Menschenrechtsverletzungen, Umweltsünden, moderne Sklaverei: Konzerne können sich im Ausland vieles leisten, denn kaum jemand kann sie zur Rechenschaft ziehen. Pablo Fajardo will, dass sich das ändert: So kämpft ein ecuadorianischer Anwalt für ein Abkommen zur Konzernverantwortung. Das will auch die Schweizer Konzernverantwortungs-Initiative (KoVI), über die das Schweizer Volk bald abstimmen kann.

«Das erste Mal war schrecklich.» Die Träume danach, die Unsicherheit auf der Straße. Die Sorge, was aus seiner Tochter werden würde. Inzwischen hat Pablo Fajardo den Gedanken akzeptiert, dass seine Gegner ihn umbringen wollen. Aufgeben würde er deswegen nicht.

Aber er ist vorsichtiger geworden seit der ersten Morddrohung. Bustickets zum Beispiel bucht er frühestens drei Stunden vor Abfahrt. «Ich könnte mir nie verzeihen, wenn wegen mir eine Bombe hochgeht und irgendjemand unschuldig stirbt», sagt der Anwalt.

Seit 25 Jahren im Rechtsstreit

Pablo Fajardo, 45, Familienvater, am liebsten mit dem Fahrrad unterwegs, ist der Mann, der sich mit dem fünftgrößten Ölkonzern der Welt anlegt. Nur dafür hat er Jura studiert. Weil sein Vater, ein Kakaobauer, ihm das Studium nicht finanzieren konnte, legten alle Leute aus dem Dorf ihr Geld zusammen. Sie wollten, dass sich endlich etwas ändert. Denn der Boden, auf dem ihre Häuser stehen, ist vergiftet. Das Grundwasser ist mit Erdöl verseucht. Die Krebsraten ihrer Provinz sind die höchsten im Land.

Deshalb kämpft Pablo Fajardo für die Betroffenen um eine Entschädigung vom Ölkonzern Texaco, der inzwischen Chevron gehört. Bislang ohne Erfolg, denn es existiert kein internationaler Gerichtshof, der Unternehmen im Ausland für Menschenrechtsverletzungen haftbar machen kann. Der Fall ist emblematisch für das unverantwortliche Handeln von transnationalen Unternehmen weltweit. Einige Länder haben zwar bei den Vereinten Nationen eine Arbeitsgruppe angestoßen, doch die Verhandlungen kommen nur schleppend in Gang.

Fajardo hat diese Initiative mitgegründet. Der Ecuadorianer sitzt in einem engen Büro im Norden der Hauptstadt Quito. Auf dem Schreibtisch stapeln sich Gesundheitsberichte und Fachliteratur aus der Biologie und Chemie, daneben liegt ein Brief an den Präsidenten der Republik. Alle fünf Minuten klingelt sein Handy. Dann erschallt ein lautes Hühnergackern und eine alberne Melodie, die Fajardo zum Lachen bringt. Er hat seinen Optimismus nicht verloren, obwohl der Rechtsstreit schon 25 Jahre dauert.

Wachstum macht Unternehmen blind für Menschenrechte

Anfang der 1960er Jahre bohrten Ingenieure aus Texas zum ersten Mal im Amazonasgebiet nach Öl. Als sich ihre Firma Texaco 1992 aus Ecuador zurückzog, hinterließ sie die bis dato größte Ölkatastrophe der Welt. Studien zufolge waren rund 65 Millionen Liter Rohöl und 70 Milliarden Liter giftige Abwässer im Boden versickert. Das «Tschernobyl Amazoniens» wird der Fall genannt. Die Einheimischen hatte niemand gewarnt, dass das Grundwasser mit Schwermetallen, Benzol und anderen krebserregenden Substanzen belastet würde. Ihre Schamanen konnten die neuen Krankheiten nicht heilen. Für die Hautausschläge der Babys, für chronischen Durchfall, wuchernde Tumore kannten sie keine Medizin.

