Sicherer Betrieb und preis­günstiger Strom: Diese beiden Anforderungen sollte der Europäische Druckwasserreaktor EPR erfüllen. Zwanzig Jahre nach seiner Lancierung stehen die Kooperationspartner vor einem Scherbenhaufen. Sofern der EPR eines Tages Strom produziert, wird er deutlich teurer sein als jener aus er­neuerbaren Energien.

Für die Entwicklung des EPR wurden vor allem zwei Gründe angeführt: Einerseits wollte man die Sicherheit der Bevölkerung durch eine neuartige Technologie garantieren, die eine Kernschmelze verhindert. Anderseits wurde die ausserordentlich hohe Leistung des EPR gerühmt, die mit 1650 Megawatt mehr als vier Mal so gross sein sollte wie jene des AKWs Mühleberg.

Zudem wollten die Atomkonzerne Areva und EDF (Frankreich) sowie die mittlerweile ausgestiegene Siemens (Deutschland) beweisen, dass sie in der Lage sind, aus eigener Kraft rentable und exportfähige Reaktoren zu entwi­ckeln. Die meisten europäischen AKW wurden bisher nach den Patenten US­-amerikanischer Konzerne gebaut.

Seit der Lancierung des Projekts im Jahr 1992 haben sich vier Länder für den Bau eines EPR entschieden: Frankreich, Finnland, China und Grossbritannien. Auf den Baustellen im französischen Flamanville und im finnischen Olkiluoto kam es zu Problemen und grossen zeitlichen Verzögerungen. In beiden Fällen rechnete man mit einer Bauzeit von viereinhalb Jahren; mittlerweile sind daraus bald zehn geworden. Die Kosten haben sich von jeweils 3 auf 10,5 Milliarden Euro mehr als verdreifacht.

Trotz dieser Probleme konnten 2012 zwei weitere EPR-Reaktoren nach Grossbritannien verkauft werden. Sie sollen in Hinkley Point im Südwesten des Landes zwei alternde Blocks ersetzen. Der Preis der beiden Atommeiler wurde auf 16 Milliarden Euro veranschlagt und die Inbetriebnahme auf Ende 2017 in Aussicht gestellt. Inzwischen rechnet man mit 24 bis 26 Milliarden Euro und der frühesten Aufnahme der Produktion im Jahr 2023.

Kostengarantie für 35 Jahre

Die Befürworter der Atomkraft behaup­ten stets, die Kosten des Atomstroms seien deutlich tiefer als jene der neuen erneuerbaren Energien (Sonne, Holz, Biomasse, Wind, Geothermie und Umgebungswärme). Bei den EPR-Reaktoren von Hinkley Point C gilt die­ses Argument definitiv nicht mehr. Denn während die Kosten der neuen erneuerbaren Energien Jahr für Jahr sinken, hat sich Grossbritannien verpflichtet, dem französi­schen EDF-Konzern 35 Jahre lang einen kostendeckenden Festpreis für den bezogenen Atomstrom zu entrichten – obwohl die Preise für Windstrom beim Produktionsstart höchst­ wahrscheinlich gleich hoch oder bereits niedriger sein werden! Die Briten werden den Atomstrom also über Jahrzehnte mit Milli­ardenbeträgen subventionieren.

Auch in Frankreich ist die Finanzierung der Atomkraft durch die Steuerzahlenden ein Problem, denn EDF (Électricité de France) gehört zu 84 Prozent dem Staat. Der Konzern kann keine alternative Finanzierung über Banken aufbauen, denn diese sind sehr zurück­haltend mit Beteiligungen an einer Techno­logie, die inzwischen zwanzig Jahre alt ist, aber noch nie in Betrieb war. Es ist keineswegs sicher, dass EDF das nötige Kapital für den Re­aktorbau in Grossbritannien auftreiben kann, insbesondere weil der französische Konzern hochverschuldet ist. Die Aktien haben in den letzten fünf Jahren 46 Prozent an Wert verloren, was belegt, wie skeptisch die Investoren die Chancen des Konzerns beurteilen.

Finanzchef springt ab

Im März 2016 kam es zum Eklat: Finanzchef Thomas Piquemal verliess den Konzern mit der Begründung, er erachte das Projekt Hinkley Point für nicht finanzierbar. Vor der Wirtschafts­kommission des französischen Parlaments sagte der Manager, er habe verschiedene Finan­zierungsoptionen geprüft, doch habe die Geschäftsleitung keinem einzigen Vorschlag zu­ gestimmt. Deshalb habe er die Verantwortung nicht mehr tragen können und sei zurückgetre­ten. Aber EDF ist eben kein normaler Konzern.

Bei seinem Auftritt stellte Piquemal den Parlamentariern eine interessante Frage: «Wer würde 60 bis 70 Prozent seines Vermögens für eine Technologie aufs Spiel setzen, von der man immer noch nicht weiss, ob sie je funkti­onieren wird, obwohl sich die Bauarbeiten schon über zehn Jahre hinziehen?» Die Antwort ist klar: Ein privater Konzern würde ein solches Risiko niemals eingehen. Die Manager von EDF tun es mit staatlicher Garantie: Sollte das EPR-Projekt scheitern, wird die französische Bevölkerung für die halsbrecherischen Entscheide geradestehen müssen.

Unter dem Eindruck des sich abzeichnen­den Desasters fordern Kritiker, dass öffentliche Gelder konsequent in zukunftsträchtige Technologien fliessen müssen: In den Ausbau erneuerbarer Energien und in Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz. Im Gegen­satz zur Atomwirtschaft haben die Erneuer­baren ihre Rentabilität in den letzten zwanzig Jahren konstant gesteigert.

Am 28. Juli hatte der Verwaltungsrat von EDF für das Projekt Hinkley Point grünes Licht gegeben, trotz dem Rücktritt eines Mitglieds des Verwaltungsrates und gegen die Meinung der Gewerkschaften. Diese befürchten, dass Hinkley Point die Firma EDF in den Ruin treiben könnte. Am folgenden Tag verschob die neue britische Premier­ministerin Theresa May den Entscheid über das Bauvorhaben überraschend um mehrere Monate. In der Zwischenzeit sollten die Einzelheiten des Projekts vertieft geprüft werden. Offenbar wird es als problematisch betrachtet, dass der chinesische Konzern CGN sich mit einem Drittel der nötigen Investitionen an Hinkley Point beteiligen will, wie ver­schiedene Quellen berichteten. Am Abend des 14. September sicherte Theresa May dem französischen Präsidenten François Hollande schliesslich die Unterstützung des Projekts durch Grossbritannien zu, jedoch mit zusätzlichen Auflagen. Es wird nicht die letzte Episode im atomaren Fortsetzungsro­man bleiben.