Viele Öko-Engagierte und Umweltverbände haben sich der Förderung von umwelt­bewusstem Verhalten verschrieben. Seit 40 Jahren. Gebessert hat sich kaum etwas.

«Aber wir müssen unsere Konsummuster doch massenhaft ändern!», sagen sie unbeirrt. Das ist zwar richtig, aber die Änderung geht offensicht­lich nicht mit moralischen Appellen und kleinbürgerlichen Verhaltens­angeboten.

Wie massenhafte Verhaltensänderung real funktionieren kann, zeigt beispielsweise die britische Regierung, die sich eine sogenannte Nudging Unit zugelegt hat. Diese Abteilung setzt um, was die Psychologie unter dem Namen «Kleine Intervention – grosse Wirkung» erkannt hat und als Nudging* bezeichnet.

Laut Psychologie heute (8/2015) gelang es besagter Abteilung zum Beispiel, mit zwei neuen Sätzen am Anfang des Standard-Mahnbriefs an säumige Steuerzahler die Steuereinkünfte massiv zu erhöhen. Sie lauteten: «Neun von zehn BürgerInnen zahlen ihre Steuern rechtzeitig. Im Moment gehören Sie zu einer kleinen Minderheit, die noch nicht bezahlt hat.» Nudging nutzt die Tatsache, dass die wenigsten Menschen Verhaltensauffällige sein wollen und sich der effektiven oder angenommenen Norm anpassen. Das heisst, sie legen jenes Verhalten an den Tag, von dem sie annehmen, es sei in ihrem Umfeld normal. Drei weitere Beispiele:

  • In einer britischen Region, in der traditionell viel und stark gesalzene «Fish and Chips» gegessen werden, war der weit verbreitete Bluthochdruck zu einem medizinisches Problem geworden. Der Versuch, die Leute zu mahnen, ihren Salzkonsum zu mindern, war fruchtlos. Genützt hat dagegen der Ersatz der üblichen Salzstreuer mit 17 grossen Löchern durch solche mit weniger und kleineren Löchern (weil die Gewohnheit, den Salzstreuer zwei-, dreimal zu betätigen, beibehalten wurde).
  • In Österreich haben 99% der Bevölkerung einen Organspendeausweis, in Deutschland nur 12%. In beiden Ländern kann man frei wählen, ob man seine Organe nach dem klinischen Tod spenden will oder nicht. In Österreich ist der behördliche Standard, dass jedeR OrganspenderIn ist, ausser man melde sich aktiv ab. In Deutschland ist es umgekehrt.
  • Und Google, die Ober-Nudger-Firma: Ihr ist es beispielsweise gelungen, dass viele Internetbrowser Google als Standardsuchmaschine verwenden (d.h. eine Sucheingabe in der Adresszeile genügt bereits). Ob Suchmaschine oder eben Organspende, was eingerichtet wurde, ist beständig. So brauchen auch die meisten Umweltengagierten Google statt der ökologischen Alternativen ecosia.org (die man mit zwei Minuten einrichten müsste). 

Stirbt der Ökoprotestantismus aus?

Solche Ansätze scheinen verheissungsvoll – und somit könnte der Ökoprotestant eigentlich aussterben. Also jene Spezies der Umweltbewegung, die das individuelle richtige Umwelt-Verhalten im Alltag predigt, dieses selber diszipliniert vorlebt und damit seine Mission rechtfertigt. Die Ökotipps-Liste ist seine Bibel aus der er gerne vorliest. Auch repetitiv (mehr dazu hier). Allerdings könnte er als alter Wein im neuen Schlauch überleben, denn es hat sich eine Art Ökokatholizismus entwickelt. Die Verhaltensänderungs-Mission ist die gleiche geblieben, nur kommt sie mit Weihrauch umnebelt netter daher. Mit weichspülendem Infotainment und coolem Klicken lautet das gleiche Motto nun: „Finde spielerisch deinen Lebens­stil-Typ heraus und verändere ihn zum Richtigen“. Solche mikroskopische Symptombekämpfung ist an Floskeln wie «leiste deinen eigenen Beitrag» erkennbar, die vorgaukeln, gesellschaftlich relevant zu sein. Ein Minischrittchen wird so zum Engagement empor­stilisiert, das damit aber eher gelöscht, denn entfacht wird. So unterminiert dieses „Clickerism“ bzw. diese datenbankgemanagte «Klickeria» den realen Wandel eigentlich tendenziell.

