Und wieso unterstützen die afrikanischen Regierungen ihre Bauern nicht?

Sie haben schlicht nicht die Mittel dafür!

Ist das nicht etwas zu einfach? Staaten wie Nigeria können auf grosse Einnahmen aus dem Verkauf von Erdöl zurückgreifen. Weshalb profitieren die Bauern nicht davon?

Natürlich ist das auch eine Frage der Prioritäten. Viele afrikanischen Regierungen stecken viel mehr Geld in die Verteidigung, als in die Landwirtschaft. Zudem werden die vorhandenen Ressourcen vielerorts auch einfach sehr schlecht gemanagt.

Gut, die Regierungen haben kein Geld oder wollen es nicht für die Subvention ihrer Bauern ausgeben. Aber sie könnten doch zumindest die Zölle für ausländische Produkte erhöhen, um die einheimischen Bauern zu schützen. Wieso tun sie das nicht?

Einerseits spricht sich die Welthandelsorganisation deutlich gegen die Einführung von Zöllen aus, andererseits würde dies vom Westen nicht respektiert. Für mich wäre das jedoch eine längst fällige Massnahme.

Lobbyiert Fairtrade Africa aktiv für höhere Zölle in Afrika?

Bisher haben wir uns auf die Betreuung der Kleinbauern fokussiert. Aber wir haben realisiert, dass wir enger mit den Regierungen zusammenarbeiten müssen und dass die «food advocacy» zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit werden muss.

Wie steht es um den innerafrikanischen Binnenmarkt? Könnte dieser langfristig einen Ausweg aus der internationalen Isolation bieten?

Wir haben in Afrika eine wachsende Mittelklasse, die ein grösseres Bewusstsein gegenüber fair produzierten Nahrungsmitteln hat und bereit ist, etwas mehr für afrikanische Produkte zu bezahlen. Sie finden heute schon in mehreren afrikanischen Ländern Wein, Kaffe, Tee und Schokolade von Fairtrade-Produzenten. Allen voran natürlich in Südafrika und Kenia, wo auch unsere beiden Geschäftsstellen sind. Aber im Vergleich mit Europa sind die Verkäufe derzeit noch marginal. Dort ist das Bewusstsein für unsere Produkte bereits viel grösser. Trotzdem verkaufen wir aber auch in Europa lediglich 23 Prozent der Produkte, die nach Fairtrade-Richtlinien produziert werden, unter dem Fairtrade-Label.

Weil die Nachfrage nach Fairtrade in Europa nicht genügend hoch ist?

Ja, es gibt bei euch einfach zu wenig Leute, die solche Produkte kaufen (lacht). Deshalb ist das Marketing für Fairtrade-Produkte in westlichen Ländern für uns so wichtig. Wenn eine Farm das Fairtrade-Label trägt, dann sind alle dort produzierten Produkte Fairtrade. Wenn diese als herkömmliche Ware verkauft werden, verlieren die Bauern Geld.

Nicht alle befürworten das Fairtrade-Konzept. Manche kritisieren, dass sie damit staatliche Aufgaben übernehmen und die Regierungen vom Reformdruck entlasten.

Was ist die Alternative? Sollen wir auf unsere Regierungen warten, während tausende von Frauen sterben, weil sie während der Geburt keine ausreichende medizinische Versorgung erhalten? Oder sollen wir die Gemeinschaften von Innen heraus stärken und ihnen eine Möglichkeit geben, ihre Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen? Genau das tun wir mit unserer Fairtrade-Prämie für soziale Projekte in den Gemeinden, zum Beispiel für den Bau von Kliniken, die Unterstützung von Schulen oder Weiterbildungen für Frauen.

Ndongo Samba Sylla kritisiert in seinem Buch «The fair trade scandal», dass Fairtrade keine Lösungen für die echten Probleme des Weltmarktes biete. Vielmehr schmücke es das aktuelle, unfaire System mit einem moralischen Mäntelchen.

Natürlich wäre ein grundsätzlicher Wandel des Wirtschaftssystems nötig. Sicher ist es auch nicht falsch zu argumentieren, dass der Kapitalismus eine Wurzel unserer Probleme ist. Aber im aktuellen System ist Fairtrade die beste Alternative. Wir haben heute eine Million zertifizierte Bauern in Afrika und im Mittleren Osten. Mehr als drei Millionen Menschen profitieren von besseren Handelsbedingungen. Man muss unseren Erfolg oder Misserfolg in den Verbesserungen im Alltag der einzelnen Menschen beurteilen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Zusammenarbeit von Fairtrade mit Grosskonzernen wie Mars und Cadbury. Wie stehen Sie dazu?

Wir sind stets an neuen Partnern und Märkten interessiert solange diese Fairtrade-Prinzipien erfüllen.

Aber drücken nicht gerade solche Grosskonzerne die Preise bei den Bauern und setzen sich für die Deregulierung der afrikanischen Märkte ein?

Wir suchen uns unsere Partner sehr bewusst aus und arbeiten nur mit denjenigen zusammen, die auch unsere Prinzipien teilen und respektieren. Mars und Cadbury haben begonnen die Fairtrade-Prinzipien in ihre Lieferketten zu integrieren. Wir erhoffen uns dadurch neue, grosse Märkte zu eröffnen.

Gut, lassen wir das. Eine letzte Frage: Die Leser des Greenpeace Magazins interessiert sicherlich auch, die Beziehung zwischen Fairtrade und ökologischer Nachhaltigkeit. Profitiert auch die Natur von Fairtrade?

Unbedingt. Unsere Zertifizierung beinhaltet soziale, ökonomische und ökologische Aspekte. Letzteres besteht zum Beispiel in einem fortschrittlichen Abfallmanagement, in der nachhaltigen Bodenbearbeitung, in der Förderung der Biodiversität und einer Reduktion des Pestizideinsatzes. Der Umweltgedanke ist uns sehr wichtig. Ihre Leser können davon ausgehen: Es gibt keine Fairtrade-Produkte, die nicht auch ökologisch nachhaltig sind.

Nyagoy Nyong’o ist seit Dezember 2013 Geschäftsführerin von Fairtrade Africa. Die Mutter von drei Kindern lebt mit ihrer Familie in Nairobi, Kenia. Davor hat sie über acht Jahre für Max Havelaar und die FLO-CERT GmBH in der Schweiz gearbeitet. In dieser Funktion war sie für die Zertifizierung von Kleinbauern-Organisationen und Landwirtschaftsbetrieben in Afrika zuständig.