Sie zeigte China und der Welt mit einer aussergewöhnlichen Expedition, wie der Klimawandel das Reich der Mitte bedroht: Im Sommer 2005 führte Moxuan Li ein achtköpfiges Team an die Quelle des Gelben Flusses. Beim kürzlichen Besuch in der Schweiz sprach sie mit dem Magazin greenpeace.
Moxuan Li inspiziert Salzablagerungen – das Einzige, was von einem eingetrockneten See in der westchinesischen Provinz Qinghai übrig geblieben ist.
© Greenpeace / Novis
«Hier kann ich für das kämpfen, woran ich glaube. Es ist mein Traumboot, sozusagen.» Moxuan Li hat eine Weile nachgedacht, bevor sie beschreibt, was Greenpeace für sie ist. Das wird im Gespräch nicht häufig vorkommen. Zu genau weiss die 28-Jährige, was sie will, wenn es um die Klimafrage geht.
Moxuan ist in Shenyang aufgewachsen, der fünft-grössten Stadt Chinas, die im Nordosten des Landes liegt. «Die Winter sind dort extrem kalt. Das prägt den Charakter», sagt die zierliche junge Frau und lacht ihr ansteckendes, kraftvolles Lachen. Über ihren Vater, einen Naturwissenschafter, entwickelte Moxuan früh eine enge Verbindung zur Natur.
Kein Zufall also, dass die studierte Sprach- und Literaturwissenschafterin mit dem gepflegten British English bei Greenpeace landete, wo sie erst als Mediensprecherin, dann als Klima-Campaignerin arbeitete. Das Büro China ist eines der jüngsten in der Greenpeace-Familie: Seit 1997 ist die Umweltorganisation in Hongkong präsent, es folgten Peking und Guangzhou. «Wir arbeiten hier unter sehr schwierigen politischen Bedingungen», sagt Moxuan Li. Konfrontative Aktionen sind da höchstens ein Thema, wenn es ausländischen Firmen an den Kragen geht. «Wir müssen impliziter vorgehen. Das verlangt viel Cleverness im Umgang mit der Regierung und Innovationsgeist.»
Ein zentrales Anliegen für Greenpeace in China ist, Bewusstsein für die Ursachen und Gefahren des Klimawandels zu schaffen. «Viele unserer Wissenschafter halten diesen immer noch für einen natürlichen Prozess.» Also wurde nach einem Beispiel gesucht, um das Ausmass des Problems zu dokumentieren. «So kamen wir auf den Gelben Fluss.»
200 Millionen Menschen sind abhängig von ihm – sein Wasser wird als Trinkwasser, für Landwirtschaft und Industrie benötigt. Doch der Klimawandel hat am Ursprungsort des zweitlängsten Flusses Chinas eine Umweltkrise ausgelöst, die seine gesamte Existenz gefährdet. Sein Einzugsgebiet trocknet aus und verliert seine Fähigkeit zur Wasseraufnahme. 1997 erreichte der Fluss an 226 Tagen das Meer nicht mehr.
Auch in China Realität: Die Gletscher schwinden
Im Juni 2005 war es so weit: Moxuan brach ins Quellgebiet des Gelben Flusses in der Provinz Qinghai im tibetischen Hochland auf, als Leiterin und einzige Frau in einer achtköpfigen Expedition, bestehend aus einem Glaziologen, einer Mediencrew und zwei Fahrern. Was sie auf ihrer Reise antrafen, ist ein Teufelskreis: Das Klima ist in den letzten 50 Jahren wärmer und trockener geworden, was einen drastischen Rückgang der Gletscher verursacht. Die regulierende Funktion dieser gigantischen Wasserspeicher wird dadurch gestört. Mit dem Auftauen des Permafrosts werden Treibhausgase freigesetzt, die das globale Klima weiter anheizen, und der Grundwasserspiegel sinkt. Verlust von Grasland, Trockenheit und Verwüstung sind die Folgen.
Moxuan Li erzählt: «Manchenorts berührte das Gras kaum mehr unsere Knöchel, wo es noch vor 20 Jahren brusthoch stand.» Am meisten schockiert hat sie ihr Besuch in der Yellow River Township: «Ich wurde in das Haus eines alten tibetischen Paars geführt. Sie sassen auf dem Erdboden und besassen nichts ausser ihren von besseren Zeiten erzählenden Kleidern am Leib. Vor 15 bis 20 Jahren waren sie noch stolze Besitzer von 150 Kühen, die alle an Hunger starben.» 80 000 Umweltflüchtlinge gibt es in der tibetischen Hochebene. «Ihr Schicksal zeigt, wie wichtig es ist, dass die ganze Welt sich dem Klimaproblem stellt.»
Nach Hause zurückgekehrt, verfasste sie in Zusammenarbeit mit dem Wissenschafter Liu Shiyin den Report «Yellow River at Risk». Seine Publikation löste im öffentlichen China Diskussionen aus, wurde aber von wissenschaftlichen Kreisen sehr ernst genommen. Er schaffte es sogar bis nach Montreal an die Weltklimakonferenz. «Selbst die offizielle chinesische Delegation kam, um uns zu hören, und war beeindruckt. Manche nennen mich seither ‹Miss Yellow River›.» Moxuan Li sagt es mit Stolz und Schalk im Blick.
«Dass sie das Kyoto-Protokoll ratifiziert und sich Emissionsziele setzt», wünscht sie sich von ihrer Regierung. Klar, als Chinesin könne sie das Dilemma ob deren Prioritätensetzung schon ein Stück weit verstehen: «So viele Menschen leben in China in grösster Armut. Und trotzdem: Wir brauchen diese Massnahmen. Je schneller, desto besser.» Für «Miss Yellow River» ist die Zeit als Klimacampaignerin zu Ende, sie arbeitet seit kurzem an einem Forschungsprojekt in Europa. Doch sie bleibt Greenpeace als Aktivistin treu: «Einmal Greenpeace, immer Greenpeace. Wir alle sind nur so kurz auf dieser Erde. Es bedeutet mir sehr viel, an einem grösseren, übergeordneten Ziel mitzuarbeiten.»