Umweltverschmutzung und Überfischung bedrohen das grösste Süsswassersystem Afrikas – und damit die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen. Rasante Verstädterung und mangelhafte Infrastruktur zerstören den Lebensraum von einst Hunderten von Fischarten im Victoriasee. Bei der Bekämpfung des Problems bringen Grossinvestitionen von Entwicklungsbanken bisher wenig Erfolg.

Einst galt er als «Darwins Dream Pod», ein Biodiversitätswunder mit über 500 endemischen Fischarten wie Buntbarsche und anderen Wasserorganismen: Der Victoriasee in Ostafrika. Mit einer Fläche von 68 000 Quadratkilometern ist er der zweitgrösste Süsswassersee der Welt und bildet für rund 50 Millionen Menschen in der Region eine wichtige Lebensgrundlage. Circa acht Millionen Leute hängen direkt von kleinbetrieblicher Fischerei ab.

Exzessive Export-Fischerei und kontinuierliche Einleitung von Nährstoffen und Chemikalien aus Landwirtschaft, Industrie und Privathaushalten entlang der über zwanzig Zuflüssen haben das ökologische Gleichgewicht des einst fischreichsten Sees inzwischen zerstört.

Die Schattenwirtschaft blüht

Die Fischereikommission der Anrainerstaaten Uganda, Tansania und Kenia schlug in ihrem jüngsten Bericht Alarm: Der illegale Fang von Nilbarsch-Brutbeständen und Jungfischen bedroht das Überleben des beliebtesten Speisefisches im Victoriasee. In Ostafrika weitet sich eine neue lukrative Schattenwirtschaft rund um die Schwimmblase des Nilbarsches aus, die auf dem asiatischen Markt in getrockneter Form als Delikatesse gehandelt wird. In China spricht man ihr gar aphrodisierende Eigenschaften zu.

Schwimmblasen werden von Meeres- wie auch Süsswasserfischen gewonnen. Der Löwenanteil der aus Afrika importierten Süsswasser- Fischblasen stammt aus dem Victoriasee, wo wachsende Kartelle aus lokalen Fischern und internationalen Händlern auf diese Weise ein Vielfaches vom üblichen Marktwert des Nilbarschs erwirtschaften.

Während ein Kilogramm Nilbarsch für rund fünf Dollars gehandelt wird, geht ein Kilogramm Schwimmblasen für etwa 500 Dollar an lokale Zwischenhändler. 2018 wurden Fischblasen im Wert von rund 52 Mio $ aus Uganda nach Asien exportiert, gemäss Berichten von NGOs.

«Um die schwindenden Fischbestände zu schützen, wären Fangquoten und vereinheitlichte Richtlinien in der Fischwirtschaft notwendig», sagt Willis Oukumu von ENACT, einer panafrikanischen Organisation im Kampf gegen internationale Schmuggler-Kartelle. «Die Staaten wollen aber in erster Linie ihre eigenen Märkte sichern anstatt zu kooperieren.» Uganda hat beispielsweise 2023 den Export von Schwimmblasen reguliert, um mehr Profite aus Fischerei zu erwirtschaften, während der Handel in Kenia und Tansania nach wie vor illegal ist. «Dies öffnet Türen für illegale Machenschaften und korrumpiert Vorsteher von Fischereiverbänden.»

Bukoba, Tansania: Die Boote der Dagaa­Fischer wurden nach einer stürmischen Nacht am Hauptlandungsstrand vertäut. Auf der Suche nach Fisch landen weisse Reiher auf der Reling und überfliegen die Boote. © Frédéric Noy

Nun wickeln die Fischer auf dem offenen See die Geschäfte mit Fängen aus den Hoheitsgebieten der anderen Staaten ab, was illegal ist. «Der See ist nie der Marktplatz», erläutert Oukumu. Kenianische und tansanische Fischer würden ihren ugandischen Berufskollegen die Schwimmblasen ihrer Fänge übergeben und anschliessend den Fisch in den See schmeissen. Bei ihrer Rückkehr zum Strand würden dann einfach keine Fänge registriert. «Die Mitglieder der lokalen Beach Management Units sollten eigentlich überwachen, ob die Vorschriften eingehalten werden, um die Fischbestände zu schützen. Stattdessen tun sie jetzt das Gegenteil und ziehen aus der schwachen Überwachung ihren Nutzen. Aus Gier oder Not nach schnellem Geld», sagt Oukumu. Ironischerweise wurde der Aufbau dieser so genannten Beach Management Units Anfang der 2000er-Jahre von  Entwicklungsgeldern der Weltbank finanziert.

Die Anrainerstaaten teilen sich die grösste Binnenfischerei weltweit, doch die wirtschaftliche Integration bleibt ein langwieriger und bisher wenig erfolgreicher Prozess. Eine Folge davon: Der Nilbarsch gilt nun als bedroht und mit ihm eine der grössten Einkommensquellen am See.

