Vaca Muerta (deutsch: «Tote Kuh») gilt als eine der grössten Ölschiefer-Lagerstätten der Welt, weshalb internationale Konzerne dort das umstrittene Fracking betreiben. Für die Menschen und die Umwelt Argentiniens hat dies schwerwiegende Folgen. Wir haben Paul Horsman, Kampagnen-Leiter bei Greenpeace Argentinien, zur bedrohlichen Situation befragt.

Paul Horsman, wie sieht die momentane Situation in Patagonien aus?

Das Ganze lässt sich gut mit dem Goldrausch im Wilden Westen vergleichen: Das Schwarze Gold zieht viele Arbeitsmigrantinnen und -migranten an. Prostitution, Gewalt, Drogen- und Alkoholkonsum steigen stetig an, das Wohnungswesen, das Gesundheitssystem und die Schulen sind mit der Bevölkerungszunahme überfordert. Hinzu kommt, dass Ölkonzerne Fracking unter anderem auf Land von indigenen Völkern betreiben und damit deren Rechte auf Leben und ihre Kultur bedrohen und ihren Lebensraum zerstören. Aktuell werden in Patagonien ungefähr 1500 Bohrlöcher betrieben. Plänen der Regierung zufolge soll die Anzahl aber auf über 50 000 steigen.

Wer ist verantwortlich für das Fracking vor Ort?

Die Grösse des Rohstoff-Vorkommens zieht alle internationalen Ölkonzerne an. Dazu gehören unter anderem Shell, BP, ExxonMobil, Equinor (ehemals Statoil) und Total. Erst kürzlich hat Shell sogar angekündigt, die Ölproduktion bis 2025 von 4500 Fässern täglich auf 70 000 Fässer erhöhen zu wollen. Das allein würde 300 neue Bohrlöcher bedeuten.

Welche Auswirkungen hat die Rohstoffförderung auf die Umwelt?

Beim Fracking wird eine giftige Mischung aus Wasser, Sand und Chemikalien in den geologischen Untergrund gepresst, um Brüche im Gestein zu verursachen, aus denen Öl und Gas gefördert werden kann. Dieser Prozess hinterlässt eine Unmenge an hochgiftigem Müll und verschmutztem Wasser – pro Bohrloch 20 Tonnen täglich. Den Giftmüll laden die Ölfirmen in mangelhaften und teilweise illegalen Anlagen ab, wo er ins Grundwasser dringt und es verunreinigt. Aber auch das Land, die Luft und folglich die Gesundheit der BewohnerInnen werden durch Fracking massiv bedroht. Hinzu kommen Ölkatastrophen wie Explosionen, durch die Menschen sterben und die Umwelt zusätzlich verschmutzt wird.

Was unternimmt Greenpeace Argentinien gegen diese Umweltverschmutzung?

Wir arbeiten eng mit den lokal ansässigen Mapuche und anderen indigenen Völkern zusammen. Momentan sind wir daran, eine Beschwerde gegen Shell einzureichen, die eine ähnliche Klage der Mapuche unterstützt. Wir haben ausserdem Nachforschungen betrieben, die den von Ölkonzernen verursachten Schaden am Menschen und der Umwelt aufdecken, unter anderem die illegale Entsorgung des Giftmülls durch die Unternehmen.

Was hofft ihr, mit eurer Arbeit zu erreichen?

Wir möchten die extreme Ausbreitung der Öl- und Gasindustrie stoppen. Nicht nur, um das Leben der lokalen Gemeinschaften und die Umwelt zu schützen, sondern auch das globale Klima. Denn die Rohstoffreserven in Patagonien entsprechen 50 Gigatonnen CO2-Emissionen, die verursacht würden, wenn die gesamten Vorkommen gefördert und verbrannt würden. Dadurch hätten wir keine Chance, das Ziel des Pariser Klimaabkommens von 1,5 bis maximal 2 Grad Erwärmung einzuhalten.

Was denkst du: Wie lange braucht die Menschheit, um sich von fossilen Brennstoffen zu lösen?

Der aktuelle Report des Weltklimarats IPCC warnt, dass der globale Ölkonsum bis 2030 um 37 und der von Erdgas um 13 Prozent sinken muss, um die Erwärmungsschwelle von 1,5 bis 2 Grad nicht zu überschreiten – er empfiehlt keinesfalls, die Förderung fossiler Energieträger wie in Vaca Muerta weiter voranzutreiben. In anderen Worten: Wir haben noch fünf bis zehn Jahre, um etwas zu ändern.

Was können wir in der Schweiz tun, um Patagonien zu helfen?

Sicherstellen, dass der Finanzplatz der Schweiz nicht die Förderung von fossilen Brennstoffen und somit die Zerstörung von Patagonien und der Lebensgrundlage der Bevölkerung unterstützt, so wie es beispielsweise die Credit Suisse tut.

Was motiviert dich, gegen Fracking in Patagonien weiterzukämpfen?

Ganz einfach: weil wir es müssen. Nur alleine schon, um gegen die Ungerechtigkeit vorzugehen, die den indigenen Völkern widerfährt, die bereits seit Tausenden von Jahren dort leben. Denn auch wenn sich die Öl- und Gasindustrie auf dem Rückzug befindet – es passiert nicht schnell genug.

Mehr Infos darüber, wie der Schweizer Finanzplatz die Förderung von fossilen Brennstoffen unterstützt, findest du hier.