In der kampanischen Stadt Benevento wollen die Bernischen Kraftwerke (BKW) in einer naturgeschützten Zone ein Gaskombikraftwerk gegen den Willen der Stadt- und Provinzregierung bauen. Es kam bereits im März zu Protesten der Bevölkerung.

von René Worni, freier Journalist

 

 


Im erdbebengefährdeten Benevento wollen die Bernischen Kraftwerke BKW am naturgeschützten Flussufer bauen.

© René Worni

 

Benevento ist eine schmucke Stadt in den Hügeln Kampaniens, 90 Kilometer von Neapel entfernt. Der Turm der Kirche Santa Sofia aus dem 8. Jahrhundert fiel beim grossen Erdbeben von 1668 auf das Kirchenschiff. Damit das kein zweites Mal passiert, wurde er 50 Meter entfernt in sicherer Distanz wieder aufgebaut. Hier, im erdbebengefährdeten Gebiet, sind die Bernischen Kraftwerke BKW gemeinsam mit der neapolitanischen Firma Luminosa am Werk. Keine sechs Kilometer ausserhalb des Stadtzentrums will die BKW im Industriegebiet Ponte Valentino ein Gaskombikraftwerk mit 385 MW bauen. Das Grundstück liegt in einer naturgeschützten Uferzone, wo die Flüsse Tamaro und Calore zusammenfliessen. Ein Viertel der knapp 60 Betriebe in der angrenzenden Industriezone produzieren Lebensmittel: Olivenöl, Babynahrung, Milch, Wein und Gemüse. Studien belegen, dass Winde die Emissionen der Industrien von Ponte Valentino regelmässig ins Stadtzentrum tragen.

Strom aus Gas anstatt erneuerbare Energien? In Italien bauen Schweizer Energiekonzerne seit Jahren Gaskombikraftwerke. Doch was tun die Konzerne dort genau? Soll dieser «dreckige» Strom (Gaskombis sind CO2-Schleudern) den Atomausstieg in der Schweiz überbrücken helfen? Auf den Spuren der Pläne der Energiekonzerne reiste Greenpeace im Mai nach Süditalien und stiess dabei auf zwielichtige Geschäftemacher, denen Profit wichtiger ist als Umweltschutz. Wir trafen aber auch visionäre Umweltaktivisten, die sich diesen Plänen entgegenstellen. Daraus entstand die Süditalien-Reportage, welche wir in fünf Teilen während der Sommerpause jeweils donnerstags (Start am 19. Juli) auf www.geenpeace.ch publizieren. Sie erscheint ausserdem leicht gekürzt am 21. August in unserem Magazin. Wir wünschen Euch gute Sommerlektüre!

 

Strom für Neapel und die Küstenstädte

Die ablehnenden Dekrete der Stadt- und der Provinzregierung von Benevento haben das Projekt bis jetzt nicht verhindern können. «Für die Regierung von Kampanien ist die Energieversorgung leider wichtiger als die Umwelt», sagt Enrico Castiello. Bis 2011 war er Stadtrat und Umweltbeauftragter von Benevento. «Mir war schnell klar, dass wir für Neapel und die Küste Strom produzieren sollen», sagt er. Laut Castiello verfügt die Provinz Benevento bereits heute über ausreichend Strom, der zu einem stattlichen Teil aus Wind- und Fotovoltaikanlagen stammt. Doch der boomende Moloch Neapel und die Küstenstädte sind scharf auf den Strom. Die Regierung Kampaniens setzt deshalb alles daran, lukrativen Projekten zum Durchbruch zu verhelfen. Auch im 40 Kilometer entfernten Flumeri gab es bis vor Kurzem ein Gaskombiprojekt, von dem sich die italienische Edison aber wieder zurückgezogen hat.


Enrico Castiello: «Für die Regierung von Kampanien ist die Energieversorgung leider wichtiger als die Umwelt.»

© René Worni

 

 

Wie in Venafro bewegt auch in Benevento seit nunmehr zehn Jahren eine kleine Firma aus Neapel alle Hebel, um ein Kraftwerk zu lancieren. Mit Erfolg. Die BKW stieg 2008 ein, als das Projekt praktisch pfannenfertig war. Die Firma Luminosa und die Geschäftsidee Gaskombikraftwerk ist die Erfindung von Marcello Fasolino, eines neapolitanischen Geschäftsmannes, dessen Renommee in Benevento stark umstritten ist. Fasolino hält sechs Prozent am Luminosa-Kapital von rund 100 000 Euro, den Rest die BKW.

 

Zermürbungskrieg mit den Projektherren

Im vergangenen März kam es zu Demonstrationen in den Strassen der Stadt gegen das Vorhaben – im gemächlichen Alltag der Beneventani eine ganz grosse Ausnahme. Im Juni errang der regionale WWF per Rekurs einen kleinen Sieg. Das höchste Verwaltungsgericht in Rom will, dass das Umweltministerium für die Bewilligung des Projektes noch einmal über die Bücher geht. Auch von der Stadt und der Provinz Benevento sind weitere Rekurse zu erwarten. Doch die Angelegenheit ist kompliziert und in unzählige Teilaspekte zersplittert, die immer wieder neue Fakten schaffen. So will das Industrie-Konsortium von Ponte Valentino weitere Industriebetriebe ansiedeln. Die Provinzregierung ringt jetzt damit, das Bauverbot entlang der geschützten Uferzone dennoch zu lockern. Weitere Aspekte sind die nichtvorhandene Kläranlage, die Nutzung der Abwärme, archäologische Fundstätten, die problematische Festigkeit des Untergrundes und so weiter. Doch die Gegner sind entschlossen, jede nur erdenkliche Einsprachemöglichkeit zu nutzen und sich auf einen Zermürbungskrieg mit den Projektherren einzulassen. 


