«Die Unfähigkeit, in Genf eine Einigung zu erzielen, muss ein Weckruf für die Welt sein»

Nach zwei Jahren Verhandlungen über ein globales Plastikabkommen standen die Minister:innen in Genf in den letzten Stunden der vermeintlich letzten Verhandlungsrunde vor einer historischen Entscheidung: Ein Abkommen verabschieden, das die Plastikverschmutzung wirklich bekämpft, oder dem Lobbying der petrochemischen Industrie nachgeben.

Joëlle Hérin, Expertin für Konsum und Kreislaufwirtschaft bei Greenpeace Schweiz, kommentiert: 

«Die Unfähigkeit, in Genf eine Einigung zu erzielen, muss ein Weckruf für die Welt sein: Die Plastikverschmutzung zu beenden bedeutet, sich den Interessen der fossilen Industrien direkt zu stellen. Die überwiegende Mehrheit der Regierungen will ein starkes Abkommen. Doch es wurde einer Handvoll Akteure mit schlechten Absichten erlaubt, diese Ambitionen zu torpedieren. Wir können nicht weitermachen wie bisher und andere Ergebnisse erwarten. Die Zeit des Zögerns ist vorbei.»

«Die Plastikkrise verschärft sich, und die petrochemische Industrie ist entschlossen, uns für kurzfristige Profite unter die Erde zu bringen. Jetzt ist nicht die Zeit, wegzuschauen. Jetzt ist die Zeit für Mut, Entschlossenheit und Durchhaltevermögen. Die Forderung der gesamten Zivilgesellschaft ist klar: Wir brauchen ein starkes, rechtsverbindliches Abkommen, das die Plastikproduktion reduziert, die menschliche Gesundheit schützt, eine solide und gerechte Finanzierung gewährleistet und die Plastikverschmutzung von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung beendet. Und die Staats- und Regierungschefs der Welt müssen darauf hören. Die Zukunft unserer Gesundheit und unseres Planeten hängt davon ab.»

Greenpeace-Aktivist:innen färben den Zugang zum Palais des Nations in Genf schwarz und prangern damit den Einfluss der grossen Ölkonzerne auf das  globale Abkommen gegen Plastikverschmutzung an


Eine symbolische, schwarze Ölspur und zwei Banner am Palais des Nations – 22 Greenpeace-Aktivist:innen aus der Schweiz, Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Slowenien und Spanien machen in Genf darauf aufmerksam, dass Lobbyist:innen der Öl- und Gasindustrie versuchen, ein wirkungsvolles globales Plastik-Abkommen zu verhindern.

Joëlle Hérin, Expertin für Konsum und Kreislaufwirtschaft bei Greenpeace Schweiz, sagt: «An jeder Verhandlungsrunde nehmen mehr Lobbyist:innen der Öl- und Gasindustrie teil. Wir fordern die Vereinten Nationen auf, sie hinauszuwerfen. Die Regierungen dürfen nicht zulassen, dass einige rückständige Unternehmen die Forderung der Zivilgesellschaft übergehen: Ein ambitioniertes Abkommen, das die Plastikproduktion weltweit reduziert.»

Gemäss dem Center for International Environmental Law (CIEL) waren bei der letzten Verhandlungsrunde in Busan über 220 Lobbyist:innen der petrochemischen Industrie registriert. Das ist ein Anstieg von 12 Prozent gegenüber der vierten Verhandlungsrunde in Ottawa, Kanada. Menschen aus Regionen, die besonders unter Plastikabfall leiden, sowie Vertreter:innen indigener Völker und der Zivilgesellschaft müssen hingegen um eine sinnvolle Beteiligung kämpfen. Zusammengezählt würden die Industrie-Lobbyist:innen eine der grössten Delegationen bei den Verhandlungen bilden – sie sind zahlenmässig stärker vertreten als die Delegierten der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten.

Die Greenpeace-Aktion folgt auf einen Brief von Greenpeace-Büros und des CIEL an die Leiterinnen des UNO-Umweltprogramms (UNEP) und des Sekretariats für das Plastikabkommen. Greenpeace und CIEL fordern darin, dass die Öl- und Plastik-Lobbyist:innen von den Verhandlungen über ein globales Plastikabkommen ausgeschlossen werden.

Die fossilen Industrien und ihre politischen Verbündeten drängen auf ein schwaches Abkommen. Haben sie Erfolg, könnte sich die Plastikproduktion bis 2050 verdreifachen – weitere Umweltzerstörungen, Klimachaos und Gesundheitsschäden wären die Folgen.

Ein Bericht von Greenpeace Grossbritannien zeigt, dass Unternehmen wie Dow, ExxonMobil, BASF, Chevron Phillips, Shell, SABIC und INEOS ihre Plastikproduktion hochfahren. Seit Beginn der Verhandlungen über das globale Plastikabkommen im November 2022 haben diese sieben Unternehmen ihre Produktionskapazitäten für Plastik um1,4 Millionen Tonnen vergrössert. Im gleichen Zeitraum haben sie genug Plastik produziert, um schätzungsweise 6,3 Millionen Müllwagen zu füllen. Das sind unglaubliche fünfeinhalb Lkw pro Minute. Allein Dow war an den bisherigen Verhandlungen mit mindestens 21 Lobbyist:innen vertreten und verdiente mit Plastik seit November 2022 5,1 Milliarden US-Dollar.

