Ein Drittel der Meere soll bis 2030 unter Schutz stehen. Nur welches? Greenpeace hat mit Wissenschaftlern errechnet, wo Schutzgebiete die grösstmögliche Wirkung entfalten.

«30×30» klingt erst einmal wie eine nicht allzu schwere Multiplikationsrechnung, aber eigentlich ist damit etwas anderes gemeint. Spricht man es englisch aus, «thirty by thirty», wird deutlich, worauf die Verfasser der gleichnamigen Greenpeace-Studie zum Schutz der Meere abzielen: Bis 2030 sollen dreissig Prozent der Ozeane Schutzgebiete sein – dreissig bis 30. Aber welche? Das ist in der Tat eine Rechenaufgabe. Und zwar keine einfache.

Schutzbedürftig ist insbesondere die Hohe See. So bezeichnet man jene Teile der Weltmeere, die – anders als die Küstengebiete in der 200–Seemeilen-Zone – nicht der Rechtsprechung von Nationalstaaten unterliegen. Sie braucht kein Stückwerk von Vereinbarungen, um ihrer Ausbeutung vorzubeugen, sondern ein internationales, rechtsverbindliches Steuerungsinstrument,: ein weltweites Netzwerk von Meeresschutzgebieten. Ein Jahr lang haben namhafte Wissenschaftler der Universitäten von York und Oxford mit Greenpeace zusammengearbeitet, um Modelle zu entwickeln, mit denen die Weltmeere und ihre Bewohner möglichst wirksam und kosteneffektiv geschützt werden können.

Im Meer gelten andere Voraussetzungen

Die Zielsetzung von „mindestens 30 Prozent“ Schutzgebieten wurde 2016 vom Weltkongress für Naturschutz formuliert, der Generalversammlung der IUCN. Der Weltnaturschutzdachverband IUCN (für «International Union For The Conservation Of Nature») ist die grösste und wichtigste internationale Naturschutzorganisation, zusammengesetzt aus Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen. Die Vorgabe ist sinnvoll, und gilt nicht bloss für die Meeresflächen des Planeten, sondern auch für das Land. Nur mit gesunden Meeren und Wäldern mit einem geschützten Artenbestand kann sich der Planet dem voranschreitenden Klimawandel entgegenstemmen. Und doch gelten in den Ozeanen andere Voraussetzungen als auf den Kontinenten.

Wandernde Arten wie Wale, Thunfische, Haie oder Schildkröten legen zum Teil enorme Strecken durch ganze Meeresbecken zurück, es gibt Hotspots reger Betriebsamkeit und regelrechte Einöden. Schutzgebiete müssen dieser Vielfalt Rechnung tragen. Auf dem Festland sind Naturschutzgebiete mehr oder weniger Inseln inmitten bewirtschafteter Flächen. Die geplanten Meeresschutzgebiete hingegen sind als grossflächige Netzwerke ausgelegt, mit ausgewiesenen Bereichen dazwischen, in denen der Mensch Wirtschaft betreiben darf, zum Beispiel fischen oder nach Öl bohren. Die Schutzgebiete sollen von direkten menschlichen Eingriffen jedoch verschont bleiben.

Rechenpower für Schutzgebiete

Doch wie entscheidet man, welche 30 Prozent besonders schützenswert sind? 458 sogenannte Schutzgüter wurden für diesen Zweck definiert: Darunter fallen bestimmte Tier- und Pflanzenarten, Lebensräume oder Meeresbesonderheiten wie Auftriebsgebiete, in denen nährstoffreiches Tiefenwasser in die lichtdurchflutete Zone der Ozeane gelangt. Etliche ozeanographische, biogeographische und sozioökonomische Daten wurden in das Computermodell eingespeist, um ein möglichst genaues Bild der Meereswelt zu erhalten. Letzten Endes lief die Rechenarbeit der Forscher auf die Frage hinaus: Welches Drittel erzeugt die stärkste Wirkung? Oder anders formuliert: Wohin müssen die dreissig Prozent verteilt werden, um das Höchstmass an Schutz auf einer derart begrenzten Fläche zu erzielen? Schliesslich gingen sie noch einen Schritt weiter. Wie sähe ein Schutzgebietsnetzwerk aus, das die Hälfte der Meere abdeckt?

«Diese Forschung zeigt, dass es absolut möglich ist, ein robustes, weltweites Netzwerk von Schutzgebieten zu entwerfen, das macht die Studie so spannend“», sagt Sandra Schöttner, Greenpeace-Expertin für Meere. «Es geht dabei nicht um das Ziehen künstlicher Grenzen auf Seekarten , sondern um eine sinnvolle Verknüpfung von Schutzgebieten, bestehend aus Lebensräumen mit hoher biologischer Vielfalt, Migrationskorridoren für wandernde Arten und besonders schützenswerten Ökosystemen.»

Die biologische Pumpe schützt das Klima

Im Kampf gegen den Klimawandel braucht die Menschheit gesunde Meere mit den gesamten Unterschieden ihrer Artenvielfalt. Oftmals wird unterschätzt, welche Leistung die Weltmeere für das globale Klima erbringen. Die sogenannte biologische Pumpe transportiert Kohlendioxid von der Meeresoberfläche und sorgt für seine Speicherung in der Tiefsee – durch Tiere, die nachts an der Oberfläche fressen und bei Tag in mehreren hundert Metern Tiefe ausscheiden: Quallen, Tintenfische oder Laternenfische, die in der Dunkelheit leben. Ohne diese Umwälzung würde die Atmosphäre rund 50 Prozent mehr Kohlendioxid enthalten – die Welt wäre unbewohnbar.

Darum braucht es einerseits direkten Schutz vor industrieller Ausbeutung der Meere durch Schleppnetzfischerei, Ölbohrungen oder dem geplanten Tiefseebergbau – und gleichzeitig die Möglichkeit für Flora und Fauna, sich von den Auswirkungen des Klimawandels, der Meeresverschmutzung und anderer menschengemachter Bedrohungen zu erholen. Die gute Nachricht: Die Meere wirksam zu schützen ist machbar. Die Wissenschaft hat es durchgerechnet.