Das ökonomische System müsse sich grundlegend ändern, fordert ein Teil der Klimademonstranten. Andere halten das für einen gefährlichen Irrtum. Auch Schweizer Klimajugendliche sind sich nicht einig, ob sich Klimaschutz und Kapitalismus miteinander vertragen. Zwei Interviews.

Mitra Tavakoli, Geografiestudentin

Mitra, die Parole «System Change, not Climate Change» greift um sich. Was für ein Systemwechsel ist damit gemeint?

Ich kann nicht für die ganze Bewegung sprechen. Aber vielen geht es wie mir um eine andere Wirtschaftsform, die mehr Rücksicht auf Umwelt und Menschen nimmt. Denn unendliches Wachstum funktioniert nicht auf einer endlichen Erde. Der überbordende Ressourcenverbrauch muss unterbrochen werden. Abgesehen von der Natur schadet der Kapitalismus auch Menschen, da er Egoismus fördert und einen Konsum zelebriert, der nie befriedigt werden soll.

Was hat diese Erkenntnis mit dir gemacht?

Es hat in mir eine grosse Unzufriedenheit ausgelöst und mich zur Umweltaktivistin gemacht: Für mich stehen eine genügsame Haltung und ein sozialeres Miteinander im Zentrum. Seit anderthalb Jahren kaufe ich konsequent keine neuen technologischen Produkte oder Kleider. Das ist inzwischen ganz normal für mich. Und die innere Zufriedenheit, die ich seither spüre, die ist mein grösster Antrieb.

Welches ökonomische System ist die Lösung?

Ein einzelnes perfektes System gibt es nicht. Die Lösung liegt in verschiedenen ökonomischen Ansätzen, die man ausprobiert und kombiniert. Zum Beispiel das bedingungslose Grundeinkommen oder die Regionalisierung der Wirtschaft, was kürzere Arbeitswege und Materialtransporte zur Folge hat. Den Begriff Systemwechsel vermeide ich aber.

Warum?

Du giltst dann schnell als Kommunist, noch bevor du dich erklären kannst. Ich nenne es lieber gesunden Menschenverstand. Und der Austritt aus der Leistungs- und Konsumgesellschaft fördert eine gemeinschaftliche und umweltfreundliche Lebensweise. Wir hätten mehr Zeit und könnten uns daher um die wichtigen Dinge kümmern, also mehr aufeinander achtzugeben und das Umfeld zu stützen. 

Denkst du, dass du diesen Wechsel miterleben wirst?

(Lacht herzlich) Ich weiss, die aktuelle politische Lage lässt einen nicht träumen. Realistisch betrachtet, erfolgt der Wandel, der weltweit geschehen muss, eher nicht während meines Lebens. Im Moment ist aber einiges im Gange. Die Klimabewegung gibt mir Mut und Schwung. Ich hoffe, dass wir in der Schweiz genug Druck aufbauen, dass der Wandel hier in Bewegung kommt. Und er sich von hier aus auf ganz Europa ausweitet.

Oscar Kläsi, Gymnasiast

Oscar, du nimmst an den nationalen Treffen der Klimajugend teil. Ist da der Systemwechsel ein Thema?

Und wie! Nach zahlreichen Diskussionen mussten wir uns darauf einigen, keine Zeit mehr dafür herzugeben. Unsere Zusatzklausel ist eine Art Kompromiss: Sollten unsere Ziele im aktuellen System nicht möglich sein, dann muss ein Systemwandel her. Die meisten befürworten den «System Change», weil die Jungsozialisten national sehr aktiv sind. Ich halte nichts davon, im Gegenteil: Die linksextreme Forderung könnte Andersgesinnte davon abhalten, sich der Bewegung anzuschliessen.

Also keine Systemkritik?

Wir sollten immer ein wenig systemkritisch sein. Aber ein einzelnes Modell, das alle Probleme weltweit löst, das gibt es nicht. Und dieses umzusetzen, würde eh zu viel Zeit beanspruchen. Der Klimawandel benötigt jetzt Handlungen.

Wie lässt sich denn grenzenloses Wachstum mit Klimaschutz vereinbaren?

Wir müssen das System nutzen, um den Klimawandel zu verhindern: Jeder, der dem Klima schadet, zahlt entsprechend. Das ist mein Hauptanliegen. Es kann nicht sein, dass Benzin so billig ist, wenn es so viel zerstört! Der CO2-Ausstoss muss besteuert werden.

Wo müsste man aus deiner Sicht noch ansetzen?

Der Kapitalismus hat die technologischen Fortschritte stark gefördert. Damit diese die Umwelt weniger belasten, muss mehr Geld in die Forschung fliessen. Wir müssen mehr in Bildungswachstum investieren und weniger in materielles Wachstum. Und damit die Schweiz dennoch wettbewerbsfähig bleibt, verbünden sich mehrere Länder, die nur noch auf umweltfreundliche Energien setzen.

Schon seit Jahrzehnten weiss man um die Klimakrise – warum sind denn diese Massnahmen nicht längst erfolgt?

Ich glaube, vielen Menschen ist einfach nicht bewusst, wie schlimm die Klimakrise wirklich ist. Oder sie verdrängen es, weil man zu Spottpreisen in der Welt herumfliegen kann. Mir ging es ja früher ebenso, bis mich die Klimajugend aufgerüttelt hat. Sobald du aber vom Notstand weisst, bleibt bloss noch die Frage, was du unternimmst. Aber dass du etwas tun musst, das ist klar.