Die Schweiz bleibt unter Aufsicht und muss erneut Bericht erstatten – so hat es das Ministerkomitee des Europarates in seiner zweiten Überprüfung des Falls KlimaSeniorinnen gegen die Schweiz entschieden. Die Schweiz hat die zentrale Forderung des Urteils nach einem 1.5°C-Limit kompatiblen CO2-Budget weiterhin nicht glaubwürdig umgesetzt. Die KlimaSeniorinnen und Greenpeace fordern die Schweiz nachdrücklich auf, bei der nächsten Sitzung des Ministerkomitees eine überzeugende Antwort zu geben und darzulegen, wie sie ihre Klimapolitik mit dem wegweisenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Einklang bringt.
Der EGMR hatte die Schweiz im KlimaSeniorinnen-Fall verpflichtet, ihren Anteil zu leisten, um die globale Erwärmung auf maximal 1.5°C zu beschränken und damit das Leben und die Gesundheit verletzlicher Personen besser zu schützen. Dafür muss die Schweiz ihre geplanten CO2-Emissionen (ihr nationales CO2-Budget) auf das global noch vorhandene CO2-Budget zur Einhaltung des 1.5°C-Limits abstimmen. Auch der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag bestätigte diesen Sommer in einem Rechtsgutachten zur Verantwortlichkeit von Staaten in Sachen Klimawandel, dass eine mit dem 1.5°C-Limit kompatible Klimapolitik rechtlich verbindlich ist.
Die Schweiz unterlässt es aber weiterhin, dem Ministerkomitee des Europarats ein 1.5°C kompatibles nationales CO2-Budget vorzulegen, das vom global tatsächlich noch vorhandenen CO2-Budget abgeleitet ist. Die Schweiz rechnet in ihrem Bericht erneut nur vor, wie viele Emissionen sie mit der seit dem Entscheid des EGMR unveränderten Klimapolitik bis 2050 plant.
Die in ihrer jüngsten Eingabe berechneten 620 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen für die Jahre 2021 bis 2050 nennt die Schweiz ihr «budget carbone implicite». Dieses beträgt nach ihren Angaben rund 0,33 Prozent des global verbleibenden Budgets. Vergleicht man das mit dem Anteil der Schweiz an der Weltbevölkerung (rund 0,11 Prozent), liegen ihre geplanten Emissionen rund dreimal so hoch. Wissenschaftler haben gegenüber dem Ministerkomitee bestätigt, dass die aktuelle Schweizer Klimapolitik zu einer starken Übernutzung des noch vorhandenen CO2-Budgets für die Einhaltung der 1.5°C führen wird.
In ihren Stellungnahmen an das Ministerkomitee haben 34 Nichtregierungsorganisationen, die Schweizerische Menschenrechtsinstitution SMRI sowie die UN-Sonderberichterstatterin für Klimawandel und Menschenrechte, Elisa Morgera, alle auf diese offensichtliche Diskrepanz hingewiesen.
Das Ministerkomitee unterstreicht die überragende Bedeutung der wirksamen und effizienten Umsetzung von Klimaschutzmassnahmen. Ebenso ruft es den globalen Ansatz in Erinnerung, um ein nationales CO2-Budget zu bestimmen. Es besteht derweil nicht weiter auf der Vorlage eines nationalen CO2-Budgets. Stattdessen schlägt das Komitee die Einrichtung einer unabhängigen nationalen Stelle vor, welche die Umsetzung und Wirksamkeit der Klimapolitik selbst überwacht. Ein solches Gremium ist aus Sicht der KlimaSeniorinnen und von Greenpeace sinnvoll, wenn es über ein klares Mandat verfügt. Dieses muss beinhalten, dass die Schweizer Klimapolitik für die Einhaltung des noch verbleibenden globalen CO2-Budgets für 1.5°C überarbeitet wird (ähnlich dem European Scientific Advisory Board on Climate Change). Und eine solche Stelle entbindet das Ministerkomitee nicht von seiner Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Schweiz alle Teile des EGMR-Urteils umsetzt und die Menschenrechte der KlimaSeniorinnen vor den negativen Auswirkungen des Klimawandels schützt.
Rosmarie Wydler-Wälti, Co-Präsidentin der KlimaSeniorinnen Schweiz, sagt: «Wir fordern, dass die Politik das fundierte Urteil des EGMR nicht verwässert. Wir fragen uns, was es noch braucht, damit die Staaten einsehen, dass der Klimawandel keine Links-Rechts-Frage ist. Mit jedem Jahr, das wir verstreichen lassen, nehmen klimabedingte Katastrophen und Schäden weiter zu.»
Georg Klingler, Klimaexperte von Greenpeace Schweiz, ergänzt: «Die weitere Überwachung muss sicherstellen, dass die wichtigste Anforderung des Urteils erfüllt wird. Das wegweisende Urteil des EGMR zum Schutz der Menschenrechte vor der Klimakrise in allen 46 Staaten des Europarates bleibt voll und ganz gültig.»
Das Ministerkomitee des Europarats überprüft regelmässig die Umsetzung von EGMR-Urteilen, zuletzt vom 15. bis 17. September 2025 im Rahmen des 1537th (Human Rights) meeting of the Ministers‘ Deputies in Strassburg.
Weiterführende Informationen
- Entscheid des Ministerkomitees vom 15.-17- September https://rm.coe.int/0912594880282f39
- Eingaben zuhanden des Ministerkomitees des Europarats
- Eingabe der Schweiz vom Juni 2025, ergänzende Angaben der Schweiz zur Berechnung des eigenen Anteils am noch vorhandenen globalen CO2-Budget vom Februar 2025
- Stellungnahme Verein KlimaSeniorinnen Schweiz vom Juli 2025
- Stellungnahme Schweizerische Menschenrechtsinstitution SMRI vom Juli 2025
- Stellungnahme UN Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights in the context of climate change vom Juli 2025
- Stellungnahme Koalition von 34 internationalen Nichtregierungsorganisationen vom Juli 2025
- Analyse zum noch verbleibenden CO2-Budget der Schweiz vom Januar 2025
- Präsentation zur Relevanz des IGH Rechtsgutachten für das Urteil der KlimaSeniorinnen von Prof. Evelyne Schmid, Universität Lausanne
Kontakte
Deutsch
- Rosmarie Wydler-Wälti, Co-Präsidentin KlimaSeniorinnen Schweiz, +41 79 567 67 73, [email protected]
- Cordelia Bähr, Rechtsanwältin der KlimaSeniorinnen, +41 78 801 70 34, [email protected]
- Georg Klingler, Klimaexperte Greenpeace Schweiz, +41 79 785 07 38, [email protected]
Französisch
- Anne Mahrer, Co-Présidente des Aînées pour le climat Suisse, +41 79 249 72 17, [email protected]
- Raphaël Mahaim, Avocat au Barreau, +41 79 769 70 33, [email protected]
Italienisch
- Norma Bargetzi, Anziane per la protezione del clima, +41 79 352 98 89, [email protected]


