Der Kampf gegen die Freisetzung von genmanipuliertem Weizen in der Schweiz geht ins dritte Jahr. Jüngstes Kapitel ist die Beschwerde von betroffenen AnwohnerInnen und Greenpeace gegen die Bewilligung für einen solchen Versuch in Lindau.


Entschlossener Widerstand vor der ETH Zürich: Die Kellers anlässlich der Protestkundgebung am 20. Dezember 2002.

© Greenpeace / Würtenberg

Dieser Artikel ist im Greenpeace Magazin 1/2003 erschienen.

Begonnen hatte die Geschichte mit einem Brief aus Lindau ZH Anfang 2001, mit dem Greenpeace von AnwohnerInnen auf ein Hearing von Gesuchstellerin ETH und Bewilligungsbehörde Buwal zu einem geplanten Freilandexperiment mit stinkbrandresistentem Gentech-Weizen aufmerksam gemacht wurde. Die Bäuerin Christine Grossmann-Keller erinnert sich: «Am 21. Februar 2001 fand ein Informationsabend von ETH und Gemeinde Lindau statt. Man hatte allerdings den Eindruck, die Verantwortlichen wollten dies möglichst nicht an die grosse Glocke hängen. Leute aus dem Dorf haben dann Greenpeace informiert.»

Greenpeace klärte auf den Brief hin die Bewohnerinnen und Bewohner mit Flugblättern und Plakaten über die Gefahren des Versuchs auf und ermunterte sie, die Veranstaltung zu besuchen. Die Folge: Der Mehrzwecksaal im Schulhaus war an diesem Abend zum Bersten voll, und die zahlreichen gentechkritischen Voten besorgter Bauern, Mütter, Konsumenten und Umweltschützerinnen ernteten grossen Applaus. Die Ausführungen von ETH-Forscher Christof Sautter trugen nicht zu einer Beruhigung bei, im Gegenteil. Unmittelbar darauf schlossen sich kritische AnwohnerInnen zur Arbeitsgruppe «Lindau gegen Gentech-Weizen» zusammen. Sie schrieben Briefe an Buwal und ETH und sammelten innerhalb eines Monats in der Umgebung des Versuchsorts nicht weniger als 719 Protestunterschriften.

Am 20. November 2001 wies das Buwal das Gesuch mit ausführlicher und schlüssiger Begründung zurück: Die Unbedenklichkeit für Mensch und Umwelt sei nicht ausreichend belegt. Der Jubel war gross, sowohl in Lindau als auch bei Greenpeace. Doch die ETH setzte die Zwängerei fort und legte Ende 2001 Rekurs ein beim UVEK, dem Departement Leuenberger, dem das Buwal unterstellt ist. Das UVEK hiess den Rekurs zumindest teilweise gut und am 20. Dezember 2002 bewilligte das Buwal das nur unwesentlich «nachgebesserte» Gesuch.

Gemeinsamer Protest gegen das ETH-Gesuch

Trotz des ungünstigen Termins gelang es, noch am selben Tag eine Aktion auf die Beine zu stellen. Greenpeace und AnwohnerInnen von Lindau protestierten gemeinsam am ETH-Hauptsitz in Zürich gegen den unverständlichen Entscheid: Denn keiner der im letzten Jahr vom Bundesamt angeführten Gründe (Antibiotikaresistenz, Gefährdung von Insekten, Pilzen, Bodenbakterien, Auskreuzung durch Pollenflug auf Weizen und verwandte Wildpflanzen etc.) hat seine Geltung verloren.

Auch Christine und Jürg Grossmann-Keller, deren Felder rund dreihundert Meter vom Ort des geplanten Experiments entfernt liegen, waren dabei. Die Bäuerin: «Es gibt in der Geschichte genügend Beispiele, wie man mit untauglichen Mitteln versucht hat, Probleme zu lösen, denken wir nur an den Rinderwahn BSE. Es waren ja auch damals die Wissenschafter, die den Bauern geraten haben, Tiermehl zu verfüttern, und dies als Fortschritt bezeichnet haben. Aber zum Schluss waren dann die Bauern die Bösen, und sie hatten auch den Schaden.»

Die Grossmann-Kellers beschäftigen sich schon lange mit der Gentechnik – nahe liegend für die Bauern der Vereinigung IP-Suisse, die sich der Integrierten Produktion (umweltschonend und tiergerecht) verpflichtet hat. Jürg Grossmann-Keller: «Vor acht, zehn Jahren schon hat unter Bauern diese Diskussion begonnen. Wir haben uns auch bei der ETH selbst, in ihren Gewächshäusern, informiert. Aber je mehr wir über Gentechnik erfuhren, desto grösser wurde unser Misstrauen.» Der Buwal-Entscheid ist nicht zu akzeptieren. Gefahren für Mensch, Umwelt und Landwirtschaft sind nach wie vor nicht auszuschliessen, und das für ein Experiment, das ökologisch und landwirtschaftlich keinen Sinn macht.

Kleine Ursache mit unabsehbarer Wirkung

Der Freisetzungsversuch soll auf dem Gelände der ETH-Versuchsstation Eschikon in Lindau ZH stattfinden. Auf einer Fläche von acht Quadratmetern sollen 1600 genmanipulierte Weizenpflanzen ausgesät werden. Bei einem solch kleinflächigen Versuch mag die Wahrscheinlichkeit winzig erscheinen, dass etwas passiert. Dem muss aber gegenübergestellt werden, dass ein möglicher Schaden unabsehbar und unumkehrbar ist. Grundsätzlich besteht bei Organismen in der Umwelt das Risiko, dass sie sich vermehren und genetisches Material weitergeben können. Sie können deshalb andere Organismen in der Umwelt konkurrenzieren, verdrängen, schädigen oder durch Kreuzung mit verwandten Arten genetisch veränderte Nachkommen erzeugen. Das Ökosystem Umwelt ist ein komplex verzahntes Räderwerk aus vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Organismen und ihren Lebensräumen. Dieses komplexe System, besonders die Bodenflora, ist bisher nur in groben Zügen verstanden. Kommt hinzu, dass erste Erfahrungen mit diesem gentechnisch veränderten Weizen wenig Erfolg versprechend sind: Dem ETH-Bericht über Vorversuche in der Vegetationshalle ist zu entnehmen, dass diese nicht zum erwünschten Ziel geführt haben. Der Stinkbrandbefall war bei den genmanipulierten, «stinkbrandresistenten» Pflanzen sogar höher als bei den konventionellen Vergleichspflanzen. Trotzdem will man nun mit diesem Fehlkonstrukt auch noch aufs freie Feld.