Ein Atomunfall in Beznau würde die ganze Schweiz betreffen.

Es gehört zu jenen Ereignissen, die man sich lieber nicht vorstellen möchte: Eine Kernschmelze in Beznau, dem ältesten AKW der Welt. Was bei einem Super-GAU genau geschehen würde, weiss niemand. Doch die Erfahrungen von Tschernobyl und Fukushima geben grossen Anlass zur Sorge. Und weil die Schweiz so dicht besiedelt ist, wären die Folgen hierzulande gar noch schlimmer. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wie kann es zu einem Super-GAU in Beznau kommen?

Bei einem Super-GAU tritt Radioaktivität unkontrolliert aus – so geschehen in Tschernobyl vor 30 und in Fukushima vor 5 Jahren. In Beznau ist eine mögliche Ursache dafür das Versagen des Druckbehälters: Bei einer Schnellabschaltung muss der Reaktor notgekühlt werden, indem kaltes Wasser in den heissen Reaktordruckbehälter geleitet wird. Dieser Druckbehälter ist aufgrund seines hohen Alters spröde geworden und weist ausserdem Schwachstellen in der Stahlwand auf. Wegen dem Temperaturschock bei einer Notkühlung könnte der geschwächte Behälter kaputt gehen – die Kernschmelze und damit der Austritt einer riesigen Menge Radioaktivität wären unvermeidlich.

Wen würde die radioaktive Wolke treffen?

Das hängt stark von der Windrichtung beim Unfall ab. Tatsache ist aber: Das AKW Beznau liegt mitten in einem dicht besiedelten Gebiet. Zürich, die bevölkerungsreichste Stadt der Schweiz, ist beispielsweise nur 30 Kilometer vom AKW entfernt. Im Umkreis von 30 Kilometern um Beznau leben insgesamt über eine Million Menschen. Bei einem schweren Atom-Unfall könnte ein Gebiet dieser Grösse zur Sperrzone erklärt werden. Unabhängig von der Windrichtung wäre deshalb ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung betroffen – und zusätzlich eine erhebliche Anzahl Personen in den grenznahen Gebieten in Süddeutschland.

Können auch weiter entfernte Gebiete betroffen sein?

Leider ja. Das zeigt die Atom-Katastrophe von Fukushima exemplarisch. Diese hätte nämlich noch viel schlimmer enden können. Ein Grossteil der Radioaktivität wurde aufs offene Meer hinaus getragen, teilweise über Distanzen von hunderten Kilometern, weil der Wind nach Osten wehte. Übertragen auf die Schweiz heisst dies: Im Prinzip könnte das ganze Land betroffen sein – die radioaktive Wolke aus Beznau, oder Teile davon, könnten bis nach Genf, St. Gallen oder Chur getragen werden. Dazu kommt, dass die wichtigste Ost-West-Verkehrsverbindung fast zwangsläufig betroffen wäre: Die Schweiz würde ein halbiertes Land.

Welche Gebiete werden evakuiert?

Das lässt sich schwer vorhersagen, da die Windrichtung eine wichtige Rolle spielt (siehe obere Antwort). In Fukushima wurde ein Gebiet im Umkreis von 20 Kilometern um das AKW evakuiert, später mussten auch die Personen in weiter entfernten Orten ihre Häuser verlassen. Um den Katastrophen-Reaktor von Tschernobyl ist ein Gebiet von der Grösse des Kantons Bern bis heute Sperrzone.

Wohin werden die Personen aus den evakuierten Gebieten gebracht?

Das weiss niemand. Unglaublich aber wahr: Die Behörden haben keinen Plan, wohin die Atom-Flüchtlinge gehen sollen. Weht der Wind bei einem GAU aus westlicher Richtung – was in der Schweiz oft der Fall ist – müsste wahrscheinlich der ganze Grossraum Zürich evakuiert werden: Über eine Million Menschen. Ein logistischer Albtraum. Echten Schutz bietet deshalb nur eine Massnahme: Die definitive Abschaltung von Beznau und allen anderen Schweizer AKW.

Wann können die Atom-Flüchtlinge wieder in ihre Häuser zurück?

Die ehrliche Antwort muss heissen: Wahrscheinlich nie mehr. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima haben rund 150’000 Personen aus den verseuchten Gebieten flüchten müssen. Die japanische Regierung möchte sie zwar zur Rückkehr in die angeblich entseuchten Gebiete bewegen. Doch Messungen von Greenpeace zeigen regelmässig, dass diese Regionen noch immer zu stark verstrahlt sind – allen Dekontaminierungs-Bemühungen zum Trotz.

Welchen Schutz bieten Jodtabletten?

Der Nutzen von Jodtabletten ist begrenzt. Die Tabletten reichern die Schilddrüse mit Jod an. Das verhindert, dass radioaktives Jod aufgenommen werden und Schilddrüsen-Krebs auslösen kann. Nur: Das funktioniert nur dann, wenn die Jodtabletten rechtzeitig eingenommen werden. Ob die Behörden im Ernstfall beizeiten dazu auffordern können, ist unklar. Zudem werden bei einem Atomunfall zahlreiche andere radioaktive Stoffe freigesetzt, gegen die es keine Tabletten gibt. Die ganze Landschaft würde für Jahrzehnte radioaktiv verseucht.

Was kostet ein Unfall in Beznau?

Die Schätzungen gehen weit auseinander. Der Bund rechnet mit Kosten zwischen 88 und 8000 Milliarden Franken. Letztere Zahl entspricht dem zwölffachen des Bruttoinlandprodukts der Schweiz. Die Schadenssumme ist übrigens so hoch, dass niemand die AKW für einen Unfall versichern will. Das bedeutet: Letztendlich müsste wohl der Bund, und damit die Steuerzahlerinnen und -zahler, die Zeche zahlen.