Bei der Definition der «Kernanlagen mit geringem Gefährdungspotenzial» hat der Bundesrat voll daneben gehauen. Auch der weltweit grösste Atomreaktor EPR könnte danach als Anlage mit geringem Gefährdungspotenzial durchschlüpfen. Trotz Verankerung dieses Volksrechts im Gesetz und entgegen allen politischen Versprechen könnte der Souverän über ein neues Atomkraftwerk nicht abstimmen. Dies ergibt sich aus einem Kurzbericht, den das Institut WISE-Paris im Hinblick auf das Inkrafttreten des neuen Kernenergierechtes im Auftrag von Greenpeace verfasste.

Zürich. Das Kernenergiegesetz (KEG) gibt dem Bundesrat den Auftrag, die «Kernanlagen mit geringem Gefährdungspotenzial» zu definieren. Damit wurde bezweckt, kleinen Forschungsreaktoren oder anderen Atomanlagen mit geringen Mengen radioaktiver Stoffe das breite Rahmenbewilligungsverfahren, das auch das fakultative Referendum umfasst, zu ersparen. Mit seiner Definition hat der Bundesrat nun eine derart vertrackte Kombination von Unfallwahrscheinlichkeit und Strahlenbelastung gewählt, dass auch das weltweit grösste, derzeit auf dem Markt erhältliche Atomkraftwerk – der 1600-Megawatt-Reaktor EPR – beste Aussichten hat, mit dem Prädikat «geringes Gefährdungspotenzial» durchzuschlüpfen. Das heisst: Das Volk kann nicht mitentscheiden.

Greenpeace hat im August 2004 bereits die Definition im Verordnungsentwurf hart kritisiert. Daraufhin wurde die Definition stark verändert. Im letzten Dezember liess der Bundesrat verlauten, mit der definitiven Formulierung «wird klargestellt, dass der Bau grösserer Reaktoren in jedem Fall rahmenbewilligungspflichtig ist». WISE-Paris stellt nun aber fest, dass im Verordnungstext keine Stelle zu finden ist, welche diese Aussage vorbehaltlos bestätigen könnte. Im Gegenteil: Aufgrund der Angaben der Reaktorhersteller und der kürzlich veröffentlichen Prüfungsergebnisse der finnischen Sicherheitsbehörde STUK ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass der EPR und andere «moderne» Reaktoren der dritten Generation die Geringfügigkeitskriterien der Kernenergieverordnung einhalten könnten.

Greenpeace und SES fordern den Bundesrat darum auf, die Kernenergieverordnung umgehend nachzubessern und die Definition der Kernanlagen mit geringem Gefährdungspotenzial mit dem einfachen Satz zu ergänzen: «Kommerzielle Kernkraftwerke bedürfen in jedem Fall einer Rahmenbewilligung.» Erst damit würde jeder Zweifel beseitigt und vorbehaltlos garantiert, dass über neue Atomkraftwerke das Volk entscheiden kann.

Kontakt:

Leo Scherer, Greenpeace-Atomenergie-Spezialist, 01 / 447 41 23 Greenpeace-Medienabteilung, 01 / 447 41 11

Bernhard Piller, Schweizerische Energie-Stiftung SES, 01 / 271 54 64