Im Mai 2019 veröffentlichte der Weltbiodiversitätsrat der Vereinten Nationen (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services, IPBES) die umfassendste jemals durchgeführte Bewertung der weltweiten Artenvielfalt[1]. Die schockierenden Ergebnisse dieser globalen Bestandsaufnahme des Zustandes der Natur, der Ökosysteme und der Bedeutung der Natur für das menschliche Überleben stützen sich auf rund 15.000 wissenschaftliche und staatliche Quellen sowie indigenes Wissen. Der beschriebene Verlust in der Natur ist beispiellos, wobei das Ausmass des Artensterbens derart vorangeschritten ist, dass eine Million Arten vom Aussterben bedroht sind. Viele davon innerhalb der kommenden Jahrzehnte. Das sind mehr Spezies als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit[2]. Zu den bedrohten Arten gehören fast 33 Prozent der riffbildenden Korallen und mehr als ein Drittel aller Meeressäugetiere.

Der Bericht zeigt, dass nicht nur die Ökosysteme an Land durch menschliche Aktivitäten stark beeinträchtigt werden. Bislang wurden auch zwei Drittel der Meeresumwelt, von den Küstengebieten bis zur Tiefsee, durch menschliches Wirken «stark verändert». Überfischung und zerstörerische Fangmethoden fordern ihren Tribut: Im Jahr 2015 wurden 33 Prozent der kommerziell genutzten Fischbestände in den Ozeanen auf nicht nachhaltigem Niveau befischt, weitere 60 Prozent wurden bis an ihre Grenzen ausgebeutet. Lediglich sieben Prozent wurden als «unterfischt» eingestuft[3]. Hinzu kommt, dass nach einigen Studien die illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei (IUU) schätzungsweise 15 bis 30 Prozent der weltweiten jährlichen Fangmengen ausmacht. Da weltweit mehr als 30 Millionen Menschen von kleinskaliger regionaler Fischerei abhängig sind, darf die Bedeutung dieser Zahl für die globale Ernährungssicherheit nicht unterbewertet werden.

Die grenzenlose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen ist ein treibender Faktor für den Verlust der biologischen Vielfalt und für die Veränderung der Ökosysteme weltweit, aber sie ist nicht allein. Auch die Folgen der Klimakrise, die Versauerung der Ozeane, die Vermüllung und Verschmutzung sowie die Einwanderung invasiver Arten sind wichtige Faktoren und ihre Konsequenzen für die Meere sind enorm. So sank die Verbreitung von Seegraswiesen von 1970 bis 2000 um über zehn  Prozent pro Jahrzehnt[4]. Ebenso hat sich die Riffbedeckung mit lebenden Korallen in den letzten 150 Jahren fast halbiert und in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten weiter dramatisch verringert. Erhöhte Wassertemperaturen, regelrechte Hitzewellen in den Meeren und Versauerung – allesamt verbunden mit einem steigenden Kohlendioxidausstoss durch menschliche Aktivitäten – haben die Krise beschleunigt. Die Lebensgrundlagen von schätzungsweise 100 bis 300 Millionen Menschen sind durch den damit einhergehenden Küstenschutzverlust gefährdet. Darüber hinaus breiten sich «Todeszonen» aus – hypoxische Bereiche mit sehr niedrigem Sauerstoffgehalt, die durch landwirtschaftliche Überdüngung verursacht werden – und umfassen nun eine Gesamtfläche von mehr als 245.000 Quadratkilometer.

‘The loss of species, ecosystems and genetic diversity is already a global and generational threat to human well-being. Protecting the invaluable contributions of nature to people will be the defining challenge of decades to come.’ Sir Robert Watson, IPBES Chair.

Der IPBES-Bericht unterstreicht die schwerwiegenden Veränderungen, die die Klimakrise für die Meeresumwelt mit sich bringt. Er prognostiziert einen Rückgang der Nettoprimärproduktion im Meer um drei bis zehn Prozent und damit einen Rückgang der Fischbiomasse um drei bis 25 Prozent bis zum Ende des Jahrhunderts. Veränderungen in der Struktur und Funktionsweise der marinen Nahrungsnetze bedingen Kaskadeneffekte auf die globalen Systeme der Erde wie die Regulierung des Klimas oder die Speicherung von Kohlenstoff. Einige dieser Änderungen können zu einer Verstärkung der Rückkopplungsschleifen führen, wodurch sich das Problem verschärft – hierzu gehört z.B. die Erhöhung der Freisetzung von CO2 in die Atmosphäre durch eine erhöhte Bakterienaktivität im Ozean[5].

Die Veröffentlichung des Sonderberichtes des Weltklimarates (IPCC) vom September 2019 zum Ozean und der Kryosphäre hat unser wachsendes Verständnis für die komplexen und umfassenden Wechselwirkungen zwischen dem globalen Klima und den Ozeanen vertieft und die schwerwiegenden Auswirkungen der derzeitigen klimatischen Veränderungen auf das Leben im Meer und die Menschheit verblüffend deutlich gemacht[6]. Greenpeace zählt darauf, dass die Veröffentlichung eine koordinierte Reaktion auslöst, die sowohl die Klimakrise als auch den Schutz der Meeresökosysteme gleichzeitig angeht[7].