Der gefallene Heilsbringer

Einst war der Nilbarsch Retter in Not, nachdem Mitte der 1950er-Jahre der Victoriasee – damals noch unter der Ägide der Kolonialmacht England – zum ersten Mal kommerziell für ausgefischt galt. Was die Behörden dazu veranlasste, einen ortsfremden Raubfisch aus den benachbarten Seen Turkana und Albert in den Victoriasee auszusetzen, damit er sich schnell vermehren sollte und die Fischwirtschaft wieder in Gang kommen sollte. Zunächst passierte scheinbar nichts. Erst  zwanzig Jahren später sollte sich der Fisch derart stark vermehrt haben, dass die Hafenstädte Mwanza, Entebbe oder Kisumu einen beispiellosen Goldrausch erlebten.

Das nie da gewesene Eldorado lockte hunderttausende Menschen an den See. Doch das Experiment mit dem Nilbarsch hatte verheerende ökologische Folgen: 2006 waren 50 Prozent der Bestände verschwunden. Während die grössten Fänge anfangs des Booms bis zu zwei Meter lang wurden, waren sie noch knapp 50 Zentimeter gross. Der Fremdfisch hatte über die Jahre zudem einheimische Buntbarsch Arten verdrängt. Womit die Katastrophe in Kombination mit der durch rapide Ansiedlung stark ansteigenden Gewässerverschmutzung vorprogrammiert war. Inzwischen ist der Wunder See zum Schauplatz eines der grössten jemals dokumentierten Artensterbens geworden; nur schon in den letzten zehn Jahre gingen schätzungsweise 60 Prozent des Fischbestandes verloren. Heute leben noch 234 Fischarten im See.

Nur einen Steinwurf von der ugandischen Hauptstadt entfernt, lässt ein illegaler Fischer sein Boot, das er den ganzen Tag unter Bäumen versteckt hat, wieder ins Wasser. © Frédéric Noy

Die Anrainerstaaten haben längst erkannt, dass Handlungsbedarf besteht. Seit 2003 gibt es die «Lake Viktoria Basin Commission» mit dem Ziel der wirtschaftlichen Erschliessung bei gleichzeitiger Erhaltung der gesamten Seeregion. Dazu gehören auch die Länder Ruanda und Burundi, die am Kagera-Fluss liegen – auch oberer Nillauf genannt – dem grössten Zufluss in den See.

Zusammen mit Entwicklungsagenturen soll ein institutionelles Dach für sämtliche Binnengewässer in der Region aufgebaut werden. Erst ein gemeinsames Wasserinformationssystem mit einem Überwachungsmechanismus und Datenaustausch kann Zustandsberichte zur Wasserqualität liefern, die genügend aussagekräftig sind, um als Entscheidungsgrundlage für Investitionen zu dienen. Bis anhin kommen solche Kooperationsbestreben nur schleppend voran, so auch die Programme der Weltbank und ihrer Partner im Bereich Fischerei und Grossinfrastruktur für Abwasseraufbereitung.

Rapide Verstädterung ohne Kläranlagen

In Ostafrika wachsen Städte schneller als im globalen Durchschnitt. Grund ist die anhaltende Landflucht: Arbeitssuchende junge Leute zieht es in Ballungszentren. Historisch bedingt liegen diese an Flussläufen oder in Buchten von Gewässern. So sind auch die Städte um den Victoriasee und entlang seiner Zuflüsse in den Anrainerstaaten Kenia, Uganda und Tansania im vergangenen Jahrzehnt exponentiell gewachsen. Müllentsorgung und Abwasseraufbereitung erfolgen nach wie vor mangelhaft. In afrikanischen kleinen und mittelgrossen Städten werden nur zwischen zehn bis zwanzig Prozent der Abwasser aufbereitet. Ein Grossteil aus den Haushalten fliesst unbehandelt in die Flüsse – und schliesslich in den See. Auch Chemikalien aus den Industrieabwässern von Kisumu, Mwanza oder Kampala. Kommerzielle Landwirtschaft und Abholzung entlang von Flussufern sorgen zudem dafür, dass in Regenzeiten der gedüngte Boden erodiert und dieser samt den Nährstoffen ebenfalls in den See eingeschwemmt wird.

Das hat auch verheerende Auswirkungen für die Volksgesundheit. Weil die Bevölkerung das kontaminierte Wasser aus dem See und seinen Zuflüssen zum Kochen und Waschen nutzt, verbreiten sich Krankheiten wie Typhus und andere Durchfallerkrankungen.

Die UN schätzt, dass weltweit etwa 2.4 Milliarden Menschen nicht an Kanalisation und Abwasseraufbereitung angeschlossen sind. Seit den 1990er-Jahre fliessen Hunderte von Millionen von Dollar in Abfall- und Abwassersysteme mit sehr durchzogener Bilanz. Die Kläranlagen, wie sie etwa in der Hafenstadt Kisumu (Kenia) stehen, decken weder den lokalen Bedarf noch erfüllen sie internationale Minimalstandards. Während die grossen multilateralen  Entwicklungsprogramme nur zögerlich Erfolge verbuchen, suchen andere nach kostengünstigen und lokalen Innovationen, um im globalen Süden ökologisch zu wirtschaften.