«Das Perverse an der Sache ist, dass Texaco genau wusste, wie sie das Land verschmutzen», sagt Fajardo und öffnet ein PDF-Dokument auf seinem Laptop: Eine weniger umweltschädliche Technologie zur Ölförderung existierte bereits in den 1960er Jahren – patentiert von Texaco in den USA. Dort kam sie auch zum Einsatz. Aber in Ecuador leiteten die Ingenieure alle Erdölrückstände in ungesicherte Überlaufbecken. So sparten sie Kosten. «Die Welt hat ein System hervorgebracht, in dem Unternehmen nur Rechte haben, aber keine Pflichten», kritisiert Fajardo.

Das Problem ist global: Europa verbietet das Pestizid Paraquat. Der Marktführer Syngenta exportiert es dorthin, wo die Bauern nichts über die Gesundheitsfolgen wissen. In Pakistan geht eine Textilfabrik des deutschen Modediscounters KiK in Flammen auf. KiK weigert sich, die Opfer angemessen zu entschädigen. Eine Jahrhundert-Dürre könnte im südafrikanischen Kapstadt bald zu Kämpfen um die knappe Ressource Wasser führen. Nestlé füllt weiterhin Grundwasser in Flaschen ab. Die Liste der Beispiele ist lang. Sie alle zeigen: Die Maxime des Wachstums macht Unternehmen blind für Menschenrechte.

Die Krux ist ein internationales Rechtssystem, das große Lücken aufweist: Schiedsgerichte und Freihandelsabkommen erlauben es Unternehmen, ausländische Staaten zu verklagen. Die Leidtragenden der Unternehmenspolitik haben keinen Zugang zur Gerichtsbarkeit. Bürger können ihre Rechte bei multinationalen Unternehmen nicht einklagen.

Unternehmen zur Verantwortung ziehen

Fajardo weiß das, denn er hat es überall versucht: Zuerst vor dem Bundesgericht in New York. Das verwies ihn an Ecuador. Der Oberste Gerichtshof gab den Amazonasbewohnern in letzter Instanz Recht und verurteilte Chevron zu 9,5 Milliarden Dollar Schadensersatz. Doch Fajardos Erfolgsgefühl hielt nicht lange an. Denn der Weltkonzern weigert sich, Verantwortung zu übernehmen. «Eher wird die Hölle gefrieren, als dass wir dieses Urteil anerkennen“, kommentierte einer von hunderten Chevron-Anwälten. Auch sie wissen, dass es keine internationale Gerichtsbarkeit für den Fall gibt. Weder der Strafgerichtshof in Den Haag noch der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte sahen sich für den Rechtsstreit zuständig. Weil der Konzern alle Unternehmenswerte aus Ecuador abgezogen hat, versuchte Fajardo es in Argentinien, Brasilien und Kanada. Mitte Mai erlebte er den letzten Rückschlag: Ein Berufungsgericht in Ontario lehnte in der Revision ab, das Urteil mit kanadischen Chevron-Unternehmenswerten zu vollstrecken.

«Es gibt keine Gerechtigkeit für die Opfer solcher Verbrechen», sagt Fajardo. Das macht ihn wütend und noch entschlossener, daran etwas zu ändern. Er selbst hat seine beste Freundin Maira und viele Mitstreiter im Fall Chevron durch Krebs verloren. Solange der Ölmulti seinen Giftmüll nicht entsorgt, leidet die Region weiter unter den Folgen der Erdölproduktion.

Um vor dem UNO Menschenrechtsrat von dem Fall zu berichten, ist Fajardo schon mehrmals nach Genf geflogen, zuletzt Anfang März. Ecuador und Südafrika haben 2014 die Arbeitsgruppe zu einem «Binding Treaty» der Vereinten Nationen angestoßen. Dieses Abkommen soll einen verbindlichen Rechtsrahmen schaffen, der Unternehmen zur Verantwortung ziehen kann. Es soll eine Art Menschenrechtsvertrag werden, ein Pakt für Gerechtigkeit. Zusätzlich wollen die Initiatoren einen Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte etablieren. Neben Regierungen arbeiten auch 200 Organisationen aus der Zivilgesellschaft an dem Entwurf mit. Eine davon ist die Union der Betroffenen aus Ecuador, UDAPT, die Fajardo vertritt.