Demo vom März gegen das geplante Gaskraftwerk: Die Bewohner von Benevento fürchten um ihre Gesundheit und die Umwelt

© Maria Masone, Benevento

 

 

Dunkle Machenschaften

Man spricht im Zusammenhang mit dem geplanten Kraftwerk auch offen über eine Geheimloge, ein korruptes Netzwerk von Politikern, zweifelhaften Geschäftemachern (den «affaristi») und Justizbeamten, in dessen Mittelpunkt man Fasolino und die Hintermänner der Luminosa vermutet. Es gibt auch Verbindungen zu Nicola Cosentino, dem einstigen Parlamentsabgeordneten von Berlusconis Partei Popolo della Libertà. Er war wegen Beziehungen zur Camorra in Ungnade gefallen, wurde verurteilt und musste 2010 abdanken. Einer von zahlreichen Anklagepunkten waren Machenschaften um ein Grundstück, auf dem heute das Gaskombikraftwerk der EGL (Axpo) in Sparanise steht. Die hohen Investitionen im Energiegeschäft ziehen offensichtlich mafiöse Strukturen an in einem Land, wo Projekte der öffentlichen Hand um bis zu 40 Prozent teurer sind als in andern Ländern Europas.

Gabriele Corona ist einer der konsequentesten Kritiker krummer Geschäfte in der Stadt. Der Stadtplaner und Gewerkschafter ist Gründer und Präsident der Internetplattform Altrabenevento, die sich den Kampf gegen die Korruption in der gesamten Provinz Benevento auf die Fahne geschrieben hat. Er rechnet vor: «Das Projekt Luminosa hat Dutzende negativer Auswirkungen auf die Umwelt, die Gesundheit, die Nahrungsmittelproduktion und sogar auf den Tourismus im Wallfahrtsort Pietrelcina ganz in der Nähe. Und am Ende schafft es gerade einmal 25 neue Arbeitsplätze. Das ist eine wirklich schäbige Bilanz.»

Die Luminosa-Gegner erhalten nun unverhofft eine vorläufige Verschnaufpause. Denn wegen der hohen Gaspreise und der schlechten Marktlage im Stromgeschäft hat die BKW noch keinen endgültigen Investitionsentscheid gefällt. «Wir arbeiten am Erhalt der endgültigen Bau- und Betriebsbewilligung», sagt BKW-Konzernsprecher Antonio Sommavilla. Sobald die Bewilligung vorliege, werde die Unternehmensleitung «zu gegebener Zeit und mit Blick auf die Marktsituation» einen Entscheid fällen.

 

Inmitten von Getreidefeldern und Weinkulturen

Ein Abstecher nach Osten in Richtung Adriatisches Meer führt zunächst durch die sanften Hügel der Provinz Benevento und dann in den Norden von Apulien. Die Hügelzüge sind hier mit Hunderten von Windturbinen gespickt. In der Ebene von Foggia, zwischen Lucera und San Severo, stossen immer wieder meterdicke Gasleitungen aus dem Ackerland. Die Bauern müssen mit ihren Traktoren höllisch aufpassen. Mitten in den Getreidefeldern und Weinkulturen steht das brandneue Gaskombikraftwerk San Severo. Es hat vor einem Jahr den Betrieb aufgenommen und gehört zu 60 Prozent der Schweizer Alpiq. Ein senfgelber, kantiger Koloss, der dicke Kamin glänzt silbern. Kein Mucks ist zu hören, das Werk steht still. Jetzt schlagen Hunde an, ein Angestellter eilt herbei und erklärt, fotografieren sei verboten. Ob die Anlage denn auch funktioniere? «Ma certo, sie läuft perfekt», meint er.


Mitten zwischen Getreidefeldern: Das Gaskombikraftwerk San Severo in der Ebene von Foggia. Es gehört zu 60 Prozent der Schweizer Alpiq.

© René Worni

 

Die harzende Wirtschaft dämpft die Nachfrage nach Strom. Der hohe Gaspreis macht die Stromproduktion unrentabel. «Das macht uns in der Tat Sorgen», sagt Alpiq-Mediensprecher Andreas Meier. Das Kraftwerk San Severo sei momentan eher weniger gut ausgelastet. Alpiq hat wegen der schwierigen Bedingungen im Strommarkt kürzlich ihre Beteiligung (20%) an der italienischen Edipower abgestossen. Damit sind sechs Gas-, Oel- und Kohlekraftwerke aus dem Kraftwerkpark weggefallen. Alpiq ist nach grossen Verlusten im letzten Jahr daran, sich tiefgreifend zu restrukturieren.

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Im dritten Teil der Süditalienreportage geht die Reise weiter südwärts, in die apulische Hafenstadt und Industriemetropole Brindisi, wo Industriekonzerne verwüstetes Land und eine um Arbeitsplätze betrogene Gesellschaft zurückliessen. Auch in Brindisi sind Schweizer Stromkonzerne an Kraftwerken beteiligt. Dort trifft man aber auch auf die Vision einer Gesellschaft, die einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Energie pflegen will. Im letzten April eroberten ihre Exponenten Sitze im Stadtparlament.