«Ich will als Bundesrat meinen verfassungsmässigen Auftrag bestmöglich erfüllen. Das heisst, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass eine sichere Stromversorgung möglich ist», erklärt Energie- und Umweltminister Albert Rösti in einem Interview mit der NZZ am Sonntag. Doch diesem Auftrag wird er nicht gerecht.
Der von Albert Rösti vorgestellte Ansatz, der zwischen der Wiederbelebung der Atomkraft und der Finanzierung von Gaskraftwerken schwankt, ist realitätsfern und entspricht nicht den Bedürfnissen des Landes: Stärkung der Energiesicherheit, Steigerung der Stromproduktion und Schutz vor den schlimmsten Folgen der globalen Erwärmung. Hier sind die vier wichtigsten Kritikpunkte seiner Äusserungen.
Der notwendige Klimaschutz
Am Ende des Interviews behauptet Albert Rösti, dass die Katastrophe von Blatten ein «besonderes Einzelereignis» sei, und vermeidet es sorgfältig, einen Zusammenhang mit der Klimaerhitzung herzustellen. Zwar spielen bei einem so katastrophalen Erdrutsch wie in Blatten mehrere Faktoren eine Rolle, doch war die Schwächung des Gletschers und des Permafrostbodens aufgrund der globalen Erwärmung ein entscheidender Faktor.
Letzte Woche veröffentlichte das Bundesamt für Meteorologie neue Klimaszenarien, die deutlich zeigen, welcher Gefahr wir in der Schweiz ausgesetzt sind: Zunahme tropischer Nächte und Dürren, drastischer Rückgang der Schneemenge und sintflutartige Regenfälle mit erheblichen Folgen für die Land- und Energiewirtschaft. Jedes zusätzliche Zehntelgrad erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Zukunft von schweren Wetterkatastrophen geprägt sein wird. Ein Beispiel unter vielen: In Kandersteg, der Heimat von Albert Rösti, droht ein grosser Felsabbruch in den nächsten Jahren einen Teil des Dorfes zu verschütten. Wie kann unser Umweltminister die Augen so sehr vor dieser Tatsache verschliessen?
Die Schweiz kann nur gewinnen, wenn sie mit gutem Beispiel vorangeht und eine ehrgeizige Klimapolitik verfolgt. Innerhalb von zehn Jahren können wir eine fast vollständig erneuerbare Energieversorgung aufbauen und damit unsere CO2-Emissionen um 75 Prozent reduzieren. Die Energiewende ist für den Klimaschutz unverzichtbar. Wir können nur gewinnen, wenn wir sie umsetzen, und nur verlieren, wenn wir sie hinauszögern.
Erneuerbare Energien ermöglichen Fortschritte
Albert Rösti zeigt sich besonders besorgt über die Notwendigkeit, die Stromproduktion zu steigern. «60 Prozent unseres Energiebedarfs decken wir fossil, das müssen wir nach und nach ersetzen», erklärt er. Es stimmt, dass die Dekarbonisierung unseres Energiesystems eine Steigerung der Stromproduktion erfordert. Es ist jedoch nicht notwendig, die gleiche Menge an elektrischer Energie zu erzeugen, die wir gegenwärtig in Form von Öl und Gas verbrauchen, da die Nutzung letzterer sehr ineffizient ist. Die Elektrifizierung ermöglicht enorme Effizienzgewinne und eine bessere Kontrolle unseres Verbrauchs. So führt die Abkehr von fossilen Energien nur zu einem leichten Anstieg unseres Stromverbrauchs.
Der Aufschwung der erneuerbaren Energien muss vor allem dazu dienen, günstige Energie zur Verfügung zu stellen, um die alternden Atomkraftwerke und ihre teure Produktion zu ersetzen. Wenn Albert Rösti sich über den langsamen Aufschwung der erneuerbaren Energien beklagt, vermeidet er sorgfältig, das Produktionspotenzial von Solarenergie auf den Dächern und Fassaden bestehender Infrastrukturen zu erwähnen. Diese ermöglichen potenziell die Erzeugung von 67 TWh zusätzlicher Elektrizität, was 10 Prozent mehr als unserem derzeitigen Gesamtstromverbrauch entspricht. Diese Zahl stammt aus einer Studie, die 2019 vom Bundesamt für Energie (BFE) unter der Leitung von Albert Rösti veröffentlicht wurde. Unser guter Minister täte gut daran, sie zu lesen.