Ökoprotestantische Appelle wie etwa «Spar Strom und wir können uns ein AKW ersparen» oder ökokatholische Fussabdruck Online-Tests sind also ziemlich wirkungslos. Wirkung dagegen erzielt, wer echte oder als echt empfundene Normen ins Spiel bringt, z.B. mit Nudging so: «In einem Experiment begannen Hauseigentümer messbar weniger Strom zu verbrauchen, als man sie darauf hinwies, dass ihre Nachbarn bereits zu den Energiesparern gehörten. Gab man andere Gründe wie Umweltschutz, Kosteneinsparung oder Sorge für die zukünftige Generationen an, war der Effekt deutlich weniger ausschlaggebend» (ph 8/15).

So könnte gelingen, was notwendig ist: Eine Öko-Selbstverständlichisierung für die Bagatellfälle des Alltages.

PS: Zwei weitere auf psychologischen Erkenntnissen beruhende «massenfähige Verhaltens­änderungsmethoden» sind Scham- und «Rider-Elephant-Path»-Strategien:

  • Erstere hat Jennifer Jacquet in ihrem Buch über die Scham als politische Kraft beschrieben**. Als ein Beispiel dafür führt sie den Fall Kalifornien an, bei dem der Staat drohte, die 500 grössten Steuersünder auf seiner Web-Page zu veröffentlichen, worauf die allermeisten Säumigen umgehend einzahlten.
  • Die zweite, das «Rider-Elephant-Path»-Modell ist das Resultat einer Untersuchung der Heath Brothers*** von über 50 Fällen realer Veränderung aus zwanzig Ländern. Es besagt, dass die menschliche Trägheit, der «Elephant», nur dann einen neuen Weg einschlagen wird, wenn dieser in kleine Schritte zerlegt wird. Weil so der Weg für den Elefanten als machbar erscheint, wird er ihn – und nur dann – auch gehen. Egal, was der Kopf («Rider») auch sagen oder wollen mag. Ein Prinzip, das jede/r selber aus dem Alltag kennt. Erstaunlich aber, dass derselbe Mechanismus auch auf Gemeinde-, Firmen- oder Länderebene wirksam ist. Mehr zum Modell und dem Buch dahinter in einer nächsten Kolumne.

* «Nudging», auf deutsch «Stupser», ist jener kleine Anstoss, der genügt, um das Verhalten zu ändern. Zum Beispiel bekannt aus den Supermärkten (mit allerdings anderer Absicht): Der kleine Stupser an der Kasse, nämlich Schoko­riegel auf Kinderaugenhöhe anzubieten, bewirkt, dass das Kind unbedingt einen solchen haben will. Umgekehrt zeigen Schulkantinen, bei welchen Obst auf Augen- und Schokolade auf Bückhöhe angeboten werden, einen markanten gesundheitsförderlichen Effekt. Standardwerk: «Nudge: Wie man kluge Entscheide anstösst», Cass Sunstein und Richard Thaler (2009). Und eine Warnung: „Big Data“ und Nudging à la Google ist nicht nur paternalistisch („Google weiss, was für mich gut ist“), sondern wegen ihrem manipulativen Charakter hochproblematisch. Zu dieser verhaltensökonomischen Methode gibt es viel Forschung, z.B. an der ZHAW, und auch kritische Literatur.

** «Scham. Die politische Kraft eines unterschätzten Gefühls», Jennifer Jacquet (2015)

*** «SWITCH – Veränderungen wagen und dadurch gewinnen!», Chip und Dan Heath (2011)

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