Eine Initiative zu lancieren scheint eine schier unmögliche Aufgabe zu sein. Im Gespräch mit dem Greenpeace-Magazin erzählt Sophie Fürst, Mitorganisatorin der Gletscher-Initiative, vom komplexen Politsystem Schweiz und weshalb es sich trotzdem lohnt, für die eigene Idee auf politischem Weg zu kämpfen.  

Sophie Fürst, am 27. November 2019 wurde die Gletscher-Initiative eingereicht. Wie viel Zeit habt ihr in die Erarbeitung investiert?

Mehrere Jahre. Die Idee für die Gletscher-Initiative hatte Marcel Hänggi. Er ging 2015 als Journalist an die Klimakonferenz in Paris und stellte fest, dass die Schweiz zu wenig fürs Klima macht. Also hat er sich an die Arbeit gemacht. Schon alleine zwischen der Idee von Marcel Hänggi und der Einreichung des Initiativtextes bei der Bundeskanzlei liegen rund 2 Jahre.

Marcel Hänggi hat diese Aufgabe aber nicht alleine gemeistert?

Nein, er hat sich vor allem auf den Initiativtext konzentriert und Verbündete gesucht. Nachdem der Text vollendet war, fing die Organisation rundherum an. Der Trägerverein der Initiative, der Verein Klimaschutz Schweiz, wurde gegründet und Personen für das Initiativkomitee gesucht.

Worauf sollte man bei der Zusammensetzung des Initiativkomitees achten?

Diese Aufgabe ist eine wahre Herausforderung. Wir wollten bei der Gletscher-Initiative eine gewisse Diversität abbilden, sei das aufgrund der politischen Gesinnung, der Landessprache oder der Geschlechterzugehörigkeit. Schlussendlich haben wir im Komitee Mitglieder von den Grünen bis zur FDP. Und nicht nur Politiker*innen, sondern auch Bürger*innen und Organisationen sind vertreten.

Und wenn man das Initiativkomitee zusammen hat?

Dann reicht man den Initiativtext bei der Bundeskanzlei zur Prüfung ein. Diese kann zwei bis vier Monate dauern.

Nach positivem Bescheid durch die Bundeskanzlei hattet ihr 18 Monate Zeit, um 100’000 Unterschriften zu sammeln. Ist das grosszügig oder eher zu knapp?

Für die Gletscher-Initiative hat es «förig» gereicht (lacht). Aber das ist auch den Umständen zu verdanken, da das Thema Klima zum Zeitpunkt der Lancierung sehr präsent war, vor allem wegen der Klimastreiks. Für andere Themen braucht es wahrscheinlich einen längeren Schnauf.

Wie schwierig ist es, 100’000 Menschen zu finden, die die eigene Idee begrüssen?

Das kommt ganz auf das Netzwerk an. Es ist sehr sinnvoll, bereits vor der Einreichung der Initiative bei der Bundeskanzlei Allianzen mit beispielsweise Organisationen zu bilden, so kann man auf eine grosse Unterstützung in der Sammelphase zählen.

Und wenn man die 100’000 Unterschriften hat?

Die Unterschriften müssen jeweils von der Gemeinde beglaubigt werden. Da im Durchschnitt 5 Prozent der Unterschriften gemäss Bundeskanzlei nicht gültig sind, ist es ratsam, nicht bei 100’000 aufzuhören, sondern sicherheitshalber 120’000 Unterschriften zu sammeln und einzureichen.

Sophie Fürst © Isabel Truniger

Gab es Momente, in denen du gedacht hast, ihr schafft das nicht?

Nein, ehrlich gesagt, hatte ich das nie. Weil wir glücklicherweise zu einer Zeit lanciert haben, in der die Initiative so perfekt gepasst hat. Und wir dadurch riesengrosse Unterstützung erhalten haben.

Und jetzt?

Der Bundesrat hat Anfang September nun einen direkten Gegenentwurf präsentiert. Alle Interessierten dürfen dazu Stellung nehmen, auch wir machen das. Im nächsten Sommer startet dann der parlamentarische Prozess. Wir werden sehen, ob es noch einen indirekten Gegenvorschlag geben wird oder der direkte Gegenentwurf des Bundesrats vom Parlament unterstützt wird. Und dann entscheiden wir je nach Gegenvorschlag, ob wir diesen unterstützen und die Initiative zurückziehen, oder ob dies keine tragbare Option ist und wir die bestehende Initiative zur Abstimmung bringen.

Initiativkomitee, Initiativtext, Unterschriftenbeglaubigung, Gegenentwurf, Gegenvorschlag – ist es bürokratisch gesehen in der Schweiz zu kompliziert, eine Volksinitiative zu lancieren?

(Lacht) In der Schweiz ist alles kompliziert, was politisch ist. Man darf den Aufwand niemals unterschätzen. Es ist vor allem auch aufwändig, weil digitale Möglichkeiten wie z.B. E-Collecting nicht genutzt werden können. Online Unterschriften zu sammeln ist nicht möglich, was in Zeiten von Corona beispielsweise sehr wichtig wäre. Auch der ganze Papieraufwand mit den Unterschriftenbögen. Schon nur aus Sicht der Umwelt braucht es langsam aber sicher eine direkte Demokratie 2.0. Nichtsdestotrotz haben wir in der Schweiz grosses Glück, dass wir überhaupt Volksinitiativen lancieren dürfen.

Würdest du also sagen, es ist den Aufwand wert?

Mit einer Volksinitiative hast du die Möglichkeit, ein Thema zu beleuchten, das sonst vielleicht nie gross diskutiert werden würde. Als Beispiel die Initiative zum Grundeinkommen: Vor der Lancierung der Initiative genoss das Thema keine grosse Aufmerksamkeit, danach war es aber in aller Munde. Deswegen ist eine Initiative nie für die Katz, egal wie sie herauskommt.

Was empfiehlst du Menschen, die eine Initiative lancieren wollen?

Immer genug Schlaf und Energiereserven einzuplanen (lacht). Und es einfach zu tun. Die Unterschriftensammlung gibt einem ein grossartiges Gefühl, man erhält so viel Unterstützung und Bestätigung von Menschen. Deshalb würde ich es jedem empfehlen, der eine Idee hat und zu 100 Prozent dahinter steht.

Hier findest du alle Schritte zur Lancierung einer Volksinitiative.

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