Der steigende Appetit des Menschen auf Fleisch verursacht schon jetzt ökologische und soziale Katastrophen. Hält der Trend an, könnte das System bald kippen. Und vielleicht geschieht das schon früher, als wir bisher gedacht haben.
Als im Frühling die Preise für Weizen, Mais und Reis astronomische Höhen erreichten und uns Bilder von Hungerrevolten in Haiti und Ägypten beim Abendessen störten, kamen Erklärungen für die Misere gleich mit auf den Tisch: Agrosprit, Börsenspekulanten, Preistreiber China, Ernteausfälle durch Klimaschwankungen. Nur einer der Gründe dafür wurde kaum beleuchtet, schon gar nicht hinterfragt: unser Appetit auf Fleisch.
Luxus und Verschwendung: 250 Gramm Fleisch verbraucht der Durchschnittseuropäer jeden Tag, wobei nur zwei Drittel davon – die besten Stücke – tatsächlich auf dem Teller landen. Der Rest ist Abfall.
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40 Kilo davon konsumiert der statistische Welt-Durchschnittsmensch im Jahr, doppelt so viel wie vor 50 Jahren – und weil die Bevölkerung in dieser Zeit stark gewachsen ist, ist es insgesamt sogar die fünffache Menge. Beiungleicher Verteilung: Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern verbrauchen mit rund 28 Kilo pro Kopf etwa einen Drittel der Fleischmenge von Industrienationen. In Burundi sind es 3,5, in Brasilien 82, in Europa 92 und in den USA über 120 Kilogramm pro Jahr und Mund. Wobei verbraucht nicht gegessen bedeutet: Je nach Tierart ist mindestens ein Drittel des Verbrauchs Abfall. So kommen in Europa von den 92 nur gerade 60 Kilogramm auf den Teller.
Die Herden, die wir uns dafür halten, sind riesig. Statistisch gesehen verfügt jede vierköpfige Familie heute über elf Hühner, ein Schaf oder eine Ziege, mehr als ein halbes Schwein und fast ein ganzes Rind – insgesamt 21 Milliarden Nutztiere, die gefüttert und getränkt werden müssen. Fast die Hälfte der weltweit produzierten Nahrung – Lebensmittel wie Weizen und Mais, Öle, Milch oder Fisch – werden an Huhn, Rind und Schwein verfüttert. «Veredeln» nennt die Fachwelt diese Verwandlung von viel in wenig.
Und der Trend zu höherem Verbrauch hält an. Laut der Welternährungsorganisation FAO soll sich der Fleischkonsum in Entwicklungs- und Schwellenländern bis 2030 fast verdoppeln, im Westen soll er um einen Fünftel steigen. Statt gut 260 bräuchten wir dann 373 Millionen Tonnen Fleisch pro Jahr – plus 40 Prozent. Dieser Anstieg ist nicht nur auf die wachsende Erdbevölkerung zurückzuführen: Menschen, die mehr Geld verdienen, können und wollen sich auch üppigere Gerichte leisten. In Indien wird heute um die Hälfte mehr Fleisch gegessen als noch vor drei, vier Jahren. Bei über einer Milliarde Menschen summiert sich das trotz des niedrigen Niveaus von 5,2 Kilo pro Person auf fast die Hälfte der Menge, die Afrika produziert.
Für unseren übermässigen Fleischkonsum wird der Regenwald geopfert! Von der auf solchen Feldern – im Amazonasgebiet – angebauten Soja werden 80 Prozent an Tiere verfüttert.
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Gar zehnmal so viel braucht China: Der Pro- Kopf-Verbrauch von Fleisch hat sich hier seit den achtziger Jahren auf über 50 Kilo pro Jahr fast verdreifacht. Was das Handelsgefüge der Welt dramatisch verändert: 2007 importierte der 1,3- Milliarden-Staat fast die Hälfte des auf dem Weltmarkt verfügbaren Sojas, mehr als doppelt so viel wie die EU – 2005 war der Verbrauch noch tiefer als der Europas.
Den Bedarf an Weizen, Reis und Mais konnte China als grösster Getreideproduzent der Welt bis vor kurzem noch selbst decken, doch gelten die Erträge als nicht mehr steigerbar. Im Gegenteil: Das Reich der Mitte leidet zunehmend unter Wassermangel, Klimakapriolen und dramatischem Landverlust durch Erosion, Verschmutzung und Verbauung. Die Befriedigung der Fleisches-Lust seiner wachsenden Bevölkerung wird das Land in Zukunft über umfangreiche Importe sichern müssen – wenn dies überhaupt möglich ist.
Denn die Kornspeicher sind jetzt schon praktisch leer: Seit mehreren Jahren wird weltweit mehr Getreide verbraucht als produziert; Ernteausfälle haben die Vorräte auf den niedrigsten Stand seit einem Vierteljahrhundert schrumpfen lassen. Mehrere gute Ernten, wie sie etwa für 2008 erwartet werden, könnten hier zwar wieder Luft schaffen, doch ist nicht damit zu rechnen, dass sie je wieder das frühere Niveau erreichen.