Auf einer Müllkippe in einem Feuchtgebiet des Sees reinigt ein Mann Plastiktüten, die er aus Abfallbergen geborgen hat, um sie zu verkaufen. Der Farbstoff der blauen Tüten vermischt sich mit dem Wasser. © Frédéric Noy

Lösungen sind vorhanden

Im Rahmen des Forschungsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union haben leitende Wissenschaftler:innen des Instituts für Angewandte Wissenschaften Karlsruhe (Prof. Jan Hoinkis) zusammen mit Wissenschaftler:innen der Kenyatta Universtität für Landwirtschaft und Technologie in Kenia eine ökologische Pilotanlage für Fischzucht erfunden. Becken werden dabei an ein zirkuläres Wasseraufbereitungssystem mit minimalem Verlust angeschlossen, das auf einer Membran-Bioreaktor-Technologie basiert.

Junge Hochschulabgänger:innen gründeten das Start-up AquacultureBarn, welches diese Technologie nun im Pilotversuch testet. Ihr Konzept sieht einen «kommunalen und geschlossenen Wasserkreislauf für die Fischzucht vor, in dem bis zu 95 Prozent des Wassers aus aufbereiteten Abwassern rezirkuliert wird», erklärt Hoinkis. Man muss somit lediglich fünf Prozent des Wassers ergänzen. Dezentrale kleinräumige Anlagen, angepasst an klimatische Bedingungen, ohne dabei Wasser vom See oder Grundwasser zu nutzen, seien das langfristige Ziel.

Manchmal muss man aber auch gar nicht weit suchen, um Lösungen zu finden. Die Wasserhyazinte, die vor über hundert Jahren über Flüsse in den Victoriasee gelang, überwuchert infolge zunehmendem Nährstoffüberschusses ganze Küstenabschnitte und blockiert dadurch den Fischern die Zugänge zu den Fischgründen. Im Gegensatz zu anderen Wasserorganismen gedeiht sie prima in einem überdüngten Umfeld. Einige Studien kamen zudem zum Schluss, dass die Zierpflanze die durch Parasiten übertragene Krankheit Bilharziose fördere.

Das Unternehmen Biogas International aus Kenia entwickelt Systeme, um biologisch abbaubare Abfälle und Schlacken in Kochgas zu verwandeln – als Alternative zur weitverbreiteten Holzkohle. Ausserhalb von Kisumu betreibt es eine Pilotstation, die auch das «Unkraut des Victoriasees» zur Herstellung von Biogas nutzt. Im Rahmen der Entwicklung haben Dominic Kahumbu, der Gründer des Unternehmens, und sein Team die Hyazinthe genau studiert.

Nebst einer entzündungshemmenden Wirkung haben Wissenschaftler:innen auch die reinigende Eigenschaft der Pflanze erforscht. Die Hyazinthe sei eine naturgegebene Kläranlage, ist Kahumbu überzeugt. Das Start-up entwickelt derzeit eine Methode, wie Wasserhyazinthen Flüsse reinigen können, wenn man sie, vergleichbar mit Ölsperren an den Ausgängen von Städten an Zuflüssen zum Victoriasee als schwimmende Teppiche anlegt. «Wir lassen die Wasserhyazinthe stromaufwärts wachsen, wir schaffen einen Schwamm, den man kontinuierlich am ältesten Ende erntet. So haben wir ein System, welches das Wasser reinigt und gleichzeitig Material für Dünger, Papier oder Möbel hergibt.» Das wäre zudem eine gute Einkommensquelle für junge Erwachsene, sagt Kahumbu; er und sein Team wundern sich, wie wenig Beachtung geschweige denn Verwendung die positiven Eigenschaften der Pflanze bisher gefunden haben.

Während Entwicklungsgelder in die Bekämpfung des Unkrauts im Seebecken etwa mit Mähmaschinen fliessen, sei di Lake Victoria Basin Commission, welche die Investitionen der Weltbank koordiniert, skeptisch gegenüber dem Projekt von Biogas International. Es fehle eine Machbarkeitsstudie. Diese sei nun am Laufen. Das Umweltministerium von Kisumu County hätte ihnen zugesichert, am Pilotprojekt teilzunehmen. Was aber noch fehlt, ist Geld. «Sobald wir die Machbarkeitsstudie und die Daten überprüft haben, sind wir bereit für landesweite Pilotprojekte, die eigentlich überall auf dem Kontinent und der Welt angelegt werden können. Denn die Wasserhyazinthe ist ein Juwel, die Einladungskarte von Mutter Natur zu sauberem Wasser», ist Kahumbu überzeugt.


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