Über 100 WissenschaftlerInnen fordern von Greenpeace, Gentech-Lebensmittel und insbesondere den Golden Rice als Lösung für Ernährungssicherheit und Hungerprobleme anzuerkennen. Sie irren. Agro-Gentechnik schafft nur neue Probleme.



Donnerstag, 30. Juni 2016 © Greenpeace / Luis Liwanag

Das Wichtigste zuerst: Die WissenschaftlerInnen (von denen fast alle nichts mit Agrarwissenschaft zu tun haben) propagieren – an ihrer Medienkonferenz unterstützt von Ex-Mitarbeitern des US-Agrochemiekonzerns Monsanto – eine Lösung, die es noch gar nicht gibt. Der Golden Rice wird nach über 20 Jahren Entwicklung erst auf Versuchsfeldern angebaut und ist noch nicht marktreif. Dies sagt das International Rice Research Institute (IRRI), welches massgeblich daran beteiligt ist.

Eine kürzliche Studie der Washington University zeigt, dass die Anbauverzögerung nicht an AktivistInnen oder GVO-GegnerInnen liegt, wie häufig von Befürwortern behauptet, sondern mehrheitlich an gesetzlichen Schranken und an der zu niedrigen Ertragsmenge. Der Bericht hinterfragt auch, ob der Reis tatsächlich den Vitamin-A-Mangel in armen Regionen beheben kann. Denn ob der Reis am Ende auch von den Betroffenen konsumiert wird und ob das Beta-Carotin zur Vitamin-A-Bildung über die traditionellen Ernährungsweisen überhaupt aufgenommen und verwertet werden kann, ist nicht gesichert.

Es ist also unklar, ob das im Gentech-Reis produzierte Beta-Carotin von einem mangelernährten Menschen tatsächlich in genügend Vitamin A umgewandelt werden kann. Diese Wissenslücke ist nach 20 Jahren Forschung erstaunlich. Wie stabil sich gentechnisch veränderte Pflanzen unter wechselnden Umweltbedingungen entwickeln und wie hoch die Schwankung bei den Carotinoiden sein würde, ist nicht erforscht. In einen biochemischen Ablauf einer Pflanze einzugreifen, birgt das Risiko, dass unbeabsichtigt auch weitere Veränderungen wie beispielsweise erhöhte Krankheitsanfälligkeit oder verminderte Toleranz gegenüber klimatischen Einflüssen auftreten.

Der gentechnisch veränderte Golden Rice ist die falsche Antwort auf die in Asien und Afrika grassierende Armut und Mangelernährung. Einseitige Ernährung mit einseitiger Ernährung zu bekämpfen, ist völlig unsinnig und unlogisch. Das führt zu neuen Mangelerscheinungen und damit auch zu weiteren gesundheitlichen Problemen bei den Ärmsten der Armen. Unter- und Mangelernährung kann nur mit einer besseren Verteilung, mit Diversität, Aufklärung, Schulungen und, wo nötig, mit der Abgabe von Nahrungsmittelergänzungen angegangen werden. Dazu braucht es den politischen Willen, diesen Menschen zu helfen, und keine technokratischen Scheinlösungen, die niemandem wirklich etwas bringen und die Probleme sogar noch verschärfen.

Die leeren Versprechungen der Gentech-Befürworter

Vor zwei Jahrzehnten waren auf US-Feldern die ersten Gentech-Pflanzen angebaut worden. Seither gaben Monsanto, Syngenta und Bayer in Bezug auf diese Technologie die schillerndsten Versprechen ab. Nun, zwei Jahrzehnte später, zeigt sich, dass die Gentechnik keine davon erfüllen kann. Einige der im Labor demonstrierten Vorzüge liessen sich auf dem Feld nicht umsetzen, andere waren der Komplexität realer landwirtschaftlicher Ökosysteme und den tatsächlichen Bedürfnissen von BäuerInnen nicht gewachsen. Die Gentechnik zementiert nur das gescheiterte Modell der industriellen Landwirtschaft – mit ihren Monokulturen und dem Grosseinsatz von Pestiziden, die zum Verlust der biologischen Vielfalt führen, ihrer schlechten Kohlenstoffbilanz, dem grossen wirtschaftlichen Druck, den sie KleinbäuerInnen auferlegt, und ihrer Unfähigkeit, sichere, gesunde und gehaltvolle Nahrungsmittel dort bereitzustellen, wo sie benötigt werden. Gentech-Lebensmittel zielen an den Bedürfnissen der KonsumentInnen vorbei. Die aktuell angesagte Technik, die Cisgenese, ist genauso problematisch wie die Transgenese der ersten Generation gentechnisch veränderter Pflanzen. Die Gentechnik gehört eindeutig der agrarindustriellen Vergangenheit an und hat in einer ökologisch geprägten, fair gestalteten Zukunft keinen Platz.

Wissenschaftler mit Praxiserfahrung fordern Alternativen

Es gibt eine sichere Alternative zu Gentechnik – eine, die zudem erfolgreicher ist: Smart Breeding oder MAS (Markergestützte Selektion) ist eine Anwendung der Biotechnologie – ohne Gentechnik. Sie setzt auf den klassischen Züchtungsansatz, funktioniert schnell und effektiv. Sie ist zwar kein Wundermittel, aber eine echte, allerdings bisher weitgehend unbemerkte Revolution in der Pflanzenzucht. MAS hat bereits bei einer breiten Palette an Nutzpflanzen mit nützlichen Eigenschaften hervorgebracht. Beispielsweise wurden durch diese Art von Züchtung bestimmte Sorten von Gerste, Bohnen, Chili, Salat, Hirse, Reis, Soja, Tomaten und Weizen gegen Pilzkrankheiten resistent.  Zu neueren MAS-Sorten zählen auch Kulturpflanzen, die eine erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen Dürre oder Überschwemmungen haben oder in Böden mit hohem Salzgehalt gedeihen können.

Wissenschafliche Experten mit Praxiswissen im Bereich der Landwirtschaft – der Weltagrarrat sowie die Agrarexperten des International Panel of Experts on Sustainable Food Systems (iPES)(engl.) – setzen auf ökologische Lösungen ohne Gentechnik.

Die Konzerne, die der Welt versprechen, mit Gentechnik die Ernährungssicherheit zu gewährleisten, vernichten mit Gentechnik und Pestiziden in Wahrheit die Artenvielfalt und gefährden die Gesundheit von Mensch und Tier. Statt weiterhin in eine Intensiv-Landwirtschaft zu investieren, braucht es die Förderung und Weiterentwicklung ökologischer, chemiefreier Anbaumethoden, also auch einen Forschungsschub im biologischen Landbau. Das Moratorium für den kommerziellen Anbau von Gentech-Pflanzen in der Schweiz läuft Ende 2017 aus. Die KonsumentInnen wollen keine Gentech-Lebensmittel. Die Schweiz tut gut daran, weiterhin auf den entscheidenden Qualitätsvorteil der gentechfreien Landwirtschaft zu setzen.

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