Seit Wochen brennen in der Sperrzone des havarierten Atomkraftwerks Tschernobyl die Wälder. Die Lage schien unter Kontrolle zu sein. Dann flammten sie wieder auf. Das zeigt: Ein GAU ist niemals abgeschlossen. Und die zunehmende Trockenheit wird immer mehr zur Gefahr.

Die Einwohner*innen der Region Kiew brauchen starke Nerven. Seit Wochen kämpfen sie im wirtschaftlich und politisch arg gebeutelten Land mit den Folgen des Corona-Lockdowns – viele können sich nicht einmal eine Krankenversicherung leisten. Und nun brennen in der Sperrzone des 100 Kilometer entfernten havarierten Atomkraftwerks Tschernobyl seit Wochen die Wälder. Die Menschen in der ukrainischen Hauptstadt und ihrem Umland fürchten sich vor dem radioaktiven Rauch – auch wenn die Behörden nicht müde werden, zu betonen, dass die Belastung mit Cäsium-137 unter dem Grenzwert liege.

Gefährliche Bedingungen für Feuerwehrleute

An den Brandherden selbst sieht das ganz anders aus: Die Löscharbeiten konnten nicht so gezielt voranschreiten, wie das bei normalen Waldbränden der Fall wäre – die Feuerwehrleute können nicht für lange Zeit unter der hohen Strahlenbelastung arbeiten. Sie sind dort noch weiteren radioaktiven Stoffen ausgesetzt: sogenannten Alpha- und Beta-Strahlern wie Plutonium-239, Americium-241 oder Strontium-90. Im Gegensatz zu Gamma-Strahlern wie Cäsium-137 lassen sich diese Alpha- und Beta-Strahler schwer an Ort und Stelle messen und verursachen durch Einatmen gesundheitliche Schäden. Die Betroffenen werden sozusagen von innen verstrahlt. Hunderte Feuerwehrleute haben mit grossem Einsatz Schlimmeres in der kontaminierten Zone verhindert. Nach wie vor geht von Tschernobyl eine grosse Gefahr aus – wären Flammen auf die Atomruine des havarierten Kernkraftwerks übergeschlagen oder ein nahegelegenes Atommülllager, wären die Folgen unabsehbar. Und die Löscharbeiten erneut um Grössenordnungen schwieriger.

Zunehmende Trockenheit eine Gefahr

Brände in der Region sind an sich nichts Ungewöhnliches – das gewaltige Ausmass in diesem Jahr ist allerdings beispiellos. Trockenheit und eine fehlende Schneedecke im Winter bereiteten dem Feuer wohl den Boden – ein globaler Trend, der auch die Ukraine betrifft. Das aktuelle Fiasko ist zwar anders als der Gau vor 34 Jahren, trotzdem lässt es sich nur mit den schicksalhaften Tagen im April 1986 zusammen betrachten: Was die Feuer in der Ukraine so gefährlich macht, sind die kontaminierten Böden. «Bei Bränden kann eine erhebliche Menge Radioaktivität freigesetzt werden», so Heinz Smital, Greenpeace-Experte für Atomenergie. Es ist keine neue Erkenntnis, aber man kann es nicht oft genug sagen: Die Altlasten der Atomkraft sind ein Problem, das man nicht lösen kann. «Die derzeitigen Vorfälle um Tschernobyl zeigen, dass ein Atomunfall niemals abgeschlossen ist. Die Bevölkerung kann danach nicht mehr zur Tagesordnung übergehen», so Smital. Der Reaktor in der Ukraine war eine Gefahr, als er gebaut wurde – er ist es heute als Ruine, und er wird es auch noch für lange Zeit bleiben.