Als Bundesrätin Doris Leuthard im Dezember 2017 die Botschaft zur Revision des CO2-Gesetzes vorstellte, enthielten die Unterlagen für die Medien ein Schulbuchbeispiel einer schönfärberischen Infografik: Fünf Schweiz-Silhouetten sollten die bereits erzielten und die angestrebtenCO2Reduktionen der Schweiz darstellen.

Die Silhouette für das Jahr 2012 war zu 92 Prozent dunkelgrau eingefärbt – dies stand für die bis 2012 erzielte Emissionsreduktion um 8 Prozent. Die Silhouette für 2050 stand für die angestrebte Reduktion um 70 bis 85 Prozent, hätte also noch zu 15 bis 30 Prozent dunkelgrau sein müssen. Eingefärbt waren aber nur noch das Sottoceneri und ein paar Walliser Berggipfel – vielleicht 5 Prozent der Fläche.

Die Grafik begegnete mir im April wieder in einer Broschüre, mit der das Bundesamt für Umwelt (Bafu) erklärt, wie die Schweiz das Pariser Klimaabkommen von 2015 umsetzen will. Doch diesmal war die Schweiz-Silhouette für das Jahr 2050 zu ungefähr 15 Prozent eingefärbt.

Das verrät einiges: Das Bafu soll die bundesrätliche Politik erklären, also übernimmt es vom Bundesrat eine Grafik. Aber ganz dazu stehen kann es offenbar nicht und korrigiert die Grafik stillschweigend. Schliesslich arbeiten auf diesem Amt Fachleute. Sie kennen die Materie und wissen, worum es geht.

Zum Vergleich: Links die Silhouette des Bundesrats, rechts die des Bafu. (Quellen: Botschaft zur Revision des CO2-Gesetzes 2017 /Broschüre «Klimapolitik der Schweiz 2018»)

Reduktionspotenzial wird nicht ausgeschöpft

«Das Übereinkommen von Paris markiert den Beginn einer neuen Ära: Die Staatengemeinschaft hat Ja gesagt zu einer Welt, die das Zeitalter der fossilen Energieträger hinter sich lässt», schreibt die stellvertretende Amtschefin Christine Hofmann im Vorwort zur Broschüre. Ähnlich klar heisst es in einem Bafu-Video von Ende 2017: «Wir müssen grundlegend neu denken und handeln.» So ist es. Aber – und das ist das Dilemma: Als Bundesamt muss das Bafu eine Politik loyal vertreten, die nicht «grundlegend neu» denkt. Und so findet man in der Broschüre auch Wohlfühlsätze wie diesen: «Aufgrund der breiten Palette der heute verfügbaren, kompakten und effizienten Fahrzeuge [gemeint sind Autos] liegt hier noch ein sehr grosses und kostengünstiges Reduktionspotenzial brach.»

Dass das «sehr grosse Reduktionspotenzial» nicht genügt, weiss das Bafu, und deshalb wird «insbesondere der Verkehrssektor auf Kompensationsprojekte im Ausland angewiesen sein.» Aber – und auch das weiss das Bafu – es wird, wenn das Pariser Abkommen ernst genommen wird, irgendwann keine «Kompensationsprojekte im Ausland» mehr geben, weil kein Land mehr bereit ist, seine Reduktionen gegen Geld einem anderen Land gutschreiben zu lassen.

Was der Bundesrat vorschlägt und was die Schweiz aufgrund des Pariser Abkommens tun müsste: Das passt nicht zusammen. Das Ziel, die Emissionen bis 2030 um die Hälfte und bis 2050 um 70 bis 85 Prozent zu reduzieren – Auslandskompensationen eingerechnet –, hat der Bundesrat schon vor der Pariser Klimakonferenz gefasst in der Erwartung, das neue Klimaabkommen werde eine Erwärmung um maximal 2 Grad anstreben.

Das Abkommen will die Erwärmung nun aber auf «deutlich unter» 2 Grad, wenn möglich
auf 1,5 Grad begrenzen. Die Schweiz hat sich in den Verhandlungen für dieses ambitioniertere Ziel eingesetzt. Trotzdem fühlte sich der Bundesrat seither nicht bemüssigt, seine Ziele anzupassen. Die Bafu-Broschüre nennt das Pariser Ziel «deutlich unter 2 Grad» mehrfach – um handkehrum wieder von der «2-Grad-Obergrenze» zu schreiben.
«Ab 2 Grad wird’s gefährlich», heisst ein Kapitel. Was gilt denn nun?

Mangelnde Bereitschaft zum Handeln

Viel Platz räumt die Broschüre den Investitionen in klimaschädigende Projekte ein – zu Recht: Die von Schweizer Pensionskassen und Versicherungen getätigten Investitionen, liest man da, «unterstützen im Durchschnitt eine Erwärmung um 4 bis 6 Grad.» Die Antwort darauf? «Der Bundesrat erwartet, dass sich die Finanzmarktakteure in der Schweiz auf freiwilliger Basis verstärkt auf die Zielsetzungen des Übereinkommens von Paris ausrichten.»

«Klimapolitik der Schweiz» ist eine sehr gute Broschüre, wenn es darum geht, zum Ausdruck zu bringen, was die schweizerische Klimapolitik prägt: die Kluft einerseits zwischen dem Bestreben, international zu den Guten zu gehören, sowie dem Wissen, was zu tun wäre – und anderseits der mangelnden Bereitschaft, entsprechend zu handeln. Diese Kluft benannte Umweltministerin Doris Leuthard mir gegenüber schon am Pariser Klimagipfel mit bemerkenswerter Offenheit, als ich sie fragte, ob die Schweiz nun bereit sei, ihre Klimapolitik auf das 1,5-Grad-Ziel auszurichten. «Ach wissen Sie», gab sie mir zu Antwort, «wir wären ja schon froh, wir wären für 2 Grad auf Kurs.»

Ich fragte Christine Hofmann, ob der Eindruck des Widerspruchs stimme. Per E-Mail räumte die Vizedirektorin ein, Begriffe wie «2-Grad- Obergrenze» seien «eine starke Vereinfachung komplexer Zusammenhänge.» Für eine Publikumsbroschüre sei das aber «zum heutigen Zeitpunkt vertretbar.» Und bezüglich des Finanzplatzes gebe es «keinen Widerspruch», denn Regulierung sei «nicht die einzig mögliche Antwort auf ein Problem.»

Hofmanns Antwort ist weit weg von der Klarheit ihres Vorworts. Sie beantwortet auch meine Frage nicht wirklich. Aber keine Antwort ist auch eine Antwort.

Marcel Hänggi ist freier Umweltjournalist, Buchautor und Mitinitiant der Volksinitiative www.klimaschutz-schweiz.ch. In seinem neusten Buch «Null Öl. Null Gas. Null Kohle.» greift er die Thematik der Klimapolitik vertiefter auf.

Andy Fischli ist freischaffender Illustrator, Comiczeichner und Leiter von Comicworkshops.

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