Seit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens 2015 gibt es einen ermutigenden politischen Impuls der Integration von Meeresschutz und Massnahmen gegen die Erderhitzung – eine solche Koordination ist unerlässlich wenn der Schutz der Meere im notwendigen Ausmass gewährleistet sein soll.  Eine Reihe anstehender internationaler politischer Treffen stellt eine entscheidende Gelegenheit dar, die eng verflochtenen Gefährdungen durch den Klimawandel und den Verlust der Artenvielfalt ehrgeizig anzugehen.

Der Weltklimarat hat deutlich gemacht, dass die globalen Emissionen von Treibhausgasen bis 2030 um etwa 45 Prozent gegenüber dem Niveau von 2010 und bis etwa 2050 auf null gesenkt werden müssen, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen[8]. Dieses erfordert eine vollständige Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft, hin zur Dekarbonisierung und zur Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft[9]. Dazu gehören die Beendigung weiterer Erforschung und Gewinnung fossiler Energieträger, die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, die Verbesserung der Energieeffizienz von Häusern, Fabriken und Büros, die Schaffung eines intelligenten Stromnetzes, die Abschaffung des Verbrennungsmotors, die Aufwertung des öffentlichen Verkehrs und die Umwandlung der Landwirtschaft in ein gesünderes und nachhaltigeres Ernährungs- und Landwirtschaftsmodell. Parallel zu diesen gesellschaftlichen Veränderungen müssen Naturlandschaften und Meereslandschaften erhalten und wiederhergestellt werden. Darüber hinaus müssen natürliche Kohlenstoffspeicher geschützt und ihre Entstehungsprozesse aufrechterhalten und verbessert werden.

Dieser Bericht verdeutlicht, warum mindestens 30 Prozent der Weltmeere geschützt werden müssen – um dem Leben im Meer eine Überlebenschance in einer ungewissen Zukunft zu geben und ihm zu erlauben, sich an die Erderhitzung, die Versauerung und den sinkenden Sauerstoffgehalt anzupassen. Ausserdem wird die Widerstandsfähigkeit der Meeresökosysteme gegen die genannten Faktoren durch echte Schutzgebiete erhöht. Der Bericht zeigt auf, wie Netzwerke von Meeresschutzgebieten dazu beitragen, den gesamten Planeten gesund zu halten und die schlimmsten Auswirkungen der globalen Erwärmung einzudämmen: indem der «blaue Kohlenstoffspeicher» geschützt wird.


[1] IPBES (2019). Introducing IPBES› 2019 Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services. First global biodiversity assessment since 2005. https://www.ipbes.net/news/ipbes-global-assessment-preview accessed 28th June 2019.

[2] IPBES (2019). Media Release: Nature’s Dangerous Decline ‘Unprecedented’; Species Extinction Rates ‘Accelerating’. https://www.ipbes.net/news/Media-Release-Global-Assessment

[3] National Intelligence Council (USA). (2016). Global Implications of Illegal, Unreported, and Unregulated (IUU) Fishing. This memorandum was prepared by the National Intelligence Council and was coordinated with the US Intelligence Community. 19th September 2016 NICWP 2016-02 https://fas.org/irp/nic/fishing.pdf

[4] IPBES (2019). Summary for policymakers of the global assessment report on biodiversity and ecosystem services of the Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services. Advanced Unedited Version 6th May 2019. https://www.ipbes.net/sites/default/files/downloads/spm_unedited_advance_for_posting_htn.pdf

[5] Steffen W., Rockström J.,  Richardson K.,  Lenton T.M.,  Folke C., Liverman D.,Summerhayes C.P., Barnosky A.D., Cornell S.E., Crucifix M., Donges J.F., Fetzer I., Lade S.J., Scheffer M.,  Winkelmann R., and Schellnhuber H.J. (2018). Trajectories of the Earth System in the Anthropocene. PNAS August 14, 2018 115 (33) 8252-8259; first published August 6, 2018 https://doi.org/10.1073/pnas.1810141115

[6] IPCC (2019). Summary for Policymakers. In: IPCC Special Report on the Ocean and Cryosphere in a Changing Climate.  H.-O. Pörtner, D.C. Roberts, V. Masson-Delmotte, P. Zhai, M. Tignor, E. Poloczanska, K. Mintenbeck, M. Nicolai, A. Okem, J. Petzold, B. Rama, N. Weyer (eds.) In press. https://report.ipcc.ch/srocc/pdf/SROCC_FinalDraft_FullReport.pdf

[7] Devex (2018). Ocean advocates find new ways to link their cause with climate change.

By Catherine Cheney 17th September 2018. https://www.devex.com/news/ocean-advocates-find-new-ways-to-link-their-cause-with-climate-change-93410

[8] IPCC (2018). Summary for Policymakers of IPCC Special Report on Global Warming of 1.5ºC approved by governments. IPCC Press Release 8th October 2018. http://ipcc.ch/pdf/session48/pr_181008_P48_spm_en.pdf

[9] Greenpeace. How Government Should Address the Climate Emergency.  https://www.greenpeace.org.uk/wp-content/uploads/2019/04/0861_GP_ClimateEmergency_Report_Pages.pdf Accessed 5th July 2019.

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