Am Beispiel des gesunkenen Tankers «Prestige» zeigt sich, wie internationale Ölgeschäfte Grenzen umgehen und nationale Gesetze wirkungslos machen. Und wie schwierig bis unmöglich es ist, die Verantwortlichen zu belangen.
Dieser Artikel ist im Greenpeace Magazin 1/2003 erschienen.
Die Sache ist wahrhaft multinational: 1 Grieche, 3 Rumänen und 24 Filipinos fahren auf einem Öltanker unter der Flagge der Bahamas von Lettland nach Singapur. Gebucht hat den Transport ein britischer Manager der Firma Crown Resources im schweizerischen Zug über die griechische Reederei Universe Maritime Ltd. vom Schiffseigentümer Mare Shipping Inc. in Liberia, Afrika. Geladen hat das Schiff 77 000 Tonnen besonders schwefelhaltiges Schweröl aus Russland. Der 26-jährige Tanker trägt den Namen «Prestige», und er schafft es nicht ans Ziel: Am 13. November 2002 gerät er vor Galicien in stürmische See und läuft leck. Der hohe Wellengang verunmöglicht es, das Öl abzupumpen. Immerhin gelingt es, die Mannschaft zu retten, während ständig Öl ausfliesst. Dann entscheidet die spanische Regierung, den Tanker von der Küste weg aus den spanischen Hoheitsgewässern hinauszuschleppen. Das Öl soll später geborgen werden. Doch dazu kommt es nicht mehr: Am 19. November bricht die «Prestige» auseinander und sinkt 3600 Meter tief auf den Grund – mit 60 000 Tonnen Öl. Sofort tauchen Fragen auf wie: Wer haftet für die Schäden? Wer zahlt? Und: Kann man die Belastung der Umwelt überhaupt in Geldeinheiten ausdrücken? Oder: Was kostet ein Möwenleben?
Klar ist der Tanker versichert. Doch die Police bei der britischen Gesellschaft London Steamship Mutual beläuft sich auf 25 Millionen Euro (rund 37 Millionen Franken) für den Wert des Schiffes und der Ladung sowie Haftungsansprüche von Dritten – lächerlich im Vergleich zum tatsächlichen Schaden. Zur Erinnerung: Die Beseitigung der Ölpest der «Exxon Valdez» 1989 vor Alaska – mit «nur» 40 000 Tonnen ausgelaufenem Öl – kostete die Gesellschaft ExxonMobil rund 2,2 Milliarden Dollar (3 Milliarden Franken); über Entschädigungsforderungen der Fischer von 5 Milliarden Dollar wird noch gestritten. Ein bisschen «grosszügiger» ist der internationale Fonds «International Oil Pollution Fund», IOPC, getragen von 82 Staaten und zwangsweise unterstützt von 400 Ölfirmen: Er zahlt zusammen mit der Schiffsversicherung maximal 179 Millionen Euro – auch dies nur ein Bruchteil der mutmasslichen wahren Kosten.
Zwar ist der Kapitän verhaftet worden: Die Anklage lautet auf ein «schwer wiegendes Umweltdelikt» und auf «Ungehorsam gegenüber den spanischen Behörden» – er hatte sich geweigert, das Schiff auf offene See schleppen zu lassen. In der Anklage heisst es zudem, er habe die Motoren sabotiert, um dies zu verhindern. Allerdings dürfte bei ihm wenig zu holen sein. Das Haftungsabkommen «International Convention on Civil Liability for Oil Pollution Damage» erlaubt es auch, den Schiffseigner zur Verantwortung zu ziehen – ausser er kann beweisen, dass der Unfall absichtlich oder fahrlässig von dritter Seite herbeigeführt wurde. Möglichkeiten hat er: Da ist die Regierung Spaniens zu erwähnen, die die Bergung der «Prestige» verhindert hat. Oder die diversen Hafenbehörden, welche das Schiff in den letzten drei Jahren kontrolliert haben – und weiterfahren liessen.
Bleiben die Ölhändler, denn haben nicht sie als Auftraggeber die Katastrophe zu verantworten? Das russische Alfa-Group-Konsortium also, das 2000 über 160 Millionen Euro Reingewinn auswies und neben einer Bank, Versicherungen, Telekomfirmen, Ölraffinerien, Tankstellen und Kaufhäusern in Russland die Wodkamarke Smirnoff besitzt und nicht zuletzt eine Schweizer Ölhandelsfirma? Genauer gesagt: besass, was Letztere betrifft, denn die Crown Resources in Zug löste sich im Dezember durch ein Management-Buy-out von der Alfa Group und taufte sich in ERC Trading um. Der Verdacht drängt sich auf, dass sich die Auftraggeber hier eine weisse Weste anziehen, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Ob die Firma überhaupt belangt werden kann, ist unklar – vor allem deshalb, weil die Alfa Group ein Konsortium ist mit derart obskurer Beteiligungsstruktur, dass schon mal fraglich ist, welche Firma belangt werden soll. Eines ist gewiss: Mit der Frage der Haftung werden sich Gerichte und Kommissionen aller beteiligten Länder noch jahrelang beschäftigen. Die Fälle «Exxon Valdez» und «Erika» vor der Bretagne 1999 lassen da wenig Zweifel zu. Immerhin sind hier die Gesellschaften ExxonMobil und TotalFinaElf für die Reinigung der Strände aufgekommen. Wobei sie jeweils den Sitz im selben Land haben, in dem die Katastrophe passiert ist. Dass sich die Alfa Group zu ähnlichen substanziellen Zahlungen bereit erklärt, ist kaum denkbar. Öffentlichen Druck aus Spanien ausüben? Reines Wunschdenken. Trübe Aussichten für 50 000 Fischer und Muschelzüchter, die ihre Existenzgrundlage verloren haben. Und das Öl läuft weiter aus.
ENTSCHÄRFT DIE ZEITBOMBEN!!!
Im Frühjahr 2001 beschloss die International Maritime Organization (IMO), dass in Zukunft nur noch Doppelhüllentanker gebaut werden dürfen und Einhüllentanker bis 2015 von den Meeren verschwunden sein sollen. Das sind erste Schritte, allerdings kritisiert Greenpeace den langen Umstellungszeitraum: 45 Prozent der Tanker weltweit sind 20 Jahre und älter, rund 2000 sogar älter als 25 Jahre. Deshalb kreuzen in den nächsten Jahren noch viele tickende Zeitbomben auf den Weltmeeren.
Greenpeace fordert:
- Verbot aller Tanker, die nur eine Hülle haben und älter als 20 Jahre sind
- Drastisch verschärfte Kontrollen in den Häfen
- Ein System speziell ausgerüsteter Notliegeplätze
- Die Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit und eine europäische Küstenwacht
- Eine Lotsen- und Meldepflicht für gefährliche Wasserstrassen
- Verbesserte Radarüberwachung
- Diese Forderungen sind nicht neu. Es ist an der Zeit, sie endlich umzusetzen! Ausserdem muss die EU Massnahmen ergreifen, damit auch internationale Ölkonzerne und ihre Handelspartner zur Rechenschaft gezogen werden können.