Aus Belgien erreichen uns beunruhigende Nachrichten. Bei genaueren Untersuchungen in zwei AKW sind dort tausende weitere Risse im Reaktordruckbehälter entdeckt worden. Die Ergebnisse lassen befürchten, dass auch die Herzstücke der Schweizer Reaktoren rissiger sind als bisher vermutet. Eine rasche Klärung tut Not. Denn beim Versagen des Druckbehälters kommt es zu einer Kernschmelze.

Aus Belgien erreichen uns beunruhigende Nachrichten. Bei genaueren Untersuchungen in zwei AKW sind dort tausende weitere Risse im Reaktordruckbehälter entdeckt worden. Die Ergebnisse lassen befürchten, dass auch die Herzstücke der Schweizer Reaktoren rissiger sind als bisher vermutet. Eine rasche Klärung tut Not. Denn beim Versagen des Druckbehälters kommt es zu einer Kernschmelze.


Aktion beim Atomkraftwerk Tihange in Belgien, dessen Reaktordruckbehälter tausende Risse aufweist

Es ist der Alptraum des Atomzeitalters: Eine Kernschmelze in einem Reaktor, so wie sie vor knapp vier Jahren in Fukushima geschehen ist. Jahrelang haben die AKW-Industrie und mit Ihnen die Atomaufsichtsbehörde ENSI uns weisgemacht, ein solches Risiko sei in der Schweiz verschwindend gering – und das obwohl hierzulande der älteste AKW-Park der Welt betrieben wird. Greenpeace warnte wiederholt vor den unbekannten Risiken alternder Atomreaktoren; doch die Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Nun zeigt sich, dass die Gefahr einer Kernschmelze in einem alten AKW doch grösser sein könnte als vermutet.

Risse wegen des Betriebs
Aber der Reihe nach: Vor drei Jahren wurden in den beiden belgischen Reaktoren Tihange 2 und Doel 3 erste Risse im Reaktordruckbehälter entdeckt. Das war an und für sich schon beunruhigend, ist doch der Druckbehälter das eigentliche Herzstück eines AKW. Dort drin befinden sich die hochradioaktiven Brennelemente; dort drin findet die nukleare Kettenreaktion statt. Wegen den entdeckten Rissen wurden die beiden Reaktoren vom Netz genommen. Ein Jahr später wurden sie wieder hochgefahren – nur um ein Jahr später wieder abgeschaltet zu werden wegen kritischer Befunde bei Sicherheitstests. Dann wurde offenbar endlich genau hingeschaut. Und zum Vorschein kamen jetzt tausende weitere Risse im Reaktordruckbehälter. Beunruhigend ist dabei aber vor allem der Befund zweier renommierter belgischer Materialwissenschaftler: Für die Risse verantwortlich ist zu einem beträchtlichen Teil der Betrieb des Reaktors.

ENSI muss handeln
Warum ist dieser Befund so wichtig? Bisher gingen AKW-Betreiber und Atomaufsicht davon aus, dass vor allem Materialmängel Ursache der Risse sind. Das erlaubte der Atom-Lobby, das Problem alternder Reaktoren kleinzureden und den Druckbehälter bloss einzelnen Stichproben zu unterziehen – so geschehen hierzulande in Mühleberg und so geplant in Beznau und Gösgen, nicht aber in Leibstadt. Doch nun muss die Schweizer Atomaufsichtsbehörde ENSI einschreiten und die Reaktordruckbehälter aller AKW genau unter die Lupe nehmen, statt wie bisher bloss stichprobenartig. Denn aufgrund der alarmierenden Entdeckungen in Tihange und Doel empfiehlt nun auch der Leiter der belgischen Atomaufsichtsbehörde Jan Bens eine weltweite Untersuchung der AKW. Bens spricht von einem möglichen «globalen Problem der Atomkraftwerke».

Abschalten statt abwarten
Eine Reaktion des Schweizer Pendants von Bens‘ Behörde, dem ENSI, steht bisher noch aus. Aber nehmen wir einmal an, die Aufsichtsbehörde nimmt ihre Aufgabe wirklich ernst, die Druckbehälter Schweizer AKW werden in naher Zukunft  überprüft und stellen sich als ebenso rissig heraus, wie die belgischen AKW – oder gar als noch rissiger, denn abgesehen vom AKW Leibstadt sind alle Schweizer Reaktoren schon länger am Netz als die zwei belgischen Kraftwerke. Was dann? Die Reaktoren müssten sofort abgeschaltet werden und erst dann wieder in Betrieb gehen können, wenn Ursachen und mögliche Folgen der Risse geklärt sind. Denn wir wollen kein Fukushima mehr. Nicht in der Schweiz, nicht in Belgien, nicht anderswo auf der Welt.

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