Den Sauerstoff für jeden zweiten unserer Atemzüge verdanken wir dem Meer. Doch dieses letzte grosse Gemeineigentum der Welt haben wir selbst aus dem Gleichgewicht gebracht.

Unsere Ozeane sind noch immer zu grossen Teilen unerforscht. Welche Lebewesen dort leben und wie genau, was die grossen Meeresströmungen beeinflusst, welche Auswirkungen die Klimakrise haben wird, wo eigentlich das ganze Plastik landet oder was Tiefseebergbau mit der Unterwasserwelt anstellen würde – über all das wissen wir noch immer viel zu wenig. Forschende haben sogar mehr Erkenntnisse über die Oberfläche des Mondes als über unsere eigene Tiefsee.

Was wir jedoch deutlich sehen können: Unser Hunger nach Fisch, die Gier nach Öl, Gas und Rohstoffen auf dem Meeresgrund, die Belastung durch Schadstoffe, die Versauerung und Erwärmung durch die Klimakrise sowie die Vermüllung haben schon heute deutliche Spuren hinterlassen. Weltnaturerbe wie das Great Barrier Reef sind bedroht, Fischpopulationen wie die des Dorsches in der Ostsee brechen zusammen. Dabei sind die Ozeane wichtige Verbündete im Kampf gegen die Klimakrise und das Artensterben: Das Meer kühlt und stabilisiert das Klima, speichert Wärme und CO2, produziert dabei sogar Sauerstoff – und bietet Flora wie Fauna den grössten Lebensraum auf unserer Erde. Ohne intakte Ozeane ist kein Leben auf diesem Planeten möglich.

Und wir sehen auch: Meeresschutz wirkt. Konsequent umgesetzt, kann sich die Natur erholen – im Idealfall ohne jegliche menschliche Eingriffe. Wachsende Walpopulationen, einzelne, sich langsam erholende Fischbestände und neues Leben an künstlich angelegten Riffen zeigen das. Doch der mit Abstand grösste Teil unserer Meere ist völlig schutzlos und werden rücksichtslos ausgebeutet – das müssen wir dringend ändern!

Meere bedeuten Artenvielfalt

Rund 70 Prozent der Erde sind von Ozeanen bedeckt. Rechnet man ihr Volumen bei durchschnittlich 3.900 Metern Meerestiefe mit ein, stellen sie über 90 Prozent des gesamten Lebensraumes auf unserem Planeten. Darin leben laut wissenschaftlichen Schätzungen zwischen 500.000 und 10 Millionen Arten von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen, die teilweise noch völlig unbekannt sind. Für sie sind die Ozeane überlebenswichtig. Eine Schlüsselrolle hat dabei das pflanzliche Plankton: die mikroskopisch kleinen Algen sind die Nahrungsgrundlage für alle Tiere – vom winzigen Krebs oder Fisch bis hin zum grossen Wal. Denn sie bilden die Basis des Nahrungsnetzes. Aber auch für alle an Land lebenden Arten sind die Ozeane Lebenselixier: Das pflanzliche Plankton in den Meeren produziert durch Photosynthese bis zu drei Viertel des Sauerstoffs in der Atmosphäre. 

Da Plankton Sonnenlicht braucht, kommen viele Meereslebewesen in den oberen, lichtdurchfluteten Wasserschichten vor. Mit zunehmender Tiefe nimmt das Licht ab. Bereits in 1.000 Metern Tiefe ist es stockdunkel, und der Druck der Wassersäule beträgt 101 bar. Das heisst, auf dem Körper eines Lebewesens in der Tiefsee lastet ein Gewicht von 101 Kilo pro Quadratzentimeter – das ist ein 100-mal grösserer Gewichtsdruck als an Land. Eine unvorstellbare Zahl, vor allem, wenn man bedenkt, dass unsere Ozeane bis zu 11.000 Meter tief sein können. 

Doch selbst unter solch extremen Bedingungen existiert noch vielfältiges, geheimnisvolles Leben; im Wasser wie am Meeresboden. Tiefsee-Ökosysteme wie Hydrothermalfelder oder Seeberge sind regelrechte “Hotspots” der Artenvielfalt – sie stehen den artenreichen Korallenriffen in flachen Gewässern praktisch in nichts nach. Viele der nur in der Tiefsee vorkommenden Arten können auch nur dort überleben. Beispielsweise die erst vor wenigen Jahren entdeckte kleine Tiefseekrake “Casper”: Sie klebt in mehr als 4.000 Metern Tiefe am Meeresgrund ihre Eier an Stängel aus abgestorbenen Schwämmen, die an den Manganknollen am Meeresgrund wachsen. Und zwar nur dort. Was es für den kleinen Casper bedeuten würde, wenn Manganknollen künftig in industriellem Stil ausgebeutet werden, ist also leicht vorstellbar.

