Die Schweizer Gletscher verschwinden. Neueste Prognosen sagen: In 80 Jahren werden fast alle weggeschmolzen sein. Warum kümmert uns das so wenig? Der Psychologe Adrian Brügger über die Gründe für unsere Gleichgültigkeit.

Das Gespräch führte Sarah Herwig.

Die Schweiz wird in 80 Jahren fast eisfrei sein. Warum bewegt diese Prognose so wenig?

80 Jahre sind eine relativ lange Zeit. Ausserdem sind für die meisten Menschen in der Schweiz, aber auch in anderen Ländern, Klimaprobleme noch sehr weit weg.

Womit hat das zu tun?

Unter anderem mit den Zielen und den Werthaltungen von Menschen. Der Klimawandel wird meistens als Bedrohung für die Natur und für zukünftige Generationen dargestellt. Das bewegt Menschen, die viel Wert auf Dinge wie Fairness, soziale Gerechtigkeit oder Gleichberechtigung legen. Für Menschen mit anderen Werten oder andere Zielen ist das vielleicht weniger wichtig. Ich denke an Werte wie persönliche Freiheit, Entfaltungsmöglichkeiten, Erfolg und materiellen Reichtum.

Wenn es um die Folgen der Klimaerwärmung geht, wird oft von fernen Ländern gesprochen. Das Verschwinden der Gletscher in der Schweiz ist jedoch sehr greifbar und nah. Ändert das etwas in der Wahrnehmung des Klimawandels?

Nach unseren und anderen Forschungsergebnissen nicht. Wir haben verschiedene Experimente durchgeführt. Dabei haben wir Menschen verschiedene Informationen präsentiert – zum Klimawandel in der Schweiz und weit weg. Danach haben wir sie gefragt, wie riskant sie den Klimawandel einschätzen. Und ob sie bereit wären irgendetwas in ihrem Alltag zu ändern oder Gesetze zu unterstützen, die das Klima schützen. Da zeigen sich keine Unterschiede.

Wie kann man das erklären?

Es gibt verschiedene mögliche Erklärungen: Erstens ist es nicht zwingend, dass Menschen, die in der Schweiz wohnen, sich viel stärker mit der Schweiz verbunden fühlen als mit anderen Ländern. Und nicht alle Menschen können viel mit Gletschern anfangen. Sie sind für viele weit weg. Im Alltag hat man wenig mit Gletschern zu tun. Der zweite Grund mag sein: Menschen, die sich Sorgen ums Klima machen, sorgen sich um andere Menschen. Um Menschen in anderen Ländern in denen die Konsequenzen oft drastischer sind. Wir sind wohlhabend und haben eine gute Infrastruktur. Daher können wir uns gut an viele mögliche Veränderungen anpassen. Eine letzte mögliche Erklärung: Der Klimawandel in der Schweiz könnte als so bedrohlich empfunden werden, dass man einfach nicht mehr drüber nachdenken will. Ich halte diese Erklärung jedoch für unwahrscheinlich. Denn die meisten befragten Leute sind vom Klimawandel emotional nicht besonders stark betroffen.

Auch in anderen Ländern, wie beispielsweise Österreich, schmelzen die Gletscher drastisch. (© Gesellschaft für ökologische Forschung/Greenpeace)

Nachrichten über die negativen Folgen des Klimawandels müssten doch eigentlich auch den einzelnen zum Handeln anregen. Doch warum ist der Schritt vom Wissen zum Handeln so schwer?

Wissen allein bewirkt wenig. Es braucht einen Grund, etwas persönlich beizutragen, um das Klima zu schützen. Und damit kommen wir wieder zu den Werten zurück. Es bedeutet nicht allen Menschen gleich viel, wenn das Klima die Natur zerstört oder die Gletscher.

Adrian Brügger forscht und lehrt als Dozent für nachhaltiges Verhalten an der Universität Bern. Er schreibt regelmässig über neue Forschungsergebnisse, die vorwiegend aus dem Gebiet der Umweltpsychologie stammen.

Die Originalfassung des Interviews findest du unter https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/warum-uns-das-verschwinden-der-gletscher-kalt-laesst

Wenn du dich für die Schweizer Gletscher stark machen willst, dann unterstütze unsere Gletscherinitiative!