Am heutigen Welternährungstag erinnert die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft («Food and Agriculture Organisation of the United Nations») daran, dass Mangel- und Unterernährung weiterhin Hunderte Millionen Menschen weltweit bedrohen. Ein Viertel der unter 5-jährigen Kinder leidet unter Entwicklungsstörungen, etwa zwei Milliarden Menschen sind unzureichend mit Vitaminen und Mineralstoffen versorgt.

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Es gibt mehr als nur einen Grund für diese anhaltende Problematik, und daher auch keine einfache Lösung für eine der grössten Herausforderungen der Menschheit. Die FAO stellt den heutigen Tag unter das übergreifende Motto «Nachhaltige Ernährungssysteme für Ernährungssicherheit» bzw. «Healthy food depends on healthy food systems». Fundament für ein «gesundes Ernährungssystem» ist zweifellos die nachhaltige landwirtschaftliche Produktion gesunder Lebensmittel für eine in Menge und Qualität ausgewogene Ernährung.

Nicht nachhaltige Landwirtschaft ist eine Gefahr

Lebensmittelsicherheit und Ernährung werden durch eine nicht nachhaltige landwirtschaftliche Praxis bedroht. Die FAO schätzt, dass schon heute 60 % der Ökosysteme weltweit degradiert sind oder nicht nachhaltig bewirtschaftet werden. Es geht dabei nicht mehr nur um die sehr empfindlichen Böden und Ökosysteme in tropischen Regionen, sondern längst auch die als stabiler angesehenen in den Industrieländern. Der ausschliessliche Fokus auf die Ertragsmaximierung hat in allen Klimazonen zu Bodendegradierung geführt. Der immer noch steigende und allzu selbstverständliche Einsatz von Agrochemikalien gefährdet weiter Gewässer und Umwelt. Tiere und Pflanzen werden von industrieller Landwirtschaft auf vielfältige Art und Weise bedroht. Dies ist weit mehr als ein Problem des Artenschutzes, sondern eines der Bedrohung unschätzbar wertvoller «Ökosystemdienstleistungen». Die Artenvielfalt (Biodiversität) in der Kulturlandschaft stabilisiert die Agrarökosysteme und unterstützt natürliche Regelungsfunktionen, welche essentiell sind für eine nachhaltige Produktion. Ökosystemdienstleistungen sind somit unersetzlich für eine nachhaltige Landwirtschaft, die sich dadurch auszeichnet, langfristig ausreichend gesunde Lebensmittel zu erzeugen, und nicht auf kurzfristige Gewinnmaximierung abzielt.

Von unschätzbarem Wert: die Bestäubung durch Insekten

Eine der Leistungen eines Agrarökosystems besteht in der Bestäubung zahlreicher Kulturpflanzen durch Insekten. Die landwirtschaftliche Produktion ist seit jeher auf Honigbienen und wildlebende Insekten angewiesen – allzu lange hat man diesen «Service» als selbstverständlich hingenommen. Ohne Bestäubungsinsekten würde ein Drittel unserer Kulturpflanzen auf andere Weise bestäubt werden müssen oder wäre von massiven Ernteausfällen betroffen. Geschätzte 75% würden niedrigere Erträge abwerfen. Der aktuellste Versuch einer Abschätzung der wirtschaftlichen Bedeutung der von Insekten erbrachten Bestäubungsleistung lieferte eine Zahl von 265 Milliarden € jährlich (327 Milliarden CHF) und weltweit. Ein fiktiver Wert, denn durch Geld wären Insekten wohl kaum zu ersetzen – der wahre Wert der Bestäubung als eine der Schlüsselfunktionen in Ökosystemen kann daher gar nicht hoch genug angesetzt werden.

Das Versagen des aktuellen landwirtschaftlichen Modells

Insbesondere in Nordamerika und Europa, aber auch in anderen Teilen der Welt, nehmen die Populationen von Bienen und anderen Bestäubungsinsekten, kultivierten wie auch wildlebenden, ab. Einigermaßen belastbare Daten gibt es nur für Honigbienen, doch auch für wildlebende Insekten scheint der Trend klar. Imker in Europa berichteten in den vergangenen Jahren von Völkerverlusten um die 20%.

Dead bee

Für das als «Bienensterben» bekannt gewordene Phänomen gibt es mehr als nur eine Ursache. Klimawandel, Parasiten und Krankheiten sowie die Praktiken industrieller Landwirtschaft gefährden die Gesundheit der Insekten – jeder Faktor für sich, insbesondere aber alle zusammen in Kombinations- und Wechselwirkung. Eine ganz direkte Bedrohung stellt der Einsatz bienengefährdender Agrochemikalien, vor allem Insektiziden, dar – ein Risiko das sich dadurch auszeichnet, dass es effektiv und schnell eliminiert werden kann. Die EU hat dies mit einem  befristeten Teilverbot besonders gefährlicher Insektizide getan. Es handelt sich dabei aber um wenig mehr als einen wichtigen ersten Schritt auf dem Weg zu einem Verbot aller für Bienen gefährlicher Pestizide.

Doch neben den Insektiziden ist es auch die gängige landwirtschaftliche Praxis, die den Insekten zusetzt. Lebensräume verschwinden, immer weniger Wildpflanzen wachsen in den ausgeräumten Kulturlandschaften, der Einsatz von Unkrautvernichtungsmitteln wird immer mehr zu einem Standardinstrument im Ackerbau. Am Ende sind es ausgerechnet Insekten als die unersetzlichen Helfer in der Produktion von Lebensmitteln, die hungern müssen. Das Sterben von Bienen und Wildinsekten ist ein untrügliches Signal für das zunehmende Versagen der industriellen Landwirtschaft. Es ist höchste Zeit destruktive Praktiken zu beenden und zu einer nachhaltigen, ökologischen Wirtschaftsweise zu wechseln.

Insektensterben gefährdet eine gesunde, vielfältige Ernährung

Ausgerechnet die nahrhaftesten und interessantesten Kulturpflanzen, darunter das meiste Obst und Gemüse, wären von einem anhaltenden Sterben der Bestäubungsinsekten besonders stark betroffen. Wären wir in unserer Ernährung ausschliesslich auf Pflanzen angewiesen, die nicht von der Bestäubung durch Insekten abhängen, würden uns fast nur noch Getreideprodukte bleiben. Dies wäre zwar kein Problem für eine ausreichende Versorgung mit Kalorien, aber wir würden Probleme bekommen genügend Vitamine, Mineralien und Spurenelemente zu uns zu nehmen. Mangelernährung wäre die Folge.

Es mag auf den ersten Blick ein wenig abwegig klingen, am Welternährungstag über die Bestäubung von Pflanzen durch Insekten zu sprechen. Doch ohne Bestäubungsinsekten lässt sich das Ziel einer gesunden und vielfältigen Ernährung auf dem Weg zu einer Bekämpfung des globalen Hungers sicher nicht bekämpfen. Und so ist es durchaus möglich, das Motto der FAO «Healthy food depends on healthy food systems» um «…depends on healthy insect pollinators» zu erweitern.

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