Am Ende des Nahrungsnetzes steht allzu oft der Mensch. Aktuell fischen wir unsere Meere leer: Mit industriellen Trawlern fangen wir konstant mehr Fisch, als auf natürlichem Wege nachgeboren wird. Dabei ist eine nachhaltige Fischerei sehr wohl möglich: Wir müssen im Hier und Jetzt Fischfilets wieder zur seltenen Delikatesse machen, falls wir möchten, dass unsere Kinder und Enkel sie auch noch geniessen können. Angenehmer Nebeneffekt, wenn wir dies tun: Ohne einen Finger krumm zu machen, schützen wir die Meere vor Plastik – denn je weniger industrieller Fischfang betrieben wird, desto weniger Geisternetze schwimmen im Meer umher und fangen weitere Meerestiere.

Wer atmet, braucht das Meer

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Ozeane regulieren das Klima

Wasser hat die Fähigkeit, grosse Wärmemengen aufzunehmen und nur langsam und gleichmässig wieder abzugeben. So gleichen die Weltmeere extreme Temperaturschwankungen auf der Erde aus. Von der Sonnenenergie, die Tag für Tag unseren Planeten erreicht, nehmen die Ozeane doppelt so viel auf wie Land oder Luft. Je nach Intensität und Dauer der Sonneneinstrahlung und je nachdem, wie viel Süsswasser die Flüsse ins Meer transportieren, variieren Temperatur und Salzgehalt bestimmter Regionen der Weltmeere. Temperatur und Salzgehalt wiederum bestimmen die Dichte des Wassers.

Kaltes, salziges Wasser besitzt eine hohe Dichte, ist also vergleichsweise schwer und sinkt in die Tiefe. Warmes Wasser ist leichter und bleibt an der Oberfläche. So entstehen starke Umwälzungen und Strömungen im Meer. Wie gigantische Fliessbänder kreisen warme und kalte Wassermassen ständig um die Erde und beeinflussen das Klima auf allen Kontinenten. 

Einen ausgleichenden Effekt haben die Ozeane auch auf die Klimakrise: indem sie als Kohlenstoffsenken die Erderhitzung bremsen. Beispielsweise sinken tote Meerestiere auf den Meeresgrund und nehmen das in ihnen gespeicherte CO2 mit. Insbesondere Wale sind unterschätzte CO2-Speicher. Auch der Kot der Tiere dient als Speicher in der Tiefsee. Meerespflanzen wiederum binden per Photosynthese CO2.

Umgekehrt werden die Meere jedoch auch von der Klimakrise geschädigt. Die Erhitzung macht Lebewesen, die auf gleichmässige Temperaturen angewiesen sind, das Leben und die Fortpflanzung schwer und zwingt sie, in kühlere Meeresgebiete umzusiedeln. Weil sich mehr CO2 im Wasser bindet, versauern die Meere – das wiederum greift die Kalkskelette von Korallen sowie Plankton an.

Paradoxerweise versauert das Meer nicht nur, sondern es versüsst auch: Die Gletscherschmelze, etwa auf Grönland, verringert den Salzgehalt des Wassers, was wiederum Auswirkungen auf die Strömungen hat. Schon heute gibt es Anzeichen, dass etwa der Golfstrom durch diesen Effekt an Fahrt verliert. Ist es möglich, dass er irgendwann stoppt, und wenn ja, wann? Das wissen wir noch nicht. Finden wir es lieber nicht heraus, indem wir es so weit kommen lassen, sondern schützen wir die Meere! 

Klimaschutz ist angewandter Meeresschutz. Und Meeresschutz ist letztlich auch Klimaschutz. Echte Meeresschutzgebiete, die tabu für jegliche menschliche Eingriffe wie Fischerei oder Rohstoffabbau sind, geben den Meeren die Chance, sich zu erholen und zu stabilisieren. Damit würde nicht nur das rasant fortschreitende Artensterben im grössten Lebensraum der Erde gebremst und der Grundstein für eine nachhaltigere, bewusstere Nutzung gelegt. Damit würden unsere Ozeane auch widerstandsfähiger gegen die Klimakrise, und könnten weiterhin ihrer Klimaschutzfunktion nachkommen, CO2 aus der Atmosphäre speichern. Denn Fischkot oder tote Fische können ja nur solange auf den Ozeangrund sinken, wie es genug davon gibt.