«Den Unternehmen, die dieses Problem verursacht haben, darf es nicht gelingen, die Welt daran zu hindern, es zu lösen», sagt Greenpeace-Expertin Hérin, «die Regierungen müssen in Genf mutig sein und ein wirkungsvolles Abkommen verabschieden. Ein Abkommen, das Mensch und Planet an die erste Stelle setzt und nicht die kurzfristigen Gewinne von Unternehmen.»

Die Zivilgesellschaft mobilisiert sich vor den abschliessenden Verhandlungen in Genf gegen die Plastikverschmutzung

Einen Tag vor Beginn der letzten Verhandlungsrunde zu einem globalen Plastik-Abkommen versammelten sich auf dem Place des Nations in Genf hunderte von Menschen aus aller Welt, inklusive Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen. Sie forderten ein ambitioniertes und rechtsverbindliches Abkommen, das Umweltverschmutzer zur Rechenschaft zieht – zum Schutz von Mensch und Planet.

Wir haben die Kundgebung in Genf zusammen mit der Bewegung Break Free from Plastic, der Gallifrey Foundation und einer Koalition aus Gruppierungen, die sich für die Umwelt und soziale Gerechtigkeit engagieren, organisiert. 

Die Kundgebung läutet die letzte Phase der UNO-Verhandlungen zu einem internationalen Plastik-Abkommen ein. Die Verhandlungen finden vom 5. bis 14. August im Palais des Nations statt. Die Kundgebungs-Teilnehmer:innen trugen gelbe, rote und orange Kleider. Die Signalfarben symbolisieren die Dringlichkeit der Krise und die Gefahr, die von der unkontrollierten Plastikproduktion ausgeht. 

© Samuel Schalch / Greenpeace

«Als Gastgeberland der Verhandlungen über die Plastikverschmutzung zählen wir darauf, dass die Schweiz am Ziel eines globalen Abkommens festhält. Bis 2025 droht eine Verdreifachung der Plastikproduktion. Ein Abkommen ohne globales Ziel zur Reduzierung der Plastikproduktion wäre zum Scheitern verurteilt. Wir müssen das Plastikzeitalter beenden, um unsere Gesundheit und den Planeten zu schützen», sagt Joëlle Hérin, Expertin für Konsum und Kreislaufwirtschaft bei Greenpeace Schweiz.

Die Kundgebungs-Teilnehmer:innen wiesen auch auf die Rolle der fossilen Industrien hin, die alle Fortschritte hintertreiben. Denn ohne Öl, kein Plastik. Sie forderten die Delegierten nachdrücklich auf, die Plastikproduktion an der Quelle zu bekämpfen.

«Bei der letzten Verhandlungsrunde zählten wir 221 Lobbyist:innen aus der fossilen und der petrochemischen Industrie. Hätten sie eine Delegation gebildet, wären sie die grösste Delegation gewesen. Sie hätte gar die Delegation der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten mit 191 Vertreter:innen übertroffen. Die massive Präsenz zeigt, wie sehr diese Industrien ein starkes Plastik-Abkommen fürchten. Der Standort Genf ist für den Handel mit Rohöl und Petrochemikalien zentral. Deshalb könnte die Zahl der Lobbyist:innen diesmal sogar noch höher ausfallen. Die Zivilgesellschaft hat genug von Manipulationen und Verzögerungstaktiken. Klar ist: Diese Industrien heizen die Plastik- und Klimakrise an. Eine Handvoll Unternehmen nimmt Einfluss auf das Leben von Milliarden von Menschen. Wir werden genau hinschauen. Wir brauchen ein starkes, rechtsverbindliches Abkommen. Jetzt!», sagt Laurianne Trimoulla, Kommunikations- und Projektmanagerin der Gallifrey Foundation.

Die Mobilisierung ist ein starkes Zeichen von Bürger:innen und Organisationen, die Gesundheit, die Menschenrechte und die Ökosysteme schützen.

«Ein starkes, globales Plastik-Abkommen dient nicht nur der Verringerung der Umweltverschmutzung – es ist auch eine Chance, die Ungerechtigkeit des weltweiten Handels mit Plastikabfall zu beenden. Niemand darf zur Müllhalde für den Überschuss anderer Länder werden. Das Abkommen muss die Schlupflöcher schliessen, die den Handel mit Plastikabfall als Recycling tarnen. Die Ausfuhren von Plastikabfall aus der Schweiz nach Malaysia sind zwischen 2022 und 2024 fast um das Vierfache gestiegen – von 69’820 kg (2022) auf 258’897 Kilogramm (2024). Das Plastik-Abkommen muss Länder wie die Schweiz dazu bewegen, statt die Umweltverschmutzung zu exportieren, in vorgelagerte Lösungen zu investieren und die Verantwortung für ihren eigenen Plastikabfall zu übernehmen», sagt Mageswari Sangaralingam von der Umweltorganisation Sahabat Alam Malaysia.