Das stimmt hoffnungsvoll: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gibt grünes Licht für die Beschwerde der KlimaSeniorinnen und vier Einzelklägerinnen gegen die Schweiz. Er behandelt die Klimaklage sogar vorrangig. Jetzt muss die Schweiz endlich inhaltlich zum Anliegen der Seniorinnen Stellung nehmen.

Die KlimaSeniorinnen setzen sich seit fünf Jahren auf dem gerichtlichen Weg für mehr Klimaschutz der Schweiz ein. Jetzt können sie einen wichtigen Etappensieg feiern: Ihre Beschwerde gegen die Schweiz nimmt am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg die erste Hürde. Konkret heisst das: Der Gerichtshof hat der Schweiz die Beschwerde zugestellt und aufgefordert, eine Stellungnahme abzugeben.

Dem nicht genug: Der Gerichtshof räumt der Beschwerde sogar Priorität ein. Das heisst, die Schweiz muss sich mit ihrer Stellungnahme sputen, bereits Mitte Juli muss diese in Strassburg eintreffen. Der EGMR hat die Schweiz zudem dazu aufgerufen, sich ganz explizit zum Inhalt der Beschwerde zu äussern. Dabei geht es insbesondere um die Verletzung des Rechts auf Leben und Gesundheit. Denn die KlimaSeniorinnen argumentieren, dass die Schweiz mit ihrer derzeitigen ungenügenden Klimapolitik die Menschenrechte der KlimaSeniorinnen resp. älterer Frauen verletzt.

Die Schweiz muss sich also endlich zu den Argumenten der KlimaSeniorinnen äussern – und kann die mutigen Seniorinnen nicht länger mit juristischen Floskeln und prozessualen Details abspeisen, so wie es bislang der Bund, das Bundesverwaltungsgericht sowie das Bundesgericht getan haben.

Die KlimaSeniorinnen, die von Greenpeace Schweiz seit Beginn unterstützt werden, freuen sich riesig über dieses positive Signal aus Strassburg und sind dementsprechend hoffnungsvoll. «In der Klimakrise muss die Schweiz mit wirkungsvollen Klimaschutzmassnahmen unsere Rechte auf Leben und Gesundheit schützen. Wir wünschen uns, dass der Gerichtshof dies anerkennt», sagt Rosmarie Wydler-Wälti, Co-Präsidentin der KlimaSeniorinnen.

Die Schweizer Klimaklage hat das Potenzial, im Bereich der Klima- und Menschenrechte Geschichte zu schreiben. Denn der Gerichtshof könnte letztlich eine Antwort auf die Frage geben, ob Staaten Menschenrechte verletzen, wenn sie das Klima zu wenig schützen. Eine solche Antwort wäre richtungsweisend nicht nur für die Schweiz, sondern für alle 47 Europaratsstaaten, die die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben.

Klimaklagen auf Erfolgskurs  

Die Schweizer Klimaklage ist der zweite Klima-Fall am Gerichtshof, der verhandelt wird. Ende vergangenen Jahres hat der EGMR für die Klimaklage von sechs jungen Menschen aus Portugal grünes Licht gegeben. Sie werfen der Schweiz und 32 anderen Ländern vor, die Klimakrise verschärft und damit die Zukunft ihrer Generation gefährdet zu haben. Der EGMR räumte der Beschwerde aufgrund der Wichtigkeit und Dringlichkeit der aufgeworfenen Fragen Priorität ein. 

Und schon wartet die nächste Klimaklage beim EGMR auf eine Verhandlung: Vor wenigen Tagen hat die norwegische Organisation «Besteforeldrenes klimaaksjon» (Klimaaktion der Grosseltern) ihre Beschwerde eingereicht. Diese Organisation geht im Kampf gegen Ölbohrungen in der Arktis gegen Norwegen vor. 

Im Februar konnte die Klimabewegung in Frankreich einen historischen Sieg feiern: Ein französisches Gericht hat entschieden, dass die Untätigkeit des französischen Staates bezüglich Klimaschutz illegal ist. Die Klimaklage, hinter der unter anderem Greenpeace Frankreich steht, wurde von mehr als zwei Millionen französischen Bürger*innen unterstützt. Vor mehr als einem Jahr bestätigte zudem das Oberste Gericht in Den Haag ein Urteil des Bezirksgerichts vom Juni 2015, wonach die Niederlanden bis Ende 2020 die CO2-Emissionen um 25 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden müssen.


Die Klimaklage der KlimaSeniorinnen

2016 gelangten die KlimaSeniorinnen und vier Einzelklägerinnen an den Bund und ersuchten um einen verstärkten Klimaschutz zum Schutz ihrer Grundrechte auf Leben und Gesundheit. Sie stiessen nicht auf Gehör, und auch das Bundesverwaltungsgericht sowie das Bundesgericht wiesen in der Folge ihre Beschwerden ab. Deshalb reichten die KlimaSeniorinnen im November 2020 ihre Klimaklage resp. Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR in Strassburg ein. Die Seniorinnen rügen in ihrer Beschwerde die Verletzung ihres Rechts auf Leben und Gesundheit, des Rechts auf ein faires Verfahren vor einem Gericht und des Rechts auf eine wirksame Beschwerde vor einer innerstaatlichen Instanz. In einem offenen Brief an den Bundesrat beschreiben die KlimaSeniorinnen ihre Beweggründe für ihre Beschwerde gegen die Schweiz. Weitere Informationen: https://klimaseniorinnen.ch/