Schweizer Initiative

freiwillige Unternehmensverantwortung. 2011 haben die Vereinten Nationen ihre Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet. Sie sollen in sogenannten Nationalen Aktionsplänen umgesetzt werden. Der Bundesrat hat im Dezember 2016 einen solchen Aktionsplan verabschiedet. Er enthält fünfzig Instrumente, die Schweizer Unternehmen dazu bringen sollen, Menschenrechte auch im Ausland besser zu achten. Auf freiwilliger Basis wird das aber nicht funktionieren, sagen Kritiker wie die Schweizer Konzernverantwortungsinitiative (KoVI).

Konzerne sollen ihre gesamte Produktionskette überwachen, damit sie auch bei Zuliefererbetrieben Probleme sofort beheben können. Diese Sorgfaltspflicht muss gesetzlich geregelt werden, fordert KoVI. Das breit abgestützte Bündnis umfasst über 90 Schweizer Menschenrechts- und Umweltorganisationen, Aktionärsverbänden, Organisationen für Entwicklungszusammenarbeit, Kirchenvereinen und Gewerkschaften. Die Initiative will Anreize für eine gerechtere Wirtschaftsordnung schaffen: Heute verschaffe rücksichtsloses Verhalten Unternehmen oft einen Konkurrenzvorteil. Damit soll in Zukunft Schluss sein.

Die meisten Befürworter eines verbindlichen Abkommens sind Regierungen ärmerer Länder. Es sind ihre Bürger, die am meisten unter dem Extraktivismus durch ausländische Unternehmen leiden. Doch der Vertrag wird nur Staaten binden, die ihn ratifizieren. Deshalb ist es Fajardo wichtig, dass ihn am Ende möglichst viele unterschreiben. Noch sind große Fragen offen: Wozu will man Unternehmen genau verpflichten? Nimmt das Abkommen nur multinationale Unternehmen in die Pflicht oder alle Betriebe mit ausländischen Zulieferern? Und, mit Blick auf den Fall Chevron, ein Konzern dessen Jahresgewinn höher ist als der ecuadorianische Staatshaushalt: Wie erreicht man, dass in Industrienationen die Gerichtsurteile armer Länder anerkannt und vollstreckt werden?

Die kritische Haltung europäischer Staaten sieht der Anwalt als größte Hürde für den Prozess. Bis zuletzt hatte die EU die Legitimierung seiner Arbeitsgruppe als solche infrage gestellt. Nur Frankreich nimmt eine Sonderrolle ein: Seit die Assemblée Nationale 2017 das «Loi de Vigilance» eingeführt hat, müssen französische Konzerne ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen, auch international. Das gibt Fajardo Hoffnung. Aber Europa müsse endlich sein wahres Gesicht zeigen. «Wenn die EU Menschenrechte nicht aktiv schützen will, dann muss sie das wenigstens offen zugeben», fordert der Anwalt.

Die Gespräche in Genf haben ihm gezeigt: Bis auch europäische Staaten ein verbindliches UN-Abkommen unterstützen, ist es noch ein weiter Weg. Für Fajardo kein Grund, aufzugeben. Er kennt sich aus mit langwierigen Kämpfen.

Die Konzernverantwortungs-Initiative in Kürze:
Konzerne mit Sitz in der Schweiz sollen sicherstellen, dass sie die Menschenrechte respektieren und Umweltstandards einhalten – auch bei ihren Geschäften im Ausland. Damit sich auch dubiose Konzerne daran halten, sollen diese neu für Verletzungen der Menschrechte und Umweltstandards im Ausland haftbar gemacht werden können. Kern der Initiative sind eine verbindliche Sorgfaltsprüfungspflicht für Konzerne und eine Klagemöglichkeit für Geschädigte im Ausland gegen die fehlbaren Mutterkonzerne in der Schweiz. Mehr Informationen hier: Website KOVI.