[…]Ein Verzicht auf Fleisch bringt nur Vorteile: Man lebt viel gesünder, spart eine Menge Geld, schont das Klima und den Bundeshaushalt (Milliardensubventionen für die Viehbauern!) und vor allem: Man tötet keine Tiere![…]
Tobias Schläfli
Im Gegenteil ist sogar zu befürchten, dass die Produktion weiter sinken wird. Für unseren Hunger auf Tierisches (ver)brauchen wir momentan einen Drittel der gesamten Landmasse. Der Grossteil der Weiden und Anbauflächen für Futtermittel befindet sich in Gebieten mit unregelmässigem Niederschlag, die 40 Prozent der weltweiten Landflächen ausmachen und besonders anfällig sind für Erosion. Durch Überweidung, durch eine zu intensive, vielerorts nicht an die lokalen Verhältnisse angepasste Landwirtschaft gehen weltweit jedes Jahr Milliarden Tonnen fruchtbaren Bodens verloren,jedes Jahr werden aus einer Fläche grösser als die Schweiz unwiederbringlich Staub oder nackter Fels.
In vielen Regionen – etwa in Indien, Zentralasien oder Afrika – sind Brunnen schon versiegt oder müssen hunderte Meter tief in den Boden getrieben werden, weil immer mehr Tiere immer mehr Land, Wasser und Getreide brauchen. In Australien bahnt sich gerade eine Katastrophe an: Nach Jahren der Dürre und viel zu hoher Wasserentnahme für Tiere und Getreidefelder droht das Murray-Darling-River-Gebiet, siebtgrösstes Flusssystem der Erde, Trinkwasserreservoir für drei Millionen Menschen und einst Brotkorb des Landes, zu versalzen und auszutrocknen.
Mit dem Verzicht auf einmal Huhn wird mehr Wasser gespart, als bei täglichem Duschen in einem Monat verbraucht wird.
Weniger Fleisch zu essen, könnte hier Gewaltiges bewegen: Während das Getreide für einen Laib Brot etwa 500 Liter Wasser zum Wachsen braucht, verschluckt ein Brathühnchen in seinem kurzen Leben mindestens die zwölffache Menge, hauptsächlich für den Anbau von Futtermitteln. Ein Kilogramm Rindfleisch ist das Produkt von acht Kilogramm Getreide – und etwa 20000 Litern Wasser. Mit dem Verzicht auf einmal Huhn kann also mehr des kostbaren Nasses gespart werden, als bei täglichem Duschen in einem Monat verbraucht wird. In einem Kilogramm Steak steckt Duschwasser für ungefähr ein Jahr!
Und ein Stück Regenwald.
In Mittel- und Südamerika ist die Fleischproduktion der Hauptgrund für Urwaldabholzungen, denen allein im Amazonas bereits 20 Prozent des Waldes zum Opfer gefallen sind – 70 Prozent davon, um kurzlebige Weiden oder Anbauflächen für Viehfutter zu gewinnen. Vor allem für Soja: 57 Millionen Tonnen der eiweisshaltigen Bohnen hat allein Brasilien im letzten Jahr produziert, auf Feldern, die sich immer weiter in Regenwälder und Savannen fressen.
Unser übermässiger Fleischkonsum erfordert gigantische Mengen an Soja. Beispiel Manaus. Soja-Lager, bevor es per Schiff in die Welt exportiert werden.
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80 Prozent der Soja wird zu Tierfutter, angetrieben hat den Sojaboom die BSE-Krise: Als Ersatz für Tiermehl braucht Europa pflanzliches Eiweiss – 35 Millionen Tonnen pro Jahr, ein Grossteil aus den einstigen Wäldern Brasiliens. Auch die Schweiz ist Sojaimporteur. Mit 250 000 Tonnen wird hier gleich viel Soja zugekauft, wie Tiermehl pro Jahr vernichtet werden muss.
Und auch zum Treibhauseffekt trägt die Fleischproduktion eifrig bei: Allein aus den Mägen der 1,5 Milliarden Rinder, die durchschnittlich alle 40 Minuten furzen, und der hunderte Millionen Schafe kommt ein beachtlicher Teil des weltweiten Ausstosses von Methan, eines Treibhausgases 23-mal so aggressiv wie Kohlendioxid. Methan wird für einen Fünftel des Treibhauseffekts verantwortlich gemacht, die Konzentration in der Atmosphäre hat sich in den letzten hundert Jahren verdoppelt.
Kohlendioxid wiederum entsteht durch den Transport von Dünger, Getreide, Tieren, durch das Heizen der Ställe und die Kühlung des «Endprodukts » Fleisch. Vor allem aber durch Düngemittel: Drei Prozent des Weltenergieverbrauchs – ein guter Teil der fossilen Brennstoffe – steckt allein in der Herstellung von Ammoniak. Dieses ist die Basis für Stickstoffdünger, dieser die Basis der industriellen Landwirtschaft, die wiederum die Basis der tierischen Produkte … An jeder nicht biologisch erzeugten Kalorie Fleisch kleben 28 Kalorien Erdöl.
Aber möglicherweise bedeutet genau das nun auch das Ende eines Zeitalters hemmungsloser Fleisches-Lust. Solange die Umweltkosten von der Weltgemeinschaft getragen wurden und Öl billig war, wurde uns kaum je bewusst, wie kostbar Fleisch eigentlich ist. Die jüngsten Ölpreis-Himmelfahrten könnten der Menschheit nun aufzwingen, was warnend erhobene Zeigefinger nicht geschafft haben: das Fleisch in ihren Töpfen auf ein weltverträglicheres Mass zu reduzieren.
Text Verena Ahne. Sie ist freie Wissenschaftsjournalistin in Österreich