Greenpeace-Bericht: Mikroplastik und Umweltgifte in der Antarktis

Im Märchen vom Hasen und dem Igel kann Meister Lampe so schnell laufen wie er will – sein stacheliger Kontrahent ist immer schon vor ihm am Ziel. Die Forscher an Bord des Greenpeace-Schiffes Arctic Sunrise erlebten auf ihrer Antarktis-Expedition eine ähnliche Niederlage, in der vielleicht niederschmetterndsten Nacherzählung des Hase-Igel-Rennens der Welt. Egal, wie entlegen der Ort ist, den man aufsucht: Der Mensch hat dort bereits Schäden hinterlassen.

Die Arctic Sunrise war von Januar bis März dieses Jahres im Südpolarmeer unterwegs, um den einzigartigen Lebensraum über und unter Wasser zu dokumentieren. Mit gutem Grund: Die Antarktis-Kommission CCAMLR entscheidet im Herbst darüber, ob im Weddellmeer das weltgrößte Meeresschutzgebiet eingerichtet wird. Die Crew der Arctic Sunrise lieferte mit beeindruckenden Bildern des empfindlichen Ökosystems am Meeresboden überzeugende Argumente für ein Schutzgebiet, in dem keine industrielle Fischerei den Frieden unter Wasser stören dürfte.

MIKROPLASTIK: LEICHTE BEUTE IM POLARMEER

Doch selbst wenn große Teile des antarktischen Meeres unter Schutz gestellt würden: Der Mensch hat hier bereits seine Spuren hinterlassen. Sieben von acht Wasserproben, die die Crew der Arctic Sunrise von der Meeresoberfläche nahm, enthielten winzige Plastikpartikel, zum Beispiel Mikrofasern.

In ihren Proben von der Meeresoberfläche hat die Crew der Arctic Sunrise in nahezu allen Fällen Mikroplastik nachweisen können. © Daniel Beltrà

Klingt noch nach nicht viel, ist aber ein gewaltiges Problem. „Das Alarmierende an dem Mikroplastik, das wir in der Antarktis gefunden haben, ist, dass es überhaupt da ist“, sagt Thilo Maack, Greenpeace-Experte für Meere. Er hat die Expedition begleitet und selbst Proben genommen. „Eigentlich trennt die antarktische Ringströmung die Gewässer des Südpolarmeers von den Weltozeanen.“ Die sind bekanntlich voll von Plastik jeglicher Größe, rund 150 Millionen Tonnen Kunststoffmüll werden in den Weltmeeren vermutet. „Dass Mikroplastik seinen Weg durch diese natürliche Barriere hindurchgefunden hat, das ist schon sehr besorgniserregend.“

Die Ergebnisse der Expedition zeichnen damit ein deutlicheres Bild der weltweiten Meeresverschmutzung durch Plastik – allerdings bei Weitem kein beruhigendes. „Man weiß sehr viel über die Belastung der Weltozeane durch Mikroplastik, außer in der Antarktis“, sagt Maack. „Wir tragen dazu bei, dieses Problem für den Südpol besser zu beschreiben.“

CHEMIE IM SCHNEE

Nicht nur Mikroplastik fanden die Wissenschaftler auf ihrer Expedition, sondern auch gefährliche Chemikalien, in frisch gefallenem Schnee. Sieben von neun Schneeproben enthielten poly- und perfluorierte alkylierte Substanzen, kurz PFAS. Greenpeace hatte bereits 2015 eine großangelegte Untersuchung an den entlegensten Orten der Welt durchgeführt und in schwer zugänglichen Bergregionen PFAS nachgewiesen. Denn über die Atmosphäre verteilen sich die Stoffe über den gesamten Erdball; einige davon stehen im Verdacht, Krebs zu erzeugen und den Hormonhaushalt zu stören.

Das Greenpeace-Schiff Arctic Sunrise war von Januar bis März 2018 im Südpolarmeer unterwegs, um den einzigartigen Lebensraum Antarktis aus der Nähe zu betrachten. © Christian Åslund

Die langkettigen Moleküle werden in der Textilindustrie vor allem dazu benutzt, Kleidung widerstandsfähig zu machen; durch die Beschichtung werden Outdoortextilien schmutz- und wasserabweisend gemacht. Nicht zum ersten Mal weisen Greenpeace-Experten auf die Paradoxie hin: „In erster Linie kommen diese Chemikalien von denen, die die Natur schätzen“, so Maack. Die Aufklärungsarbeit von Greenpeace hat bereits viele Firmen dazu gebracht, auf PFAS und PFC (per- und polyfluorierte Chemikalien) in der Produktion zu verzichten – und es werden mehr.

In der Antarktis stehen Pinguine, Wale und Robben am Ende der Nahrungskette. Mit Umweltgiften belastetes Mikroplastik wird selbst an diesem entlegenen Ort für die Tiere zum Problem. © Christian Åslund

DAS SCHUTZGEBIET IST EIN GUTER START

Die bereits in die Umwelt entlassenen Gifte sind allerdings nicht wieder einzufangen; dasselbe gilt für Mikroplastik, das sich in der Nahrungskette anreichert und die Gesundheit von Menschen und Tieren bedroht. Der Mensch hat die Antarktis bereits in Mitleidenschaft gezogen; in unserer Verantwortung liegt es, keinen weiteren Schaden anzurichten. Dazu braucht es Schutzgebiete. „Die Ergebnisse der Probenanalysen erhärten unsere Forderung, dass wir sehr großflächige Bereiche in der Antarktis brauchen, in denen die Natur wirklich sich selber überlassen bleibt“, sagt Thilo Maack. „Meeresschutzgebiete tragen dazu bei, dem Ökosystem und seinen Bewohnern Ruhe zu gönnen und es widerstandsfähiger gegen die von Menschen verursachten Probleme wie die Verschmutzung durch Plastik zu machen. Und das Weddellmeer ist dafür ein sehr guter Start.“