Die Energiewende ist jedoch ein Ganzes. Während die Photovoltaik der Bereich ist, in dem wir unsere Stromproduktion schnell steigern können, wird die Entwicklung der Wasserkraft und der Windkraft das Angebot stärken und unsere Energiesouveränität sichern. Aus diesem Grund verzichten die Umweltorganisationen darauf, sich gegen den Beschleunigungserlass zu wehren, der jedoch das Beschwerderecht der Organisationen einschränkt. Sie unterstützen auch die Entwicklung der 16 Wasserkraftprojekte von nationaler Bedeutung. Wir begrüssen auch das Inkrafttreten einer Bundesverordnung am 1. Januar 2026, die die Entwicklung lokaler Stromgemeinschaften (CEL) ermöglicht, welche Investitionen in Windenergie fördern, indem sie Gemeinden und Privatpersonen ermöglichen, selbst vom Stromhandel zu profitieren. Diese Verordnung dürfte bald Wirkung zeigen.
Die Atomkraft bremst uns
«Die modernen «Small Modular Reactors» dürften in den nächsten fünf Jahren weltweit praxistauglich werden», freut sich Albert Rösti. Woher hat er diese Informationen? Die Experten der Atomindustrie sind sich sicher, dass SMR frühestens in gut einem Jahrzehnt oder sogar noch später auf den Markt kommen werden. Zur Erinnerung: Die Schweizerische Akademie der Naturwissenschaften schätzt in einem im Juni dieses Jahres veröffentlichten Bericht, dass es unmöglich ist, vor 2050 eine neue Anlage in Betrieb zu nehmen. Sie verweist auch auf die enormen Kosten eines solchen Vorhabens.
Wichtig ist, dass wir zusätzliche Produktionskapazitäten schaffen, um die Stilllegung der Schweizer Kernreaktoren, die das Ende ihrer Lebensdauer erreichen, auszugleichen. Wir sind bereits auf dem richtigen Weg. Laut BFE sind bis 2035 jährlich 2 TWh zusätzliche Photovoltaik-Produktion erforderlich, um diesen Bedarf zu decken. Im Jahr 2024 wurden tatsächlich 1,8 TWh installiert. Hier muss Albert Rösti die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, anstatt mit einer hypothetischen Wiederbelebung der Kernenergie abzulenken, die die Bundessubventionen verschlingen und unsere Energiesouveränität gefährden würde.
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MitmachenBewältigung einer möglichen Krise
Albert Rösti scheint besonders besorgt über die verheerenden Auswirkungen zu sein, die eine Stromknappheit auf unsere Wirtschaft haben könnte. Um sich dagegen zu wappnen, plant er die Finanzierung sehr kostspieliger zusätzlicher Produktionskapazitäten mit Reservegaskraftwerken. Der Einsatz von Gas ist nicht nur angesichts der Klimakrise unsinnig, sondern würde auch nichts bringen. Die Schweiz ist mit dem europäischen Strommarkt verbunden. Das wahrscheinlichste Szenario, das zu einer Knappheit führen könnte, wäre, dass unsere Nachbarländer nicht über genügend Gas verfügen, um einen Rückgang der Solar- und Windenergieproduktion auszugleichen. Wenn unseren europäischen Nachbarn jedoch das Gas ausgeht, würde dies auch für die Schweiz gelten, die über keine eigenen Reserven verfügt.
Der Bau neuer Gaskraftwerke löst das Problem demnach nicht. Die Kernenergie ist ein weiteres finanzielles Fass ohne Boden, das nur unseren Energieminister reizt. Wenn Albert Rösti die Schweiz vor einer Energiekrise schützen will, muss er sich mit aller Kraft für den Ausbau der erneuerbaren Energien einsetzen.


